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Anfangs hatte wie sonst das Bewußtsein, Ordnung und Sicherheit hier hingen von seiner einzigen Person ab, ihn zu höchster Dienstbereitwilligkeit gestählt ; allmählich aber, da alles friedlich sich schickte, verlor seine Aufmerksamkeit das Gespannte und schwang zu- stimmend mit der Masse der Bewegenden und Bewegten. Je näher Ablösung rückte, überwogen in ihm zwei Empfindungen; Es schien alsbald regnen zu sollen, und er fühlte vor, wie mit eingezogenen Schultern, auf dem Heimweg sacht auftretend, er die Pfützen auf den Steinen vermeiden würde; mehr als diese Vorstellung beglückte ihn des Kaffees Duft, der beim Eintritt in die Wohnung auf dem Tisch hergerichtet sein mußte. Nur noch von II, I I Zeit zu Zeit flog seine gesamte Energie in die Brille zurück und riß in flüchtiger Empörung Löcher in Gegenüberstehendes. , Dieser bewaffnete Blick packte nicht allein Pas- santen in Zivil; wie er aufflammend vorwärtsschoß, zwang er auch Kameraden Busekows zur Bewunde^ Tung, und sie empfanden : dieser schaut durch Tuch und Haube; er ist der geborene Polizist, Von einem tüchtigen Menschen war also die Schlappe der Geburt, Kurzsichtigkeit, zu einem Vorteil für sich umgebogen worden, wenn er, sei- ner Nichteignung für eine Auf Sichtsstellung im Ur- teil zuständiger Instanzen gewiß, alle gesunden Kräfte von anderen Organen her ins Auge hoch- ziehend, diesem hinter Gläserfi einen so schneidigen Ausdruck verliehen hatte, daß die befugten Per- sonen erklärten, sie erwarteten Besonderes von sei- nem scharfen Hinsehn. Er wiederum, besorgt, er möchte solche Hoffnung enttäuschen, wandelte, den Körper immer mehr vergewaltigend, im Lauf der Zeiten die gesamte Barschaft an praller Mus^- -kelkraft und Fett in lauter Späh- und Spürver- mögen um, bis Seine Schenkel, die ehedem unter dem Sergeanten des fünf zigsten Infanterieregimen- tes gewaltige Tagmärsche, zurückgelegt hatten, saftlos und schlapp ihn auf dem Posten kaum mehr hielten, und die einst vom Gewehrstrecken ge- schwellten Arme Lust leidenschaftlichen Zu- greif ens verloren. Da er aber für gewöhnlich un- bewegt auf einer Steininsel zwischen zwei Fahr- dämmen stand, und an dieser vom Verkehr beleb- ten Stelle selten außer dem Auge auch der Arm des Gesetzes gefordert wurde, blieb ihm dieser leib- liche Mißstand verborgen. Andererseits hatte in letzter Zeit er begonnen, das. Kapital der Sehkraft, das im Bewußtsein reicher Mittel er ursprünglich an umgebende Welt vergeudet hatte, sachgemäß anzulegen. Er lieh den Vorübergehenden nur noch insoweit einen Kredit auf seine Aufmerksamkeit, als den einzel- nen er nicht kannte. Denn da der Platz in näch- ster Nähe einiger Großkaufhäuser und Banken lag, war der größere Teil des Publikums tagaus, tagein der gleiche,, und nachdem Busekow in jahrelanger, unwillkürlicher Anteilnahme an jedem einzelnen dessen Erscheinung in sich aufgenommen, erwogen !• und beurteilt hatte, prägte wissentlich von ihm jetzt nur mehr einen neuen Hut, Wechsel von Sommer- und Wintermode er sich ein. Er stand dabei aber in einem umgekehrten Ver- hältnis zu seiner Kundschaft wie der Bankier schlechthin, als dem Kunden, je länger er ihnkannte, und je mehr Beweise einer unbedingten Zuver- lässigkeit ihm dieser gegeben hatte, er um so weni- ger vorschoß, während an einen, der zum ersten- mal in seinem Gesichtsfeld erschien, er des Blik- kes ganze Barschaft wandte und, je unverläß- licher der Neuling sich darstellte, ihn um so be- reitwilliger bediente. Dank dieser Maßnahmen war es ihm letzthin einige Male gelungen, an Leuten, die andere Schutzmannsposten als harmlose Schlendriane pas- siert hatten, Merkmale versteckter Aufregung zu eirkennen, sie durch Winke patrouillierenden Kameraden zu bezeichnen und zu erleben, daß sich die Betroffenen bei Prüfung als gesuchte Übeltäter herausstellten. Und so geschah es an diesem Mor- gen vor seiner Ablösung um sechs Uhr nur noch zweimal, daß scharf er zusehn mußte, erst als ein Omnibus gegen einen Milchwagen stieß -^ glück- licherweise konnte ein bloßer Wink Busekows die Lage entwirren — und dann, da in der Schar jener Frauen, die nächtlicherweise auf demselben Straßen- strich ihr Brot suchen, und deren jede ihm bis in den Saum des Unterrocks bekannt war, eine neue auftauchte: hochblond, aufgedonnert, mit einem Blutmal auf der linken Backe dicht am Mund- winkel. Wie zu unwahrscheinlicher Zeit mit der Morgenröte zum ersten Male sie unangemeldet vor ihn getreten war, beschäftigte sie den Heim- kehrenden, der, das innere Auge auf sie gerichtet, nicht spürte, wie es zu regnen begonnen, und er stapfend Pfütze auf Pfütze trat. War es denn mög- lich, er hätte all jene Zeichen, die das Eindringen einer Konkurrentin in den Ring der auf jener Straße Privilegierten sonst ankündigten, über- sehen, oder waren sie am Ende nicht gegeben wor- den ? Und warum nicht ? Galt sie ihren Schwe- stern wenig, erschien zum Wettkampf sie nicht ge- rüstet, und durfte mit Verachtung man sie über- sehen ? Rief er sich ihre Erscheinung zurück, ver- neinte er die Annahme. Dem flüchtigen Blick -^ ein anderer würde in ihrem Gewerbe ihr kaum ge- gönnt werden — dünkte sie gefällig und wohl- bereitet. Busekow, der sich über den Grund ihres lautlosen Auftretens auf seiner Weltbühne keine Rechenschaft geben konnte, ward befangen und kleinlaut vor sich selbst und betrat mit dem pein- lichen Gefühl seine Wohnung, in dieser Nacht habe dem Staat er unzureichend gedient, den Platz, der ihm anvertraut, war nicht in völliger Ordnung ver- lassen. Irgend etwas treibe dort ein ungerechtfer- tigtes, den beschlossenen Gang der Dinge störendes Wesen. Er schlürfte verdrießlich den Kaffee und legte sich zu seiner Frau ins Bett. Zaghaft lüpfte er die Decke und, sich hinstreckend, nahm eine Rückenlage er ein; denn da, auf den Seiten liegend, er gewöhnlich zu röcheln und zu schnarchen be- gann, war ihm diese anbefohlen worden. Wie in allen Dingen, die das Weib anordnete, suchte den Befehl er genau zu befolgen, und aus Furcht, im Schlaf möchte seine Stellung er wechseln, hatte er sich gewöhnt, beide Hände in die seitlichen Ritzen zwischen Bettlade und Matratze einzu- krallen, durch welches Manöver tatsächlich erreicht wurde, daß in gleicher Lage er aufwachte, wie er eingeschlafen war. Auf welche Weise die Frau bald nach Beginn ihrer nun zwölfjährigen Ehe seine Un- terwerfung unter ihren Willen durchgesetzt hatte, darüber hatte er nie nachgedacht. Er wußte nur, die Abhängigkeit war bodenlos, ohne den leisesten Trieb zum Widerstand. Selbst bei den ihm un- liebsamsten Geheißen erschien sie ihm noch eine milde Gebieterin, da er in sich die Neigung ahnte, auch ihrem zügellosen Verlangen nachzugeben. Es war aber einzig sein bedingungsloser Gehor- sam, der die an sich Schüchterne allmählich fähig gemacht hatte, Wünsche ihm gegenüber zu äußern, später zu fordern. Und so entfernt blieb sie inner- lich der Überzeugung wirklicher Macht, daß noch stündlich und bei jedem Anlaß sie erwartete, er möchte es endlich satt habep und kurzen Prozeß mit ihr machen. Denn sie war sich wohl bewußt> das einzig wirkliche Guthaben, das sie bei ihm be- saß — jene kleine Summe, die die Sechsundzwan- zigjährige dem Vermögenslosen einst in die Ehe gebracht -^, müßte längst aufgezehrt sein^ und weder geistig noch körperlich fühlte sie sich vor ihm begnadet. Was den Leib anging, verbarg sie sogar seit Jahren schwere Schäden. Ohne daß sie Mutter ge- worden war, hatte die Zeit ihr mitgespielt. Das einst volle Haar war zu winziger Schnecke auf dem Hinterkopf zusammengeschrumpft, ihr Gesicht, das straffe Haut wohltuend gegliedert, hatte durch deren Nachlassen Löcher und Vorsprünge bekom- men ; heftiger aber bewegten sie ihre Brüste, die, zwei flachen Tellern gleich, mit kaum noch gefärb- ter Warze von den bergenden Händen beim Aus- kleiden nicht mehr bedeckt werden konnten. Die zarte Scham, mit der Busekow über diesen Um- stand abends und morgens hinwegsah, vergrößerte ihren Kummer und bewirkte, daß sie ihm einen harten Anruf zum Bett hinschickte, etwa: setz Wasser auf den Herd] oder : scher dich zum Koh- lenholen ! Bei solchen Aufforderungen hatte den Mann oft verlangt, sie möchte ihre Empörung über die Un- 8 bill der Natur durch eine furchtbare Forderung an ihn etwa für sich ausgleichen. Wie zur ärmsten Magd Gottes sie herabgesunken war, dichtete er könig- liche Befehle in ihren Mund, sah sich in hündi- scher Demut in den Ecken stehen, die Pfoten auf- wartend gekrümmt. Und fürchtete, er habe um ein Großes sie betrogen, meinte das Kind, das von ihm sie nicht hatte, seufzte und fand sich vor ihr schul- dig. Oft lagen sie sprachlos nebeneinander, mit nach oben gedrehten Gesichtern, geschlossenen Lides, daß keiner dem anderen das Wachen an- merke. Ihre Herzen klopften laut : Warum konnte ich sie nicht erfüllen ? Was tönten meine Rippen nicht von ihm ? Und wehmütig griff sie ihre Brüste; er fuhr die mageren Lenden herab ; beide fühlten sich dürftig. Den Betten gegenüber hing in Öldruck Martin Luther. Die Hand auf ein Buch geballt, machte er eine ausladende Gebärde. Beide Gatten hatten anfangs aus dieser Geste großen Mut zu holen gesucht, wollten sich erklärend anreden und die Kluft überspringen. Aber es gab zischen jenem und ihnen keine Zusammenhänge. Schon begann alles in eine hoffnungslose Gewohnheit beschlossen zu werden. Man sparte an Blick und Ton für ein- ander, rief sich und antwortete in Hauptworten, denen die verbindenden Verben und Partikeln fehl- ten, um schließlich bei Begriffen, die man als be- kannt und erwartet voraussetzen konnte, auch an den Endsilben zui sparen. Die Augen wichen sich aus, man sah gegen Wände; Berührung wurde ge- . fürchtet. Streiften bei einer Begegnung sich die Kleider, schoß beiden panischer Schreck ins Ge- bein, als hätten Allerheiligstes sie betastet. Die weibliche Seele war so voll Vorwürfen für ihn, er so voll Angst vor ihr, daß sie wußten, ein wohl- . gebildeter Satz jetzt, Gleichnis freundlicheren Lebens, hätte bis ins Mark sie erschüttert und vernichtet. Also scheuten sie Güte, erzogen Hartes und Kantiges in sich und schlössen am Ende auf Grund rauher Regeln einen letzten Frieden, er, der Hin- geschmissene, Unwürdige, Besiegte; sie, die Belei- digte, mulier virgo. Wie er nun' lag und ruhen wollte, brach Sonne schräg durchs Fenster und verwirrte seine Augen. IG Da er sich nicht wenden durfte, bedeckte das Gesicht er mit der Hand; doch schien Licht rot durchs Bliit der Finger. Diese Wahrnehmung verwirrte ihn, als hätte des Umstands seines lebendigen Blu- tes er vergessen. In einer Aufwallung streckte . er das eine Bein gegen die Decke, daß Wöl- bung über seinem Leib entstand, und lächelte. Es schien ihm aber gleich darauf, als neben ihm im Schlaf sie stöhnte, Gebärde und Lachen infam, und er begann, in die Strahlen blinzelnd^ alle Züge einer stetigen und zunehmenden Niedrigkeit aus seinem Leben zum Bild eine? verworfenen und vergeblichen Geschöpfs zu dichten. Wie in der Schule seines Dorfes er schlecht gelernt, zum Hof- dienst untauglich gewesen war und einst am Refor- mationstag in der Kirche, während die Gemeinde im Lied „Ein' feste Burg ist unser Gott" himm- lische Andacht einte, den Zopf des vor ihm singen- den Mädchens ergriffen und an seine Lippen ge- führt hatte. Die Kleine hatte aufgeschrien, Nach- barn den Frevel bemerkt, und er war dem Pastor zur Bestrafung angezeigt. Der hatte mit Wort- schwall ihn überwältigt und Mut der Jugend und II Selbstbewußtsein für lange Zeit in Grand und Boden geschlagen. Eine Spur davon war erst nach langen Jahren wiedererstanden, als ihm, dem Un- teroffizier, eine Dekade junger Burschen auf Gnade und Ungnade überantwortet wurde. Da hatte er den Schnurrbart hochgezwirbelt und sich einiger Flüche bemächtigt, die ihn vor sich selbst martia- lisch machten. Doch gelang es über ein geringes Maß nicht, da die Wichtigkeit vom Kasernenhof in den Stuben bei Instruktion und Unterricht ver- blich, merkte er, wie im Auffassen des Vorgetra- genen er hinter .Kameraden zurückblieb* Im Verlauf von zehn Jahren hatte der Hauptmann einige Male zu ihm gesagt: Sie sind in Herz und Nieren königstreu, Busekow. Das ist eine Sache* Aber haben kein Verstehste. So wurde Königs- treue, die man ihm öffentlich zugestanden, fortan Richtschnur seines Lebens. Und als er einsah, eine Feldwebelstelle war ihm nicht erreichbar, er aber nur im Staatsdienst für seine positive Eigenschaft Verwendung hatte, gab als Schutzmann er sich ein. Bedenken gegen seine zunehmende KurzsicKtig- keit zerstreute er auf die geschilderte Art. c 12 Da ihm seine Tugend jetzt einfiel, wurde die Seele einen Augenblick freier; schnell erleuchtete ihn jedoch Erkenntnis, wie wenig offiziell sie in seinem heutigen Dasein sei. Im Gegensatz zu jenem Hauptmann hatte seine -Frau sie nie erkannt, in ihren Reden war sie nie erwähnt worden. Ein elendes, nutzloses Schwein bin ich, dachte Busekow. Diese Frau weiht mir ihr junges Leben, ihren einst blühenden Leib, schöne Gaben. Alles habe ich vernichtet, nicht fähig, das mir Anver- traute zu pflegen. Was aber meine Königstreue anlangt (mit einem letzten Versuch, sich zu er- heben, flüchtete er noch einmal zu diesem Ge- danken), meine Hingabe an den Dienst — vor seinem Geist stand ein blondes, aufgedonnertes Frauenzimmer, ein Blutmal im befremdenden Ge- sicht. Da ergriff namenlose Trauer um sich selbst unseren Helden, und einschlafend verstand er die Größe seines Weibes nicht mehr, die es vermochte, bei ihm auszuhalten. Er träumte, in leerem Raum ständen sie sich gegenüber, nackt. Wie ihre Augen sich sengend ihm ins Gesicht bohrten, war er gezwungen, sie an- 13 zusehen. Einen schauerlichen Leib erblickte er, wie Stöcke die Beine, von Hautrünzeln bedeckt. Erbärmlich das übrige. Nirgends aiber war noch der leiseste hüllende Flaum zu erspähen, und der Kopf glich einer polierten Kugel. Mit ausge- streckter Hand, die wie eine Kastagnette knackte, klopfte sie abwechselnd gegen sein gepolstertes Bäüchchen, den Schädel und krächzte dazu : Heu- wan^t, Heukopf! Und alsbald begann aus der Öffnung seines Mundes er Stroh zu speien, bündel- weis, ohne Aufhören meterweis. Sie lächelte giftig dazu, klopfte und knatterte: Heukopf, Heuwanst, Heukopf. In Schweiß gebadet erwachte er, war mit einem Ruck aus den Federn, und im Hemd ins Nebenzimmer stürzend, rief dröhnender, über- natürlicher Stimme er ihr zu : Ja, ja, Elisa, ich bin ein Elender ; wirklich ein Unfruchtbarer ! Sie war nicTit im Raum. Neben Butterbroten und einer Flasche Bier lag auf dem Tisch ein Zettel mit den Worten: Ich bin zum Kientopp* Wundre dich tMchtr Geburtstag;- - ^ Und nun stellte er sich, währfend er zu kauen begann, ihre Freude im Lichtspieltheater vor und spürte, die tröstliche Stärkung, die mit dem Zu- geständnis seiner Wertlosigkeit er hatte gewähren wollen, mußte ihr draußen stärker zuteil werden durch Bilder aus der Menschenkomödie, die niit Lachen und Weinen sie ergreifen würden,^ Gegen sieben, seine Frau war noch nicht zurück, begab zur- Polisiei wache er sich in den Dienst, Um Mitternacht bezog er Posten am Schnittpunkt der Hauptstraßen. Aber da in Strömen es regnete, gie- lang es ihm von allem Anfang nicht, die heroische Haltung, die er sonst besonders während der ersten Minuten seiner Wache vor einem vierarmigen Gas- kandelaber einnahm, zu markieren. Im Gummi- umhang, Schultern eingezogen, das Haupt ge- senkt, sah er vielmehr, während Wasser an ihm niedertroff, recht kläglich aus. Zudem verwirrten hinter nassen Scheiben seiner Brille ihn rote, grüne und weiße Lichter der Fahrzeuge. Sich über- haupt bemerkbar zu machen, hob von Zeit zu Zeit er einen Arm und ließ ihn, ohne des Eindrucks inixezuwefden, wieder sinken. . Nur . mit Mühe uhterschied er den Aufmarsch bekannter Gestal^ ten ; die Frauen der Kaffeekellner, die ihre Männer »5 1 holten, Stammgaste der in der Nähe befind- lichen Wirtschaften, den Mann mit dem fliegen- den Streichholzhandel und, eine nach der anderen, die Nymphen der Straße. Dicht an die Häuser gedrängt, hüpften sie Schutz suchend an ihm vor- über, mit eingezogenen Flügeln Vögeln gleich, die, Land gewöhnt, ins Wasser gefallen sind und sich retten möchten. Sie schritten auf ihren bis zu den Knien freien Ständern über den Fahrdamm und teilten ihre Aufmerksamkeit zwischen den Wasser- tiefen, die sie durchqueren, und dem Wild, das, diesen Abend spärlich genug, sie jagen mußten. Beim Anblick ihres namenlosen Elends hob Bu- sekow am heutigen Tag zum erstenmal selbst- bewußt den Kopf. Diesen da war er, wie man den Maßstab auch anlegte, doch tausendmal überlegen. Er dachte an seinen Traum und meinte, produ- ziere als letzte Formel von sich er auch Heu und Stroh, sei das schließlich eine saubere Sache. Wie aber würde sich diesen in Träumen das Gleichnis ihrer ausgespieenen Eingeweide darstellen? Und anderen, weniger verächtlichen, aber dennoch tief unter ihm stehenden Klassen, aU diesem männ- i6 k liehen Gelichter, das an ihm vorüberstrich. Stand er hier nicht — Donner und Doria — doch am Ende für Kaiser und Reich, und sah alle Welt in ihm nicht einen tüchtigen Beamten ? Als es aber noch heftiger vom Himmel goß, und tiefer er in sich hineinkriechen mußte, erschien vor ihm wieder der Leib seiner Frau, wie er ihn heute im Schlaf gesehen, und Erde ward abermals wüst und leer« Mit gedunsenefti Auge stierte. er in die Luft, einmal rechts, links einmal und geradeaus, als aus dem Gewissen plötzlich die Frage nach dem Ver- bleib jenes Weibes sich hob, das am Morgen er zum erstenmal erblickt. Gehörte sie von nun an für immer zu den Figuren, die vor ihm spielen wür- den, oder war sie nur wie zu einem Gastspiel auf dieser Straße erschienen? Dafür sprach das Ver- halten der Kolleginnen, die ein einmaliges Kom- men und Gehen zur Not dulden durften, eine dauernde Etablierung jedoch, wie er es in anderen Fällen erlebt hatte, mit Hohn und Gewalttat zurückgewiesen hätten. Es schlug zwei Uhr morgens, als hinter einem jungen Menschen in aufgeweichten Lackstiefeln sie II, 2 17 auftauchte. Zugleich aber bemerkte Busekow eine lange Schwarzhaarige sie an die Schultern greifen und hörte, wie sie ihr zuzischte : Nicht aQ meinen Kleinen heran ! und die Antwort der Neuen : Nur sachte ! Schon sammelte sich auch ein Kreis erregter Frauenzimmer um die beiden und fiel mit schnat- terndem Schwall im Chor ein. Man sah drohend gehobene Arme und Schirme.* Da aber schleu- derte Busekow allen Regen von sich, war mit zwei Schritten bei den Streitenden, und, Gewitter aus empörten Augen blitzend, herrschte mit erzener Stimme die Auseinanderstiebenden er an: „Keinen Streit, meine Damen. Weitergehen!" Nur sie blieb ihm gegenüber. Sekundenlang sah er in ein erschrockenes Gesicht und trat dann an seinen Platz zurück. Irgendwo straffte eine Sehne sich an ihm. Der Blick, den von jetzt ab sie bei ihrem allnächtlichen Erscheinen ihm zuwarf, strahlte vor Dankbarkeit. Er entzog sich ihm nicht, empfing ihn als seines öden Lebens Zuckerbrot. Und als er Nacht- mit Tagdienst tauschte, war das Gefühl des Bedauerns, diesen Blick in Zukunft i8 entbehren zu sollen, groß. Doch kam sie schon am zweiten Tag die Straße herauf an ihm vorüber, und da geschah es, daß, ihren Gruß erwidernd, er m ein wenig das Haupt neigte. Schnell spannen zwischen ihnen sich die Fäden schlichter Vertraulichkeit. „Mir geht es immer so, bin immer die gleiche", sagte etwa ihr Blick. „Stehe hier für Kaiser und Reich", rief er zurück. Monatelang. Bis eines Tags, vom Dienst heim- kehrend, er sie streifte, die in einem Haustor stand. „Keinen Auflauf bilden, Fräulein", meinte er witzig und lächelte sie an. Sie senkte den Blick vor ihm. Meinte er. Samtenes schlage Flügel, und ver- wirrte sich bedeutend. Ein andermal, da an einem Urlaubstag gegen Abend er spazierte, traf er sie und ging ihr nach. Sie trat in einen Flur, sah sich nicht um. Er folgte, stieg die Treppen hinter ihr hinauf, schlüpfte in einen Korridor, den sie aufschloß, und dort im Dunkeln standen sie sich gegenüber, ohne daß ein Wort fiel. Nur ihr Atem blies, Augen glühten sich an. Berührung wurde nicht gewagt. Schließ- lich lehnte sie sich. Halt Suchend, gegen die Wand ; 2* 19 er, schräg an sie gebeugt, schlang in alle Öffnungen ihres Leibes Hauch. Beide wankten. Sie fiel zuerst. In schmerzlich süßer Lähmung blieb ihr ein Knie erhoben und reckte den Schoß auf. Wie ein stürzender Felsblock senkte er sich ein. Auch späterhin war kein Wort gefallen; da er losgebunden von ihr schwand, blieb am Boden sie hingenagelt. Geschlossenen Auges lächelte sie; ihr Atem ging wie feine Musik aus ihr, und in rhythmischen Abständen zitterte der Leib. Acht Tage später wieder frei, begab er sich unter dem Schutz der Dämmerung zu ihr. Da an die Tür er klopfte, öffnete sie und zog ihn gegen ein erleuchtetes Zimmer, in dessen Mitte, dem Kla- vier gegenüber, ein gedeckter Tisch stand. Buse- kow hörte des Wasserkessels Summen, roch eines Kuchens Duft und sah in weißen und gelben Farben Blumen gebunden. Sie blieb aufrecht vor ihm, legte einen Arm um seinen Hals ,und strich mit der anderen Hand ihm Haar aus der Stirn. Dabei hing ihr Blick in seinem. Ein Wort wollte er sagen und vermochte nichts; 20 lächelte sie und bewegte verneinend den Kopf. Plötzlich lief zischend der Kessel über. Sie lieB den Mann und war mit zwei Schritten am Tisch, hob das kupferne Gefäß, schwang es gegen die Kanne und ließ heißes Wasser in sie stürzen. Ver- harrend folgte er der Bewegung. Wie sie goß, zu- teilte, zurechtstrich und schließlich winkte. Da setzte er sich zu ihr ins Sofa. Überstürzte Frage und Anwort schwirrte. Alles Wie und Was ihres heutigen Lebens saugten sie in sich hinein, stürmisch verständigten sie sich über Gelände und äußere Grenzen ihres Glücks. Und als nirgends jählings der Abgrund auftauchte, der ein augenblickliches Halt rief, war mit ihnen ein einziges Glück. Sie hatte beide Arme erhoben und saß mit aufgerissenen Augen stumm wie eine Schreiende. Er hieb die geballte Faust in den Tisch. Da später Dunkelheit und des Bettes Decke schützend über ihnen ruhte, nahm sie zuvor plötz- lich seine Hände, faltete sie ihm auf die Brust und hauchte an sein Ohr : „Vater unser, der Du bist im Himmel" und murmelte weiter. Er aber erschrak 21 und schämte sich, weil heut und sonst Ge- bet ihm fem und fremd war. Doch bewegte er die Lippen und stellte sich, als folge er ihr in jeder Silbe« Trotz seiner Lüge wurde auch des Gebetes Sinn in ihm erreicht, denn Ruhe war an Stelle brennenden Verlangens getreten, als jetzt seinen Arm er um sie legte, Glied an Glied zart fügte und reinen Atem aus seinem Mund auf sie herabwehte. Sie hielten sich erst schwebend und wie aus Erz gegossen. Noch spürte jeder den eigenen festen Umriß und die verhaltene fremde Person. Da rief sie „Christof % und zugleicitsah das Blau ihres Auges er sich verschleiern und verschwin- den ; rund quoll Weißes über den ganzen Ball. Und zum andemmal erschrak er vor ihr und wußte nicht, wie sich in Einklang mit ihr bringen. Bebend stieg in sein Innerstes er nieder und brachte Kon- firmationstag und seiner Mutter Sterbestunde her- auf. Aber auch so versehen, holte die Seele der vor ihm Ausgebreiteten er nicht ein, und seine Anker griffen nicht ins Mutterland der Hingegebenen. Doch schmolz viel harte Schale an ihm. Schon wurde mancher 2^e Kern erweckt und goß sich 22 k in den Kreislauf der Säfte, Und jede Welle Leben, die er in sie schickte, kam als brausende Sturmflut in sein Blut zurück, die Schutt und Asche fortriß, bis schließlich, an des Lebens Nerve donnernd, sie ihm den Mund zu einem hellen Ruf aufspreizte. Da, während gegen die andere Wand des Bettes er zurückwich, verklärte himmlischer Schein des Weibes Gesicht. Er erfuhr von Gesine, Vater und Mutter habe früh sie verloren und Ernährerin ihrer jüngeren Geschwister sein müssen. Emsig Verglichen sie ihr Kinderleben, freuten sich, dieselben Spiele gespielt zu haben, und als beidÄ ihre Vorliebe für die gleichen Speisen in jener Zeit entdeckten, waren sie noch glücklicher. An diesem Tag blieben ganz närrisch sie ihrer Jugend hingegeben. Die Eltern, Brüder und Schwestern lernten sie gegen- seitig kennen, Haus und Hof und Knecht und Vieh. Vom Getreide sprachen sie, von Saat und Frucht ; * wie der Dung am besten in die Scholle gebracht würde, und was es der Freuden und Verlegen- heiten bäurischen Volkes mehr gibt. Erst als auf ihren Glauben sie zu sprechen kamen, und Gesine 23 ihm ihre katholische Religion bekannte, ergriff beide Scheu voreinander, und Fremdes stieg zwischen ihnen auf. Der märkische Protestant brachte aus der Kindheit einen so feindseligen Begriff dieser Lehre, die er nicht kannte, mit, sie war ihm als etwas so Götzendienerisches, deutschem Wesen Fernes hingestellt \vorden, daß die junge Frau neben sich er plötzlich mit der Neugier, die man an ein wildes Tier wendet, besah. In diesen Augen- blicken war von dem fanatischen Haß seiner Mut- ter gegen andersgläubige Christen in ihm, seiner Mutter, die vor der katholischen Magd des Nach- barn ausgespuckt und behauptet hatte, diese ver- hexe dem Armen Familie und Gesinde. Als Gesine wieder nach ihm griff, wich er bei- seite, trat ins Zimmer zurück und schickte sich eilig zum Gehen. Und da ihr Antlitz mit den weißen Augäpfeln wieder vor ihm erschien und man- ches Seltsame, das er sich nicht hatte deuten können, brachte er^s mit ihrem verdächtigten Bekenntnis iü Zusammenhang und entfloh mehr, als daß er ging. Doch war ihres Leibes Eindruck schon zu be- deutend gewesen; von Stund an, wo er stand und H ging, verließ ihn ihrer Liebkosung Gefühl nicht mehr.. Den nächsten Urlaubtag verlebte er mit seiner Frau. Schuldbewußtsein hielt ihn an ihrer Seite. Doch vergrößerte er es tagsüber nur, kam ihm bei keiner ihrer Bewegungen die entsprechende seiner Geliebten aus dem Sinn. Da er sich aber abends niederlegte, und sie, sich entkleidend, ein Päckchen Wolle unter dem Haarknoten hervorzog und auf den Tisch legte, war plötzlich alles Mitleid, das ihn bis dahin stets um sie bewegt hatte, dahin, und er lächelte spöttisch. Ihr Körper, den beim Schein der Lampe durch das Hemdtuch er um- rissen sah, erregte tolle Lachlust in ihm. Wie sie mit ihren mageren, ein wenig nach innen ge- krümmten Beinen von einer Tür zur anderen trat, er nicht eine gefällige Linie an ihrem Leib sah, schlug stürmische Scham über sie ihm in die Stirn. Zum erstenmal in seiner Ehe stand Trotz in ihm auf, und aus ihrer Dürftigkeit gewann er große Rechtfertigung für sich. So blieb auch ihr heute schon oft wiederholter Vorwurf, die Kameraden im Revier sprächen von einer Zunahme seiner Kurz- sichtigkeilf, sie aber glaube nur an gesteigerte Teil- nahmslosigkeit und Faulheit, so gut wie ungehört. Im Gegenteil trat am anderen Morgen er mit « wuchtigerem Schritt als sonst beim Barbier ein, hatte hier schon unter der Serviette das Gefühl gesteigerter Bedeutung und empfand sein Bild, wie heute im Sonnenglanz im Rock von Blau und Silber es prangen würde, als körperliche Wohl- tat. Und wer ihn an dem Tag auf Posten gesehen hat, muß das Gefühl mitgenommen haben, in dem Mann geht Veränderung vor sich. Unab- lässig trat auf seiner Insel er hin und her, ließ es nicht beim Insaugefassen Vorübergehender, son- dern bewegte einige Male sich hilfebringend auf eine geängstigte Frau, ein verwirrtes Kind zu. Er hob auch seine Stimme zum Kommandoton, schob die eingesunkene Brust in die Luft, rührte fast un- ablässig weisend und richtend beide Arme, Kurz, er war ein froher, zugreifender Schutzmann und gab dem Leben an dieser Stelle der Erde etwas munter Bewegtes. Wäre es angegangen, hätte für einen Bettler, der vorbeischlich, er in die Tasche 26 gegriffen. So mußte er sich begnügen, für den Hinkenden einen Augenblick den gesamten Fahr- verkehr zum Stehen zu bringen und ihm einen Übergang über den Straßendamm zu schaffen, wie ihn sonst nur die höchsten Personen genossen. Der Bettler grinste und winkte mit der Hand einen Gruß, Busekow lachte fröhlich auf. Als Gesine erschien, erhielt seine Haltung vollends Hel- disches. Er flog und wippte auf Draht, schlug mit der Linken einen mächtigen Bogen gegen nahen- des Vehikel, und der Platz hallte von seiner Stimme. Gleich darauf riß vor einem passierenden General die Hände er stramm an die Hosennaht, rührte den Kopf so jugendlich auf, daß die Exzellenz wohlwollend nickte. Von ihm fort aber sandte Ge- sine über alle Köpfe er einen strahlenden Blick zu, der ihr kündete: Du mein geliebtes, du mein an- gebetetes Leben! Er kam wieder zu ihr, 'und von Mal zu Mal s wurden sie mehr eins. Mit gelassenem Behagen gaben die Körper sich dem Gefallen aneinander hin, als sei ihnen gegenseitiges Begehren für alle Zukunft gewiß. Mit immer frischem Appetit setzten sie Z7 sich an den Tisch ihrer Sehnsucht, aßen und stan* den erst leicht gesättigt, das Herz von Dank für den Schöpfer gefüllt, auf. Auch in Gesprächen vermieden sie die Grenze des ihnen Faßbaren, sondern gaben sich Rechenschaft nur über ihr täg- lich Leben. Insbesondere drang Gesine in das Wesen seines Dieustes völlig ein. Bald war ihr Reglement und Praxis innig vertraut, und sie er- örterten manche Möglichkeit an Hand eines älteren Rapportbuches, in das Vorfälle und Schuldige er angezeichnet und das er ihr zum Geschenk ge- macht hatte. Mit scharfem Instinkt griff mensch- lich besonders packende Dinge sie aus ihm her- aus und führte sie, Herz und Überlegung an sie hingegeben, aus dem Bereich des Zufälligen zuni symbolisch überhaupt Gültigen auf; erfüllte ihn allmählich mit der Überzeugung, wie an seinem Platz mit tausend Fäden er ins innerste Menschen- tum verflochten stehe, und gab ihm ein bedeuten- des Bewußtsein von der Wichtigkeit seines Amts im allgemeinen. Darüber hinaus aber suchte sie ihn auf jede Weise von seiner besonderen Eignung für seine Stellung zu überzeugen. Wie ihre 28 Schwestern auf der Straße niemandem so unbe- dingte Achtung zollten wie ihm,, die Kameraden, das wisse sie aus manchem Mund, seiner Laufbahn gewiß seien. So daß, von ihr erhoben und süß ge- schwellt,, er gelobte, Säbel und Revolver demnächst mitzubringen und ihr sämtliche Griffe und Manö- ver an ihnen zu zeigen.. Er hielt das Versprechen. Unter dem Mantel brachte er beides, und während sie vom Sofa aus ihm zusah, übte vor ihr er* mit so machtvollen « Tritten und AusfäUen, daß des Zimmers Boden dröhnte, Gläser klirrten, und die Gardine flatterte. Ihr aber war der Blick verklärt, und als er zwei Angreifer mit einer glänzenden Säbel- parade in die Schrankecke, aus der sie nicht ent- weichen konnten, geschlagen hatte, flog grenzen- los hingegeben sie ihm an den Hals. Da hatte Bu- sekow zum erstenmal im Leben das Gefühl seiner Notwendigkeit zur Evidenz. Dies Bewußtsein äußerte sich sogleich im Dienst. Mit Sicherheit der Ereignisse Gang gewisser- maßen voraussehend, griff auf der Straße er in des Geschehens Speichen. Im Revierdienst begann 29 er sachkundige Vorschläge zu machen. Zu einer wichtigen Frage gab er so einleuchtenden Rat, daß der Polizeileutnant ausrief : Dieser Busekow — ein- fach fabelhaft: Und man begann, mit wichtigen Posten ihn zu betrauen. Bei Fürstenbesuchen gehörte er zur Bahnhofsmannschaft. So sah er manch außer- ordentliche Szene, durch Anschauung wurde sein Leben reicher, er überlegen. Sie hörte nicht auf, das von ihm Mitgeteilte sinngemäß in seines Da- seins Gang einzuordnen. An Kaisers Geburtstag hatte einer für den an- deren wichtige Mitteilung. Er war zum Wacht- meister ernannt. An sein Ohr hinsinkend, gestand sie Mutterschaft. Von Erspartem lebend, war schon seitWochen sie ihrem Beruf fremd. Da die Überraschungen an den Tag waren, faßten sie sich bei Händen und ließen des Einverständnisses Glück in Blicken sprechen. Dann aber, über alles bisher gemeinsam Erlebte hinausgehend, griff selbsttätig er in ihr Persönliches und forschte nach ihrer Innerlichkeit. Welche Hoffnungen und Entwürfe für das Zu- 30 künftige sie bewegten-, ob sie es mit ibm nur oder mit Höherem verknüpft glaube, wie das Göttliche denn ihr vorschwebe; kurz alle Fragen stellte er, die sie, die Frau, einst angerührt und schnell ver- lassen hatte, da seiner Seele Zustand sie erkannt hatte. Sie jedoch, leicht fröstelnd, auch leicht erhitzt, bebte jetzt in ihren Gliedern über seine Fieber und schwieg. Tiefer drückten seine Finger sich in ihr Fleisch, dringender wurde seine Rede, und leichter Schaum erschien auf den Lippen. Doch wäh- rend rote Sonnen in ihrer Stirnhöhle drehten, kam kein Laut Antwort von ihr. Sie ließ ihn sich er- schöpfen und diesen Abend ohne Aufschluß von ihr gehen. Nun aber klopfte auf dem Heimweg ihm stür- misch das Herz vor dem Wiedersehn mit seiner Frau. Da durch Gesines Eröffnung seine Mannes- kraft bewiesen stand, wurde dieses Weibes Haupt- buchseite ihm gegenüber zu einem Blatt der Schuld, Gelogen ihres Daseins Überlegenheit, ins Gegenteil verkehrt. Eine Handvoll Sand war 31 sie; kein Gott machte sie trächtig; er aber, wohin er seinen Finger legte, mußte erschaffend sich be- weisen. Ein prachtvoll großer Haß blies durch den Mann und ließ ihn wie ein schreitendes Denkmal sein. Wäre sie ihm da gegenübergewesen,^ wiö Föhn hätte ein Hauch von ihm ihre Eingeweide bloßgefegt, zarteste Handlung sie zertrümmert. Doch starb Erbitterung an ihrer eigenen Kraft und Überzeugung. Da nicht der gerittgste Ein- wand ihr gegenüberstand, von selten des Weibes kein Aber zu erdenken blieb, war Elisa aus der Wirklichkeit, in der sie bis heute einzig durch die Kraft eines zu Unrecht vorgetäuschten Zornes ge- lebt hatte, plötzlich ausgelöscht, und es begann von ihr Erinnerung nur noch in ihm zu leben. Je näher Busekow seinem Haus kam, wurden die Ge- fühle der also in ihm Hingeschiedenen gegenüber, wie für Tote überhaupt, weicher, und als ein Amen über ihres Lebens Grab er sprach, erschien sogar ihr Bild, wie sie im Hochzeitskleid, eine Rose auf der Brust, einmal jung in seinen Arm gekom- men war, freundliche Erinnerung heischend vor ihm . 32 Er hob die Hand und winkte einen Abschieds- grüß. Trat bei sich ein, entkleidete sich halbge- schlossenen Auges, legte sich neben sie und nahm ihrem in ihm nun vollendeten Abscheiden zu Ehren im Bett die gewohnte Rückenlage ein. Sie aber, empfindend, in diesem Mann habe höhere Einsicht gegen sie entschieden, zog unter der Decke das Knie an die Brust und fürchtete sich sehr. Und wie das klare Bewußtsein ihrer Schuld sie verabscheute, mußte doch in dieser Nacht sie schon einigemal ihm in die Augen sehen, wie es laut kündete, was sie heimlich oft schon aus sich selbst empfunden: In allem Wesentlicheh, von Gott Gegebenen und Hinzuerrungenen ihm hint- angestellt, wagtest frecher Stirn du eure Ansprüche aneinander derart zu fälschen, daß in betrügeri- scher Untreue du aus seinen Mitteln zu deinen Gunsten schöpftest und es dennoch darzustellen wußtest, als bliebe er dir schuldig. Und in Zu- kunft ward ihr auch bewußt, wie ihr Verbrechen an ihm größer war, als daß auf dieser Erde es noch getilgt werden konnte. H. 3 33 Immerliin kann dies zu ihrer Entlastung berich- tet werden. Entschlossen zog aus der Erkenntnis sie jede Folge. Demütigte, unterwarf sich und hörte fortan auf seinen Atemzug als einzigen Laut in der Welt; lag seinem Antlitz nächtens zuge- wandt in bewundernder und gerührter Unterwür- figkeit. Seine gekrallten Hände aus den Bettritzen hochzuziehen, wagte ehrfürchtig sie nicht. Seuf- zer, Geständnisse, Versprechen und scheue Küsse hauchte sie viel gegen ihn hin, doch blieb ihm alles, Leid und Geste, verborgen. Für ihn — und es kam auch die Nacht, in der Elisa es begriff — war sie nur noch Kunde von sich selbst. Andenken, Leichenstein. Gesine empfand alsbald, nun sei mit Christof ihr das letzte Heil gekommen. Da er wieder zu ihr trat, war aus seiner Gebärde alles menschlich Be- fangene geschwunden, Gegenstände und sie griff er mit großer Machtvollkommenheit und wußte aus befreiter Natur AUerselbständigstes. Die Stimme fand aus den Ecken größeren Widerhall, ihr selbst schlug jedes Wort von ihm durchs Tröm- 34 melfell an die Herz wand. So zögerte sie nicht länger und legte sich frei. Entschleierte ihr Ge- wissen und ließ seinen Blick in innere Kanäle. Er las berauschte Frömmigkeit. Vom Schöpfungstag angefangen lag Gott mit allen Wundern in dieses Weibes Leib. Zu den Bildern, die aus ihr strahl- ten, begannen die Lippen, ihm herrliche Gleichnisse zu stammeln. Alle Texte der Schrift hatte sie aufge- fangen, mit Blut genährt und lebendig gehalten. Es stiegen aus ihr Adam und Abraham zu ergreifendem Licht. Als von Saul und David sie zu sprechen be- gann, begriff sie, von Gnade beweht, die männlichste Tragik, und da ihre Stimme pathetisch heulte, trieb r es sie beide von der Matratze hoch. Auf den Knien gegen das Fenster gewendet, parallel beieinander hochgerichtet, tranken sie jedes schallende Wort. Ihr waren die Brüste beseligt aufgestanden, auf seinen Schenkeln spreizte sich jedes Haar. Die Brille fiel ihm vom Ohr und hing querüber das lef zende Maul. Nasse Wärme quoll aus den Körpern, ganz eng hämmerten Atome sich aneinander, und die GUe- der waren geballt. Gesines Scheitel schien feucht und hell beleuchtet. ^« 35 Schon hub Christof mit Rede in die ihre hinein. Wie glühende Stahltropfen fielen Silben auf ihre Satzenden, Gebell blieb es mehr, als daß Verständ- nis zustande kam; doch half es ihr zu voller Ek- stase. Rasend alsbald schrie das Weib die bibli- schen Namen, und so befeuerte sie des Geliebten Hingabe, daß ihre Glaubensmacht die Wände der Beschränkung brach, und sie den letzten Sinn alles Geschriebenen bloßlegte. Wie in starker Musik, im Spiel vermischter Themen der musikalische Leitgedanke nicht ver- loren geht, so übertönte in ihrer Darstellung Da- vids Name alle Harmonien des Alten Testaments. Und es gelang Gesine, das Vermächtnis hingegan- gener Judengenerationen in aufstehender Gestalt als Jesus in Marias Schoß zu pflanzen, daß Christof, von Davids heldischem Reiz befangen, ihr willig in den Kult folgte, den um den fleischlichen Leib der Mutter als der Erhalterin und Wiedergebärerin erlauchten messianischen Samens sie exekutierte. Ihre aufgesperrten Finger hatten sich verfloch- ten. Die Schädel, Knochen an Knochen sanken als gleiches Gebein in die Kissengrube. 36 In jenen Augenblicken, da sie Marias Begegnung mit Elisabeth erzählte, bei diesem Satz : Und es b^gab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib — als unter ihnen das Lager rollte, und ein Sausen in den Lüften war — brach die schließlich geflüsterte Rede sie ab, zog des Mannes Finger auf ihren Bauch, und sie fühl- ten beide, siehe — es hüpfte das Kind in ihrem Leib! Und Blicke flogen auf über das rhythmische Spiel der Glieder, und von Himmeln fernher^ mit Stolz sich anstrahlend, beteuerte jedes und stellte fest das hocheigne Teil, sich selbst zu diesem Wun- der. Dann warf es sie Rippe zu Rippe. Moses und David, Jesus und alle Helden des Buches war Christof in dieser Nacht. Es strömte aus ihm heroische Männlichkeit von Jahrtausen- den. Sie nahm hin und schmeichelte ihm hold, daß keine Kraft aus seinen Lenden wich, und er über- mütig und hochgemut blieb bis zum Morgen, als sie in leichtem Schlummer verzaubert hinsank. Da riß er sich von ihr, reckte die Brust in den Tag und fand sich ans Klavier. Hingezogen von Gefühlen, 37 suchend und hochreißend aus^ der Erinnerung, drückte mit einem Finger er in die Tasten : Heil dir im Siegerkfanz. Und alsbald mit Stimme fol- gend, mächtig und mächtiger anschwellend, vari- ierte er über beiden Pedalen vom Baß bis in den höchsten Diskant — da erklang es ihm selig: Heil dir im Siegerkranz Fühl in des Thrones Glanz die hohe Wonne ganz Heil Kaiser dir. Gc§ine spürte im Schlaf: So ist mir's recht, Chri- stof. Wohl, recht — wohl. Am Abend dieses Tages, man schrieb den fünf- zehnten Februar, leitete Busekow vor dem könig- lichen Theater der Wagen Auffahrt. Aus sei- nem Glück war er nicht erwacht. Durch das dichte Netz von Klang- und Taktreizen, das aus der letz- ten Nacht noch um ihn hing, drang Gegenwart nicht in sein Bewußtsein. Es schüttelte ihn eine liebliche Erinnerung um die andere; auf den Fersen hob er sich, seines Körpers Ausmaß zu ver- längern, und stammelte vor sich hin. Dann plötz- lich» als ein Rufen in der Menge scholl^ hob Be- 38 geisterung ihn gegen die Wolken. Er weitete, füllte sich und schwebte auf. Er wollte rechts und links mit sich nehmen und mußte aus einem Jauchzen heraus, das mit Entzücken ihn aufspannte, stür- misch vorwärtsschießen. Man sah, wie die Arme er mit herrlicher Gebärde gen Osten reckte, hörte aus seinem Mund einen siegreichen Schrei — und hob ihn unter einem Automobil herauf, das sanft anfahrend, ihn schnell getötet hatte. 39 ■MMWWMBMWIMWHWiWMMMWMMM— — I ■ ■ '■■ ■ —■'■ ' ' ' ^ YVETTE In der Wiege schon war sie Erbin* Das frische Vermögen, Tatkraft des jugendlichen Vaters machten das einzige Kind gleich zu einem Mittel- punkt. Da war der Troß der Dienstboten, Freunde und Verwandten, die weissagten; aber auch die Außenwelt nahm an der Geburt einer Tochter des neuen Stahlkönigs teil, und an den Börsen war Meinung. Man wußte, die Ehe nach langer Kinderlosigkeit schien unfruchtbar. Um so mehr mußte die späte Geburt eines erbenden Kindes des Eroberers Wagemut stärken. Glänzenden Augen, zu seiner Bedienung be- reiten Kräften sah das Neugeborene sich gegen- über. Keinen Augenblick stand der Wiegenkorb still, Antlitze schnitten vergnügte Grimassen, Stim- men sangen Eiapopeia, und es regnete Spielzeug und Mummenschanz. Gesiebt und gemahlen, waren Speisen verdaulich bereitet; zu ihrer Bewältigung mußte das Kleine keine Kraft der 40 2^ne, des Magens und der Eingeweide anstren- gen, wie später aller Lehrstoff, von Kennern der Materie vorgelegt, ihr als Honig einging. Die Pferde zwischen ihren kleinen Schenkeln liefen am Schnürchen; stand ein Hindernis ent- gegen, nahmen sie es rücksichtsvoll mit sanftem Wiegen des Rückens, die Wagen federten unter ihr, und mit dem Feuer ausgesuchter Rassen sprangen Hunde. Blumen blühten im Sommer an den Wegrändern streng nach Vorschrift der Leitfäden für Gartenbau, der Kies war wie von Engeln geharkt, elegant stiegen Springbrunnen — in der blanken Na'tur der großen Parks gab es keinen Versager. Lusthäuser und Terrassen auf Anhöhen machten mitunter Regen und wolkiges Wetter notwendig, war man der Sonne und ihrer schmel- zenden Effekte schon müde. Im Winter brachten Automobile, reservierte Eisenbahnabteile flink zu Wegen, die gebürstet, Schlitten und Rodel in Kurven an Landschaften vorbeiführten, über- trieben hübsch in Anbetracht der Unmöglichkeit, bei des Gleitens Eile ihren weißen Reiz im Aug- apfel zu fangen. 4^ Auf Jagden war es drollig, fielen Huhn und . Hase im Feuer seiner Schüsse eher, als das junge Mädchen es hätte erwarten dürfen, und auch auf die Treiber mußte es nicht ängstlich achten, machte doch keiner um ein paar Schrote in Ge- säß und Wade unpassendes Aufsehen, Von einem überlegenen Leiter gelenkt, klappten die Auftritte des Spiels, dem sie zusah ; des Dargestellten Inhalt war lustig, an der Ausstattung nirgends gespart. Mit sich selbst mußte Yvette, wie jeder unter- haltene Zuschauer, sich nicht sonderlich be- schäftigen. Indem alle Welt für sie man in Be- wegung zeigte, sollte sie Beifall spenden, und da sie Ausstattungsmöglichkeiten in zahllosen Va- rianten gesehen hatte, war sie wirklich Kenner blendenden Scheins* Unterschied in der äußeren Aufmachung auch des Menschen Talmi von Gold. Frühmorgens brachte auf ihrer Glocke Ton ein in heller Wäsche glänzendes Mädchen sie ins Bad. Hätte den Verein der Kacheln und Metalle, wohlriechender Wässer und duftender Tücher sie sich dort vollkommener, das Reiben ihrer Haut ein einziges Mal eindrucksvoller vorstellen können, 42 die Bedienende hätte ihren Platz mit einer besser Geeigneten tauschen müssen • Solchen Eindruck empfing jedermann von ihr, und das hielt die Welt gewillt, vor diesen scharfen Blicken Außerordent- liches zu leisten. Der Maitre d'hotel, die Diener, Reiter, Jäger, Gärtner, Kutscher und Köche, die Jungfern, Stubenmädchen und Mamsellen stellten bei jeder Begegnung Glanz und Bezauberung ins Auge und schienen für die junge Herrin den Him- mel herabholen zu wollen. Doch auch Menschen höherer gesellschaftlicher Ordnung über Erzieher und Gouvernanten zu den im Haus gelittenen Gästen, ja Freunde der Familie waren bereitwillig, und immer mehr, als des Vaters Vermögen mit den Jahren ins Fabel- hafte wuchs, und der unzugängliche Mann die Neigung zur einzigen Tochter nicht verhehlte. Außer dem Vater, der ihre Welt bezahlte, sah sich Yvette niemand gegenüber, mit dem sie rechnen mußte. Doch auch an ihn wandte sie nur wenige Blicke und Liebkosungen. Ihr liebster Umgang blieb das Bild im Spiegel; ihre eifrigste Sorge, sich perfekt herzurichten. Morgens stun- 43 denlang den polierten Leib, den sie sorglos ihren 2^fen ausstellte, von den gewölbten ^Nägeln der Füße her über Flächen und Gefäll des Körpers, den mit Pudern und erfrischendem Essig man behandelte, zu den Zähnen, deren jeder in blitzen- den Stand gesetzt wurde. Bis an des braunen Haares Pflege ein halbes Dutzend Menschen An- teil hatte. Das Eintauchen in zarteste Wäsche ward durch Nachholen vergessener SoTgfalten stets noch unterbrochen; doch stand sie knapp und frisch in Beinkleid und Korsett endlich bereit für Stiefel und Kostüm. Der letzte Blick, ehe in den Flur die Tür man öffnete, griff im Glas ihre korrekte Erscheinung. Vom inneren Menschen wußte sie, daß Einge- weide manchmal kniffen, nach heftiger Bewegung das Herz klopft, und in den Hüften ein Organ sticht. Als später neue Wünsche sie rührten, erfüllte sie sie sich mutig wie die übrigen. Mit jungen Bauern auf des Vaters Gütern beglückte sie sich, 44 r\ mit Jagdgehilfen, oder was lockend und stark zur Hand war. Sie merkte nichts als das beson- dere Vergnügen, nicht Name und Art des Stif- ters. Um dessen ferneres Schicksal war sie nicht besorgt. Sie wußte, die 2^rten litten schweigend unter schnellem Bruch ; Brutale aber wurden wie die mit zu voreiliger Flinte verwundeten Treiber beruhigt ! Mit zwanzig Jahren war sie Weib der Gesell- schaft, schön und ein äußeres Muster. Als die ^Eltern den ersten Tanz für sie gaben, glaubte den Heiratsmarkt man offen, und es liefen die Be- werber herbei, jeder mit seinem besonderen Trick. Yvette wurde durch sie nicht bewegt, weil sie von ihnen nichts zu gewinnen sah. Das Männ- liche hatten sie schwächer als die jungen Stürmer in ländlichen Kulissen. Ihre gesetzten Worte schmeichelten kaum eindrucksvoller wie der Na- turburschen Blicke, und ihrer Zynismen Reiz war nicht spitz, wie von diesen ein gezielter Griff. Vor allem wußte sie die Welt bereit, ihre Wünsche ohne Umstände zu erfüllen, daß Abmachung aus solchem Anlaß albern schien. 45 fs So sagte sie den Eltern, Heirat und geübte Riten kämen für sie nicht in Betracht. Das gerüttelte Maß notwendigen Behagens sei ihr ohne sie gewiß. Einwänden der Besorgten be- gegnete sie so überlegen, daß besonders der Vater begriff, sie sei entschlossen, und aus ihrer Lebens- kenntnis der peinliche Zufall nicht zu besorgen, der seiner Lebensarbeit Ziel — Kapitalanhäufung — stören könnte. Im Gegenteil ward aus der Tochter Geständnis klar, die Reichtümer blieben nach seinem Tod in rücksichtslosen Händen, die ihren Wert kannten und Zersplitterung nicht dulden würden. Ein aus leidenschaftlichen Trie- ben geheirateter Gatte aber hätte in diesem Sinn um so größere Gefahr bedeutet, als hohe Abkunft ihn zu einer Verschwendung verpflichtet hätte, die gutem Ton gemäß seine Verachtung der angeheirateten Familie nach außen hin aus- drücken mußte. Ein Mann aber, notwendige Repräsentanz, praktische Forderungen zu er- füllen, sei je später desto besser gewählt, weil hier nur Erfahrung die geeignete Person ausfindig machte. 46 So konnten Fürsten und Herren den feierlichen Empfang nicht finden, den man ihnen in groß- bürgerlichen Salons gewährt, wo als Bewerber der Tochter sie auftreten, Yvette leugnete irgend- einen Vorzug, in dem diese Figuren sie überträfen. So gut gemacht sei sie wie jene, mit gleicher Sorg- falt erzogen, habe Umgangsformen und Be- ziehungen mit ihnen gemein. Aber durch ein klassisches Vermögen höhere Freiheit und' bessere Aussichten in die Zukunft. Sie schmückte sich mit ihnen nicht. Als Gefolge galten ihr am höch- sten Personen von besonderem AusdrucL Beim Eintritt ins Theater, auf dem Rennplatz, im Ball- saal sollte Begleitung bedeutend wirken. Aber nicht wie in der frühesten Jugend diente ihr dazu nur regelmäßig Schönes, sondern — und das bewies Entwicklung — jetzt kannte sie den Reiz gewisser Entstellung, und es gab Situationen, für die den distinguierten Krüppel sie dem glatten Beau vorzog. Als mit fünfundzwanzig Jahren ihre Büste reif, ihr Reiz verwirrend war, blieb festlichen Ver- 47 anstaltungen sie schon manchmal fem. Neben des Vaters Arbeitszimmer saß sie und hörte seiner Rede mit Männern des Geldes, königlichen Kauf- leuten zu. Erst packte sie die Leidenschaft, mit der die Leute von eingebildeten Werten wie von Wirklichkeiten sprachen, interessierte sie neuer Milliarden Schöpfung durch Ausbeutung der Bodenschätze des Landes und menschlicher Ar- beitskraft, allmählich aber ermüdete Teilnahme, als den ewig gleichen Vorgang sie simpel fand. Es bedurfte nach ihrer Meinung keiner besonderen Begabung, dafür zu sorgen, daß in keiner Erwerbs- gesellschaft das ^Verhältnis zwischen Betriebs- kapital und jährlichem Reingewinn den Betrag von höchstens sechs Prozent für die Aktionäre überstieg, im anderen Fall der Überschuß durch Kapitalsverwässerung in die Taschen der wenigen Bevorzugten glitt. Diesen Gedanken fand sie alt wie Astör und um so einfältiger, als die Regierun- gen wegen des Zinsfußes ihrer Anleihen solches Bestreben der Kapitalgewaltigen unterstützen. Wie sie der Aufhäufung großer Vermögen neben anderen Ursachen auch darum zustimmen, weil 4« man wenige bedeutende Steuerzahler leichter als die Masse der Kleinen übersieht und schneller mit ihnen abrechnet. Aus der '^Tatsache, die voll- streckende Gewalt geht mit dem Besitzer Hand in Hand, fand Yvette des Vaters Verhalten sogar altmodisch und gehemmt. Tauchte in Verhand- lungen der springende Punkt auf, war sie seines rücksichtsvollen Einwurfs gewiß, durch die der riesige Gewinn der betreffenden Unternehmung jedesmal in etwas geschmälert wurde. Sie ver- stand nicht, wie man ein Gesetz des Handelns anders als bis in die letzte Konsequenz vertreten konnte, sah ihren Vater als entschlossenen Aus- beuter menschlicher Arbeitskraft und Unter- nehmungsgeistes doch im gegebenen Augenblick zaudern, das betäubte Opfer völlig zu plündern. Darüber sprach sie mit ihm und wies seinen Ein- wand, man müsse, wolle man leben, andere schließlich gelten lassen, mit dem Hinweis darauf ab, seine Handlungsweise vermische zwei getrennte Auffassungen, für deren eine man sich entscheiden müsse. Noch immer rechne bei Geschäften er mit dem namentlichen Gegenüber, bestimmten ", 4 49 Persönlichkeiten, die ihm Vorstellungen schufen, durch die seine Entschlüsse beeinflußt würden. Während des werbenden Kapitals namenlose Ge- walt nur mit der Ziffer der umworbenen Geld- kraft und mit nichts sonst zu rechnen habe. Aus der Bereitwilligkeit, mit der sich Männer und Frauen ohne Ausnahme von ihr mißbrauchen ließen, suchte sie ihm der Menschheit geringes Bedürfnis zu freier Selbstbestimmung zu beweisen und seinen letzten Vorbehalt bei Erringuiig der Macht fortzuräumen. Der Gesellschaftsvertrag, behauptet sie, habe nicht mehr sittliche, sondern nur noch ökonomische Voraussetzungen, und Volk, daö sich in der Gesetzgebung durch Abge- ordnete vertreten lasse und mit Abgaben vom Einkommen die Erlaubnis, dem einzigen Drang des Verdienens nachzulaufen, erkaufe, wolle keinen eigenen Willen mehr, sondern Besitz als Ziel. Aber nicht Kritik, sondern Feststellung dieses Entschlusses sei notwendig. Er müsse seinen Er- folg bis ans Ende nützen, oder erwarten, von kühleren Spielern, überflügelt zu werden. Sie selbst, einmal Herrin des Vermögens, wolle kein SO Bedenken kennen. Insbesondere werde sie Macht, die Reichtum verleiht, den Einzelnen und wirtschaftliche Verbände zu bestechen und die Bestochenen für ihre eigenen Ziele zu beherrschen, zu unbekannten Erfolgen führen. So ließ der Vater, stolz der Tochter, Summen in ihre Hände fließen, daß sie selbständig über sie bestimmte. Als Yvette umsah, was in der Welt die Mühe lohne, besondere Mittel aufzuwenden, schien ihr neben der Kenntnis der Wirtschaftslehre nur Vertrautheit mit Kunstdingen wichtig. Religiöse und philosophische Systeme merkte durch die wirkliche Lage von neun Zehnteln der Menschheit sie für die Gegenwart so gebrandmarkt, daß um deren Wirkung auf Vernünftige sie nicht besorgt sein mußte. Hinter dem Vorhang aber, der Wesen und Willen der Kunst abschloß, schien eine Ver- einigung von Kräften zu leben, die irgendwie nicht wirkungslos war und ihrem Einfluß sich ent- zog. Zwar sah sie, wi^ auch da Kapital auf den 4* SI Betrieb drückte, des Kunstwerks gemeiner Wert durch der Reichen Bemühung auf . eine 2^1il gebracht war, mit der man, in der bildenden Kunst zumal, seinen Besitz gewinnen konnte und, angenommen, es bände das Gemälde des Raffael eine Summe der in der Kunst gewollten Energie, durch Kauf diese in seine Hand bekam. Auch der Dichter und Musiker Schöpfungen blieben ge- wiß nicht ohne Zusammenhang mit dem Geld. Man kauft ein Buch, spielt für den Eintrittspreis ein Schauspiel, eine Oper; was zusammen ihren Erfolg und ihre Wirkung ausmacht. Dennoch war hier das Gebiet, auf dem mit Rechnung allein man nicht herrschte. Des Mädchens Bedürfnis, das verwirrende Ge- heimnis aufzudecken, war freilich nicht stürmisch und trat vor winzigen gesellschaftlichen Ereig- nissen zurück. Immerhin blieb hier zwischen den Festen Anlaß zu Neugier und Frage. Einen Überblick über die vorzüglichsten Kunstleistungen vergangener Epochen zu gewinnen, war ihr leicht gewesen. Hatte sie doch nur, was teuer war, kaufen müssen, da im hohen Preis des Werks das 5^ kunstverständige Urteil von Geschlechtem nieder- gelegt war. Alle Kämpfe um Echtheit und Be- deutung der Ware mußte sie nicht mehr aus- fechten. Der Einser mit vier oder fünf Nullen war Gewähr für ihre Geschätztheit und damit für die innewohnende besondere Gewalt, So hingen in ihren Zimmern großer Meister Bilder, standen dort Ausgaben berühmter Drucke. Sie selbst fühlte aus ihnen keinen anderen Reiz, als den des befriedigten Reichtums, der sich am Neid der Mitmenschen wohltut. . Doch sah sie zartere Seelen durch sie nicht nur in dem Sinn beein- flußt, den Aufenthalt unter schönen Gegen- ständen auslöst. Es strahlte aus ihnen vielmehr Erregung, die man sonst an ihnen nicht wahr- nahm, und die sie gelegentlich aus Yvettes Welt hob. Als wären die Flächen Leinwand Stocks lustlicher Kräfte, die verwirrend in den Be- schauer fuhren und ihn sphärisch belebten. Yvette, die sich auf Wollust verstand, die ihr eigener Leib hergab, schien in ihm ein Gleichnis zu haben, das sie unterrichten konnte. Bewegte zuchtlos sie sich vor einem Mann, ließ plötzlich 53 durch Faltenwurf das Verborgene ahnen, zeigte der ähnliche Entrücktheit. Hier war ihr das Phänomen als Naturkraft deutlich, das als Mittel, der Frau zum Anschluß an des Mannes Er- folge zu helfen, nicht außerhalb des Tanzes um das goldene Kalb stand. Was aber taten Männer mit einer Geheimkraft , die, das Leben mit für Geld nicht käuflichen Lüsten zu schmücken, be- hauptete und sich stellte, als sei neben dem Gold sie wesentlich ? Was in . ihrem Umgang Künstler hieß, und waren es die bärtigen Häupter der verschiedenen Kunstrichtungen, erleuchtete sie nicht. Sie gaben himmHsche Antworten, waren aber im Eigent- lichen irdisch bewegt und schienen außerhalb der Fachgespräche wirtschaftlich und kontokorrent. Selbst die mit rebellischen Schlagworten auf- brausenden, staatsbürgerliche Pflichten schmä- henden Jünglinge und Mädchen aus den ästheti- schen Kaffees zeigten vor einem wirklichen Scheck sich so bürgerlich verbindlich, daß Yvette mit beinah dreißig Jahren geneigt war, »das neben dem kapitalistischen Gesetz, in dem der Weltball 54 schwingt,: vorgeblich lebendige Element der Kunst ^k Produkt ihrer Einbildung, bestenfalls, als eine historische Angelegenheit zu nehmen und das mystische Verzücktsein vor Bildern und musischen Werken als ein Convenu ansah, das mit anderem gesellschaftlichem Übereinkommen sie sich zu eigen machte. Während sie heimlich Bilder der Macht baute, ihrer Nächte Kitzel menschliche. Katastrophen blieben,, die wie riesiges Aas der kapitale Geier sie ;in der Einbildung ausweidete, täuschte mit Aper9us aus künstlichen Revuen sie den Schein, eines empfindsamen Herzens vor, ; Ihm erlag auch Rene Maria Bland, der Dich- ter, trug seine hohen Strophen er vertrauensvoll ihr vor,. Sie lag' im Stuhl, Blick schwärmend in den Himmel gehängt. An ihrer Erstarrung rückte kein Schwung, nur im Seidenstrumpf die Wade hatte hoch geflaggt. Schwieg er, irrte blind ihr Blick um seine Wimpern, Hippte jauchzend ins Leere. InnerHch aber fand sie es stark, wie dieser stämmig-derbe ' Mann mit gesundem Verstand in aufgeregter Zeit vor sich selbst und dem Publikum auf dem Kothurn 55 ging. Bedachte Yvette, wie vor einem ver- hängten Hintergrund leidenschaftlicher Möglich- keiten, mit Sprengstoff geladener Aussichten dieser schöpferische Geist auf Teppichen unter Palmen schritt, allem Irdischen entsinkend, hatte sie Lust, über den Sänger zu lachen, der Esel und Nachtigallen besang, die Menschen in ihrer Not aber schnitt. Sie hätte ihn, der arm geboren, ohne Vermögen ein Leben des Zufalls fristete, auf der Ausgebeuteten Seite sehen wollen, mit Leiden- schaft Geplünderte zum Kampf führend. Dann wäre vielleicht er ein Gegner gewesen, der ihr Leben aus erhabener Langerweile gerissen hätte. Je näher sie ihm kam, um so entschiedener merkte in zwei Wesen sie sich zerrissen, deren eins, die Frau von Welt, den kostbaren, bunten Vogel hätschelte, sein schillerndes Gefieder sachver- ständig beliebäugelte; doch in ihren tieferen Be- zirken empörte sich gegen seine Anmaßung schlich- tes Menschtum, zu kurz erst aus des Volkes Tiefe gestiegen, um nicht seine Gelassenheit zu ver- werfen. Denn stand sie rücksichtslos der Welt ent- gegen, wußte sie doch, durch Raub und Frei- 56 Tjeuterei bereichere sie sich, und empfand zu- sammen mit ihrer Grausamkeit alles Weh der Be- raubten als des Daseins Sinn und Genuß. Führte aber Rene die gepflegte Hand vor Augen, um un- bewegt der Nägel Glanz zu prüfen, hätte mit •einem Satz sie diesem Mann in sein zerbrechliches Geschirr springen mögen. Als nach des Vaters Tod sie der Geschäfte Führung ergriff und an stählernen Hebeln die mächtigen Betriebe lenkte, gab sie ihm Einblick in die brutale Gewalt, mit der die zu Gruppen gekuppelten Milliarden über des Einzelnen Be- sitz, die Leichname wirtschaftlich Schwacher schritten. Finten und Fallen des Aktienwesens enträtselte sie ihm und zeigte den mittleren Ak- tionär als Spielball der großen Schieber* und Grün- derfamilien ; bewies ihm Schliche und Spitzfindig- keiten bei Errichtung von Tochtergesellschaften, die Kautschukmoral ihrer in Mußestunden Traktate, die als seelischer Ablaß gedacht waren, schreibenden Präsidenten und Generaldirektoren, und wie bürgerliches Los von Familien, Glück von Gatten, Bräuten und Kindern täglich in ihren 57 Fingern hing. Endlich, welch politische Gefahr durch ihresgleichen die Völker liefen, nicht fähige den Drang des kulminierenden und über die Landesgrenzen in benachbarte Staaten einbrechen- den Kapitals zu hemmen. Sie behauptete sich als- der Gegenwart säurendes Element, das Macht habe, alle Voraussetzungen der Welt zu zerstören und in der Vergessenheit Meere zu schwemmen. War so sie entflammt, und zischte der Selbstsucht Gift von ihren Lippen, sah er sie aufmerksam wohl an, ließ vorurteilslos anerkennend sich ver- nehmen. Doch nahm sie anderen Eindruck auf ihn nicht wahr. Sie schlief bei ihm, und in allen Stationen ihres Beisammenseins belohnte er sie mit vollkommenen Metaphern.» Doch gab er sich nicht hin, und seines Leibes Teile wurden aus der Ruhe durch sie nicht gesprengt. Während Yvette ihres Blutes Lava auf ihn stürzte, ward seine Form nicht brüchig. Wie Tasso verließ er den Alkoven und war im Unterhemd gleich wiedet Bronze und ^Basalt. Schon erschrak sie in der Erkenntnis : was bedeutet ihre Bosheit, aller in ihr aufgehäufter Behaup- 58 tungswille gegen seiner Methoden Unmenschlich- keit? Wie grausam sie auch war, stets lebte der Gegner ihr gegenüber mit schönem Feuer seiner Eigenschaften. All die Geprügelten, Vernichteten kamen vor ihr mit der Macht ihrer Tempera- mente zur Geltung, und der bedeutende Feind hinterließ in ihr sogar ein Andenken* Dieser aber schritt durch die Zeit, ohne von abermiUionen Menschen Kenntnis zu nehmen, verwarf abermals Millionen, die unter den Zeit- genossen sich einen Namen gemacht hatten, . und merkte auch die erfolgreichsten nicht. Nannte in seinem Werk nach eigenem Gesetz, was ihm gelungen schien, und nur davon kam an die Nach- welt Kunde. Der Rest war Schweigen. Nicht durch sich selbst verkörperte sie schon die Industrie der Epoche. Dieser Mann erst, von namenlosen El- tern geboren, hob sie, wenn es ihm gefiel, als we- sentlich aus Zeit in Ewigkeit. Unbefangen, unabhängig, einer Sendung hingegeben. Als mit seinem gegen alle Widerstände stets wachsenden Ruhm diese Gewißheit von ihm feststand, war Eitelkeit in ihr ihm so verhaftet, daß seine An- 59 erkennung ihres Lebens Ziel wurde. Spürend aber, sie möchte ohne weiteres die von ihm ge- forderten Eigenschaften nicht besitzen und zu faul, den Versuch zu machen, sie zu gewinnen, war sie bereit, Zustimmung mit aller Macht ihm abzulisten. Es schien ihr sogar das höhere Vergnügen, auf betrügerische Weise seine Bewunderung zu er- langen, weil sie damit zugleich das Bewußtsein geistiger Überlegenheit über ihn haben möchte. So bereitete sie alles wie zu ganz großem Ge- schäft vor, bei dem der Gewinn verwegenen Einsatz lohnte. Seine Sehnsucht hörte sie ihm ab und spielte sie. Plötzlich stand wie fernen Traums Er- füllung sie vor ihm, den mit Jubel nicht nur er mündlich begrüßte, sondern für den in hymni- schem Schreiben er ihr dankte. Wie Quittungen sammelte sie die Briefe und frohlockte, wie die Summe des ihr von ihm Bezeugten gewaltig stieg. Sie konnte sich nicht enthalten, besonders krasses Lob dem zukünftigen Biographen seines Lebens mit Tinte in ihnen anzustreichen. Ließ zu Wor- ten, wie „Meines Wirkens treibende Kraft", „Mein 60 Gewissen, Vorsehung du" er sich ihr gegenüber schriftlich hinreißen, spürte sie seines eventuellen späteren Widerrufs Risiko für sie sich mindern und hatte einen frohen Tag. Seines Lebens letzte Heimlichkeiten zog sie aus ihm heraus und depo- nierte sie, für zukünftige Leser mit allerhand gutem Rat und geistreichem Zuspruch von ihrer Hand drapiert, in ihren antwortenden Zeilen. Sie prostituierte seine Scham und buchte als Effekt: schwört, mit tausend Eiden selbst, er später meine Unzulänglichkeit, hier besitze ich, heilig und oft von ihm beteuert, meine Bedeutung, kommenden Geschlechtern garantiert. Als drei Bände gesammelter Briefe von ihm^ ihr erläuterndes Tagebuch über vier Jahre im Safe lagen, war sie bereit, mit ihm zu brechen. Denn da die fortdauernden intimen Zusam- menkünfte zu geringstem Genuß nicht mehr dienten, er aber alles, worüber er verfügte, ihr schriftlich in die Ewigkeit versichert hatte, da außer in Deutschlands Geldwirtschaft sie nun auch ftir Deutschlands Kunstgeschichte feststand,, glaubte fernere Jahre sie getrost und ungestört 6i Geschäften widmen zu sollen, die lockend sie reichlich erwarteten. Als freundlichen Abschied sie voneinander nah- men, hatte des Siegers Lächeln dem vollkommen Geplünderten gegenüber sie in den Mundwinkeln, und sah ihn als den geleerten Sack, der erledigt in eine Ecke fällt. Im nächsten Frühjahr ging, von Arbeit er- schöpft, sie nach Baden-Baden* Bäume wollte sie, grüne Flächen sehen, etwas, das sie mild aus Zahlenreihei;! und Entwürfen für ein Weilchen löste. Keinen Sekretär hatte sie bei sich^ Post und Telefon wurde ihr nicht zugemutet* Sie 62 aß, schlief und fuhr in einem mit apfelgrauen Schimmeln bespannten Landauer in die Sonne spazieren, Beine auf die Gegenbank gelegt und ohne Gedanken. Lag morgens sie zu Bett, spürte sie nur des Fleisches zunehmende Erholung und Frische, und es fiel ihr ein, sie sei noch nicht fünf- unddreißig Jahre alt, und habe sie auch des Le- bens Bilanz gezogen, bleibe der sanftatmende Leib dieser jungen Frau dem Auge doch noch wohlgefällig. Im Zimmer nebenan sprühte mit Tagesanbruch immer munterstes Leben. Silbernes Kichern kitzelte einen Baß aus dem Schlaf und stürzte in Katarakten sich über seine gutmütige Empörung. Dann kam Gefauch, Geseufz, und zum Schluß sprudelten Wasser aus allen Wänden. Endlich trat auf den Balkon neben dem ihren ein Geschöpf, dem Morgensonne durch hellblauen Schlafrock in lauter Blond und Rosa schien. Yvette lebte des verrückten Paars Leidenschaft durch die Wände mit. Gipfelten die sich drüben in meckerndem Ächzen, lächelte sie skeptisch dazu und beteuerte sich: es käme letzten Endes nicht Ö3 viel dabei heraus. Hinterher müsse trübe Konver- sation man machen, während empörte Selbstsucht die Schlacken aufräumte, die der eigene Leib bei der Verbrennung angehäuft habe. Des Vorgangs Me- chanik sei in seinem Abschluß schlecht balancierte Höhe und Abgrund, Jubel und Gähnkrampf lägen zu hart beieinander. Aber drüben verebbte ihrer Erwartung ent- gegen doch nicht der Sturm. Betrat mittags, abends oder morgens sie ihr Zimmer, zwitscherte nebenan das Geschnäbel, lächerte es hell, und gur- gelte des beglückten Manns sonores Lachen. Dann hüpften flinke Füße, schwere polterten nach, ein Möbel knarrte, eine Tür widerstand, ein Schrei schnitt die Luft. Atemlose Stille, bis wie- der plötzlich der Diskant Kaskaden schmetterte» Nach einer Woche mußte Yvette das Abenteuer als das Phänomen anerkennen, das es war. Sie, der der Zeit erhabenste Möglichkeiten aus vielfachen Ursachen am reichlichsten gegönnt waren, hatte im Räderwerk von Geltungskämpfen nie und nir- gends auch nur annähernd die Möglichkeit ge- funden, der Liebe solche Macht und Selbständig- 64 keit zu geben, wie das von dem benachbarten Paar mit entrückter Natürlichkeit und Ausdauer ge- sch^ah, die sie allmählich empörten. Denn — gab es das auf Erden — wäre sie, Yvette, doch die zuerst Berechtigte gewesen, ihrer Schönheit wegen, und weil kein irdischer Mann lebte, den für ihr Glück sie sich nicht kaufen konnte. Sie stellte fest: mochte der Frau un- bändiges Vergnügen auch eine um des Manns Zufriedenheit gespielte Rolle bedeuten, er aber, der als ein nicht zu Besiegender immer wieder in des Genusses Wirbel sprang, begann ihres Lebens unwiderruflich gemachte Erfahrung in Frage zu stellen und sie innerlich zu beunruhigen. Hatte von der beiden Getändel sie aufch jede Nuance schon in den Nerven, fleischliche Heiter- keit, des Wortes derbe Freiheit, die doch immer voll geistige! Distanz blieb, ihrer Wässer und distinguierten Seifen Duft, selbst der Wäsche be- stimmtes Knistern, kannte vom Balkon her sie des jungen Weibes Gesicht und Teile ihrer ausge- stellten Nacktheit, war vom Sultan kein Schatten je sichtbar geworden, und es fing ihres Lebens II, 5 6s dringendste Neugier zu werden an: wer war er, der ihre Rechnung mit Männern Lügen strafte ? Als eines Morgens sie aus dem Zimmer kam, trat er aus dem seinen: Bland! Nicht zum Be- such bei jenen war er gewesen, sondern er selbst war der Wohnung und der Frau Gebieter. Ohne Verlegenheit begrüßte er sie, während sie er- glühte, als träte der Gott aus den Wolken zu ihr. Plaudernd führte zum Haus hinaus er sie durch Alleen in die Berge, und plötzlich lag über ihn er- höht unter Bäumen sie einem grünen Abhang hinan. Noch immer war sie sprachlos, und wie einem kleinen Mädchen klopfte schüchtern ihr das Herz. Aus seiner geoffenbarten Kraft sollte auf sie nun augenblicklich Souveränes und Unwider- stehliches kommen. Zum erstenmal in ihrem Leben war sie Beute, hatte keinen Vorsatz, nicht den kleinsten Gedanken, und es bebten die Beine, die ihm zunächst lagen. Nun mußte die Faust fallen, die in ihres Lebens Mitte sie zerschlug. Doch blies der Mann gelassen Rauch von sich, zog ihr den hochgeschlüpften Rock fest über die 66 Waden und sprach : „Die Frau, mit der ich lebe, hat die starken Instinkte, mich nach einem Leben von Formeln und Begriffen flüssig und mensch- lich zu machen. Ich bin nicht mehr Rene Maria Bland, mit dem der Tag nicht lohnte ; aber ich bin auch keiner, mit dem eine andere Frau die Verknüpfungen haben könnte, in denen er mit der einen lebt. Am wenigsten Sie, Yvette. Umsonst und in einem tieferen Sinn sehe ich Sie neu für mich bereit. Doch sind Sie wie ich kein Lebens- quell. Mit hoher Vernunft und klugen Gedanken verharren wir stumpf, und ist unsere gewählte Geistigkeit auch selten, die Frau, die ich liebe, bleibt auf Erden das Allerseltenste, und mir ist ihr männliches Gegenstück nicht begegnet ; so daß nicht einmal für Ihre Zukunft ich Ihnen Hoffnung geben kann. Diese sprüht an den Brüsten; und wo ich sie fasse, ist sie Strom, der mit Feuer aus Auf- speicherungen mich lädt. Immer ist sie kraft- voller Beginn, und hinterher sogar scheint ihr Geschlecht das Allernatürlichste. Nichts kommt darauf an, ob sie lacht oder weint, vom Sinn ihrer 5* (^1 Worte, von ihrer Entschlüsse Wert hängt das Ge- ringste nicht ab. Sie mag leiden, sich freuen, wachen oder schlafen — stets entsfeigt ihr das . Ursprüngliche, von dem alles Gebären und Frucht, Yvette, kommt!" 68 SCHUHLIN Ob der musikalischen Erfindung des Ludwig Schuhlin Größe in dem Umfang innewohnt, wie er selbst sie ihr zumaß, wird die Zeit lehren. Ob im Gewissen er die gewaltige Überzeugung hatte, die er zur Schau trug, weiß Gott allein. Die ihm nahe standen, sind von seinen Stücken angerührt worden; die weitere Welt hat ihnen den Erfolg versagt. Schuhlin kam aus der Tiefe des Volks. Prole- tarisch ernährt und erzogen, lief ihm bis ins Jüng- lingsalter das Leben schmucklos hin. Ein Piano- forte, aus einem Erdgeschoß klingend, traf zum erstenmal sein Herz mit edler Empfindung und ver- setzte ihn in Schwung, dem er nicht mehr entrann. An eine Regentraufe gelehnt, hörte in der Folgezeit er viel feierliche und fröhliche Musik, die sich in seine Seele senkte. Bis eines Tags er entdeckt, von dem gerührten Spieler in dessen Umgebung ge- zogen wurde. Näher hinhörend, lernte er nun 69 des Spiels Elemente, griff bald und begriff die Tasten und ihre Bedeutung. Die Welt ward ihm völlig Klavier. In Terzen, Quinten, Oktaven sprang sein Denken, Dur und Moll spannte sein Herz. Über die Leiter der Schubert- und Beet- hovenschen Empfindungsstürme entrückte er dem gemeinen All und stand mit zwanzig Jahren in Kleidern des Kleinbürgers, die Stirn in den Sphären auserwählter Menschheit. Geld auf Fahrten ver- dienend, die mit einem Flötenbläser, einem Trompeter über die Märkte seines Bezirks zu Kir- mes und Kirchweiher unternahm, gab er es nur zu Teilen für seinen Unterhalt aus, verwandte das meiste für den Unterricht bei bedeutenden Leh- rern, bis große Klavierstücke er technisch vollendet so selbständig aus dem Flügel hämmerte, daß ihm innere Bewegung verständiger Zuhörer überall ge- wiß war. Da verließ er die Heimat und gewann auf Reisen beträchtliche Sicherheit der Lebens- formen. Man traf ihn im Frack, den er nicht übel zu tragen wußte, in den Salons situierter Kauf- leute nach dem Abendessen vor dem Klavier. Den schönen^Kopf auf freiem Hals über das Notenblatt 70 gehoben, spielte er, und bürgerliche Frauen im Umkreis öffneten ihm die Herzen. Stand er auf, kam, noch getragen von rhythmischen Wellen, durch den Raum, senkte den Blick er in begeisterte Augen, die er merkte, und von denen er Lohn for- derte. Überall nahm das leicht zu ergreifende Weib mittlerer Kreise er als Beute, schüttelte ihr ge- ringes Eigenteil aus ihr heraus, mit dem er sich stärkte. In immer bessere Zirkel brachte ihn die mit Begeisterung geübte Kunst, und es fehlte ihm schließlich bedeutendes Einkommen, lebhafter Beifall nicht. Sein Selbstbewußtsein verlangte als- bald überzeugendere Erfolge : die Verehrung einer großen Dame, Freundschaft eines in den Künsten dilettierenden Mannes von Welt. So wurde er der repräsentable Geliebte manch reicher Frau, die sich langweilte ; geistiger Zusammenklang eines bla- sierten Dandys. Doch war Hingabe und Aufopferung von seiner Seite größer als desjenigen, der den Bund mit ihm einging. Denn seines Gehirns Kraftentfaltung war das Äquivalent zu ruhenden Gütern, die der andere aus Geburt und Vererbung besaß. Nie war 71 Schuhlins Übergewicht von vornherein so groß, daß ein Mensch sich einfach ihm beugte. Er be- durfte des polierten schwarzen Kastens, Auf- merksamkeit für sich zu erzwingen, die seine Eigen- liebe wollte. War aber Zuneigung einmal erlangt, wuchs nie er allein dem andern ans Herz, sondern Vorstellung gespielten Klaviers, musikalisches Ge- nie eines Toten mit ihm. Aus Liebesversunkenheit lallte die Frau nicht das bezügliche Wort, aber eine empfindsame Tonfolge, deren Schöpfer nicht, deren Vermittler er war. Das heimlichste Gespräch, jeder kostbare Augenblick des Lebens glitt über ihn hin zu den ursprünglichen Geistern, deren Einfälle er auf Tasten abspielte. Im zarten Anschlag einer Nerve noch spürte er vom Nächsten her Atome eines Gefühls, das über etwas prompt zu Lieferndes quittiert. Wie ein blasiertes „danke", das man dem Bedienten lispelt. Kein spontaner Dank, kein Jubel kam ihm ent- gegen und hob sein Herz zu den Sternen auf. Da- von wurde er krank, begann alles Erreichte, den augenblicklichen Zustand zu hassen und floh schließlich aus bequemen Verhältnissen aufs Land, 72 wo in einem Bauernhaus am Seeufer er Vergangen- heit und ^ukunft umständlich bedachte. Er begriff, reproduzierende^ Künstler tum konnte der Hebel nicht sein, mit dem Welt aus den Angeln sich heben ließ, der in ihm gärende Macht- hunger zu befriedigen sei. Keinen Augenblick zögerte er, alle Brücken zur Vergangenheit abzu- brechen, verschwand vollständig von der Welt- bühne und rollte wie ein Igel sich in des länd- lichen Platzes Einsamkeit, wo er drei Jahre lang das eigene, mächtige Wesen in Scharniere preßte, nicht einen Hauch seiner Person durch Gespräch oder Mitteilung entweichen ließ. Wie in einen Spartopf senkte mit grimmigem. Lächeln er jeden Einfall, allen Gefühlsüberschwang in das eigene Innere, verbot sich den winzigsten Gedanken von sich fort. Abends im Bett faltete Hände er über den schwellenden Bauch und freute sich, als schließlich Wesensüberfülle innen gegen des Leibes Wände tobte. Nachdem der Stärke des Drangs und seines Umfangs er sicher geworden war, legte er weißes Notenpapier vor sich hin, und wie durch geöffnete Hähne hochgespannter Dampf mit Kraft 73 auszischt, fuhr jäher Empfindungssturm in Noten Kopf an Kopf über die Seiten. Er sah die ersten Niederschriften durch, verglich sie und begriff ihren unterschiedlichen Wert. Auf Spaziergängen ließ er das mindeste gelten, nahm es in sich zurück und sah bei erneutem Ausbruch die geläuterten Themen in gültiger Form als sein erstes Lied auf- gezeichnet. Aus den Gedichten Hoelderlins wählend, was durch des Gedankens Verwandtschaft etwa ver- eint war, drängte in heftigem Schaffenssturm er an zwei Dutzend Gesänge zyklisch zusammen und erschien mit dem Manuskript von neuem in der Hauptstadt. Er versammelte den Kreis ehemaliger Freunde und spielte ihnen das Werk mit so innigem Ausdruck, daß die Zuhörer gepackt waren, er selbst von seiner einzigen Bedeutung überzeugt wurde. Mit Wucht etablierte er jetzt vor sich und anderen des Genius Geste, der außerordentliche Rechte hat, und nahm ohne Bedenken von bemittelten Anhängern den monatlichen Zuschuß, der ihn er- nähren mußte. Saß nach dem Vortrag einer ge- lungenen Komposition die Gesellschaft in Ergrif- 74 fenheit um seinen Platz am Flügel, brachte er ihr, von Schöpferglück geschwellt, leicht die Über- zeugung bei, es sei ihres irdischen Daseins besserer Zweck, 'auf alle erdenkliche Weise ihm über des Lebens Härten zu helfen. Ihr Lohn sei ihnen in seiner Lebensbeschreibung gewiß. So ließ geschmeichelte Wohlhabenheit sich zu größerem Aufwand herbei, verschönte sein Leben mit prak- tischen Gaben nicht nur, sondern mit verschwen- derischem Lob* Er aber, Anerkennung von überall her unersättlich schlürfend, schwoll zu einem Koloß des Selbstbewußtseins, der alsbald nicht duldete, daß in dem von ihm beglückten Haus von anderem die Rede war als von ihm selbst, wobei es ihm gleichblieb, ob seine menschlichen oder künst- lerischen Eigenschaf ten man mehr verherrlichte .Da- zu schied den Freund er vom Freunde, indem er den verächtlich machte, Gatten voneinander, weil jede Gemeinschaft zweier Wesen seinen Zwecken ge- fährlich schien. Nie versäumte er, war ihm aus seiner Person Überlegenheit ein Eindruck gelun- gen, auf die Niedrigkeit jemandes, der bedürftig war, hinzuweisen. Wie zum Teufel verdiente der 75 • Betreffende Teilnahme, während Auserwählte müh- selig ihr Leben fristeten i Müsse er nicht immer noch, nachdem Gott ihm schon den genialen Einfall seines großen Klavierkonzertes geschenkt hatte, auf die notwendige Erholungsreise in den Süden verzichten ? Wer von den Anwesenden ahne überhaupt etwas von den zerfleischenden Ausglei- chungen, die in der Seele dämonischer Menschen stattfinden? Und von Ergriffenheit über sich selbst gepackt, vermochte ein Tonstück er so rüh- rend zu spielen, daß die im Gewissen gemahnten Freunde sich ernstlich bedachten, ob ihnen vor Schuhlin Besitz erlaubt sei. Es lief der Hausherr schnell zum Bücherschrank, und ein kostbares Werk aus den Reihen nehmend und dem Meister zum Andenken an den feierlichen Abend reichend, zwang er Tränen aus den Augen der übrigen, die sich insgeheim jeder ein weiteres Opfer gelobten. Als aber Schuhlin sah, welch unwiderstehliche Macht er auf törichte und eitle Menschen hatte, ergriff ihn die Vorstellung phantastischer Mög- lichkeiten. Wirkung auf sie, Absicht mit ihnen wurde ihm des Lebens Hauptzweck, und er ließ 76 seine Arbeit ruhen. Mächtig reizte es ihn, fühlte er eines Opfers Bereitwilligkeit, dies weit über ur- sprünglich gesetzte Grenzen zu stoßen. Wider- stände mit Worten, rührenden Gebärden sanft fortbiegend, schritt über des Schwächeren Willen er auf Ziele 'Zu, die ihn anfangs nur mit der Wonne, Sieger zu sein, beglückten. Später aber sog aus fremder Person Überwindung er umso größeren Genuß, je mehr der Besiegte und wenn möglich ein dritter durch sie verächtlich wurde. Denn aus der Niederwerfung sittlich Entseelter trank müheloser und gründlicher er den Rausch zügellosen Selbstbewußtseins. Aber die auf die Knochen Geprügelten fingen an, ihn zu scheuen und mieden ihn schließlich. Fama begann, Neu- gierige zu warnen. Wie er auch seine Anstren- gungen verdoppelte, Ruten geschickter legte, die Opfer wurden selten und magerer, und auch die letzten Versuche, die mit Aufwendung gleißne- rischer Tränenströme und hysterischer Erschüt- terungen er anstellte, einstiger Macht entscheiden- den Erfolg zu spüren, schlugen fehl. Die Wirkung des allzusehr bekannten, oft gehörten, wenig um- 11 fangreichen musikalischen Werkes einerseits,^ seiner menschlichen Spiegelfechtereien anderseits war er- schöpft. Es drückten ihn die unwiderstehlichen Energien der großen Städte in den Schatten. Innere und äußere Existenzmittel begannen, immer mehr zu fehlen. Ehe noch das Elend ihn völlig erreichte, war zum zweitenmal in ländliche Vergessenheit er enteilt, angefüllt mit Haß gegen die Welt, die seinem eisernen Griff entschlüpft war. Er begriff nicht, wie der schlichte Mensch, der bei Verstand war, sich der Wollust, von ihm Gottbegnadeten beherrscht zu werden, entziehen mochte. Dieses Gottesgnadentums recht deutlich selbst wieder inne zu werden, setzte gleich er sich zu ernsthafter Arbeit nieder und entzündete sich an der unbe- siegten, ja erweiterten Schöpferkraft, die aus ihm brach. Begier, Machtwillen, Dämonie, den Ver- ein ihn aufwärtsstoßender Triebe türmte er zu Tongebilden, aus denen nach Ausbrennung der Schlacken heroisches Menschentum klang. So fin- 78 den am strahlenden Sommertag wir ihn bei offenen Fenstern vor dem Instrument;. Die Beine wuchtig ins Pedal gestemmt, zwei gespreizte Hände voll zucken- der Tasten, schlägt die gesammelte Person ihren unbeugsamen Willen prachtvoll aus dem Klavier. Es gab keine Seele im Dorf, die von der Schall- dynamik aus Schuhlins Haus nicht irgendwie be- rührt wurde. Mit Widerstand oder andächtigem Hinhören nahmen sämtliche Bewohner zu ihr Stel- lung. Klara Kroeger, eine junge Blondine, die in dem waldreichen Ort Erholung suchte, wurde von ihr, wie einst der halberwachsene Ludwig vom Spiel eines anderen, augenblicklich im eigenen Wandel aufgehalten und zum Ausdruck fremden Ichs gezogen. Auch sie umkreist mit angehaltenem Atem das Haus, in dem Gefühlsstürme jauchzen, auch sie wird, Hände gegen die hochwogende Brust gedrückt, vom Spieler zuerst durch das Fen- ster gesehen und läßt sich, halb fähig, halb unfähig, sich noch zu entfernen, von ihm dort finden. Ihn umhing noch die ganze Pracht und Wärme der aus ihm entbundenen Kraft, als er kam, sie stak noch in der Hingabe Mitten, da zum Willkomm er sie 79 bei der Hand nahm. So führte er sie ins Haus zu ihrem Platz dicht bei ihm im Zimmer und voll- endete am gleichen Tag das Werk der Verschmel- zung ihres Schicksals in das seine. Doch wie vieler Menschen Los auch vorher von ihm abgehangen, um jede Seele hatte gegen Wider- stände er kämpfen müssen, bis sie erlag. Und » auch dann noch hatte es Augenblicke gegeben, in denen der Unterworfene zu eigenem Willen sich zurückfand. Hier aber lag seinem gierigen. Blick die junge Person vor jeglicher Empfängnis bloß. Haut und Haar, jeder Eingang Leibes und der Seele war unbefleckt. Es atmete ihn Erstaunen, gerührte Überraschung zu jeder Geste an, als be- wege mit Schöpfers Fingern von allen Dingen dieser Welt er zum erstenmal die Schleier fort. Er sah sein plattes Wort entwirrte für sie noch irgendein Geheimnis, und so willige Andacht bereitete ihm unaussprechliches Vergnügen. Denn unumschränk- ter als je über einen Menschen herrschend, spürte er, welcher Kräfteaufwand bei ihr erspart war. Hier blieb vom Aufstehen bis zum Nieder- legen er König, ohne mehr als der seiner läßlichen 80 ^ Bequemlichkeit hingegebene Mensch zu sein. Sie war, wo immer sie sich um ihn bewegte, seines leisesten Rufs nach Anerkennung stets bereites Echo. Tauchte in seines Auges Grund Herrsch- wiUe nur erst wie ein Flämmchen auf, breitete vor ihn wie einen- Teppich sie weibliche und menschliche Bereitwilligkeit. Wohin er treten wollte, da kniete sie schon, ihn huldigend zu emp- fangen. Sein «tets möglicher Marsch durch sie hin- durch räumte ihm die Vorstellung etwaiger Wider- stände von außen gegen ihn und sein Werk aus dem Bewußtsein und vollendete in diesem Mann ein Maß von Selbstbewußtsein, das man sonst nicht in der Welt gesehen. Es erhielten zu dieser Zeit seine Bewegungen eine Wucht und Schwere, als wirkten innen mäch- tige Gewichte. Er sprach mit so ungeheurem Pathos, als müsse dem Hörer Rede eingestampft werden. Daß er diesem gesteigerten Ausdruck einen einigermaßen entsprechenden geistigen In- halt unterlegen konnte, war Folge einer Selbst- erziehung, die mit dem übrigen Fortschreiten Hand in Hand gegangen war. 11, 6 8i Band er sich damals morgens vor dem ovalen Spiegel im Schlafzimmer die Krawatte, sah über seine Schulter das bezauberte Mädchen, trafen sich im Glas ihre begeisterten Augen mit dem naiven Ausdruck: welch ein Mann, Ludwig! Klara, sieh doch, welch ein Mann! In inniger Gemeinschaft mit dem Weib ent- stand so manches Werk, und da es den Musiker letzthin deuchte, es würden die kleinen monat- lichen Beiträge, die zwei treugebliebene Anhänger ihm von der Stadt her sandten, und die sein ganzes Einkommen ausmachten, unpünktlicher und weni- ger gern gezahlt, beschloß er, wie zu einem Vor- stoß von sicherer Warte aus, sich vorübergehend in die Welt der Menschen zurückzubegeben. Aber so mächtig war einst der Eindruck auf die Freunde gewesen, daß sie das Mal seiner Herrschaft noch im Fleisch spürten und nicht Lust hatten, es ver- tiefen zu lassen. Sie versteckten sich, und es gelang nur an einem Abend, mehrere Verehrer von ehe- mals in ein Zimmer zu versammeln, wo sein symphonisches Stück über ein ländliches Thema er spielte. Die Hörer, mit grimmiger Abwehr gegen 82 ihn gewappnet, blieben kühl und vollkommen höf- lich. Unmittelbar nach dem Vortrag reichte man zu essen und zu trinken. Vereinter Wille hielt das Gespräch von seiner Schöpfung fern. Andern Tags fuhr er heim, und Klara war seines Ausdrucks kaum ansichtig geworden, als mit der Erzählung eines Traums sie ihn überraschte, in dem er den schier beispiellosen Enthusiasmus einer vor das Haus versammelten Menge entgegengenommen hatte. Vorher aber sei im Traumbild eine über- irdische Person aufgetreten, die ihr verkündete, es stünde dem geliebten Freund Leid des mißver- standenen Künstlers in außergewöhnlichem Um- fang .bevor, „Laß dich also", fügte sie, bevor Schuhlin überhaupt zu Wort gekommen war, flehentlich hinzu, „vom großen Erfolg, den du dort gehabt, nicht täuschen. Der Beifall beweist nur, man hat dich völlig mißverstanden." 'Schuhlin beruhigte sie. Es sei der Eindruck nicht allzu groß gewesen. Er war aber durch des Mädchens Verhalten in die alte Sicherheit ge- wiegt, und des Ausflugs einzige Folge blieb, daß er sich endgültig von den Menschen fort zu 6* 83 Klara zog, die den doppelten Vorteil bot, Schutz gegen die Außenwelt und hemmungslos in seine Gewalt verloren zu sein. Er heiratete sie, ihr die letzten Stege zur Um- kehr abzusägen. Seines Opfers verklärten Blick, als sie vom Standesamt heimkamen, beantwortete er mit einem so ausholenden Druck beider Hände in ihre Schultern, daß sie in den Knien knickte. Dann ließ er unverzüglich ein Leben beginnen, in dem durch des Weibes schöpferische Demut er als Künstler, Mensch und Mann unablässig Herr des Universums war; denn Klara begnügte sich nicht mehr damit, seines Willens Winke vorzuerfül- len. Weit über seine Begriffe flog ihre Vorstel- lungskraft, und blies mit immer größerem künst- lerischen Ansinnen an sich selbst, ihm ihre tiefere Unterwerfung unter ihn als Forderung belohnen- den Ausgleichs ein. Da zögerte er nicht länger, sich für jede gelungene Harmonie einen hohen Preis aus ihrem zur Kreuzigung bereiten Leio auszuzahlen und hätte zwischen Werktätigkeit und der einzigen Frau ein in häusliche Stürme begrenz- tes Leben bis ans Ende seiner Tage geführt, wäre 84 1^ durch das unentschuldigte Ausbleiben jeder Sub- sidienzahlung er nicht plötzlich vor die Frage ge- stellt worden, wie den irdischen Leib er ernähren sollte. Zwar drängte Klara dazu, auch da mit allen Kräften für ihn einzutreten. Sie hatte ein bedeu- tendes photographisches Talent und konnte hoffen, in absehbarer Zeit zu verdienen. Doch war Schuh- lin überzeugt, es würde selbst bei angestrengtem Fleiß, was sie vermöchte, zu behaglichem Leben für ihn nicht ausreichen. Vom Ertrag seiner gedruckten Kompositionen aber war, wie die jähr- lichen Abrechnungen bewiesen, das geringste nicht zu hoffen, und so begann Unsicherheit, woher die notwendigen Existenzmittel in Zukunft regel- mäßig zu beschaffen seien, den bisher in sich be- schlossenen Frieden des Hauses zu verwirren. Da betrat eines Tags ein junger Mensch Schuh- lins Wohnstube und brachte vor, er sei Musiker, habe vor Wochen des Meisters Vortrag in der Hauptstadt gehört, und durch die Größe der Komposition und des Spielers Person zu dop- pelter Bewunderung hingerissen, sei zur Prüfung 85 des eigenen Ichs er geschritten. Das Ergebnis bilde die Erkenntnis seines Unvermögens nach jeder Richtung hin und der unbeugsame Wille, sich in Zukunft völlig dem erwählten Vorbild an- zuschließen. Sein Leben, solle es überhaupt noch höherem Zweck dienen, müsse unter Schuhlins Leitung in dessen unmittelbarer und ständiger Nähe geführt werden. Er besitze Mittel, metho- dischen Unterricht geraume 2^it zu entgel- ten und flehe den Meister an, ihn nicht von sich zu weisen. Bei diesen Worten hatte sein Antlitz sich gerötet, die Augen, ein wenig aus den Höhlen, glänzten. Schuhlin stellte, ihn betrachtend, fest, es müßten sich mit dem Sturm solcher Erregung, würde in richtige Bahnen er gelenkt, Effekte er- zielen lassen. Der Mensch und seine Ergebenheit für ihn war ihm sofort angenehm. So ließ denn einiges Allgemeine in Lehrsatzform er hören und ver- abredete mit dem Schüler das Nähere über dessen Unterbringung im Dorf sowie über die Einteilung künftiger Tage. Denn da das Zusammensein sich nicht auf die Unterrichtsstunden beschränken solle, sei es richtig, daß durch keine Abhaltung verhin- 86 dert, der Lernende dem Lehrer stets zur Ver- fügung sei. Im Hinblick auf dies Ziel wurde von den Männern das Nötige sofort in die Reihe ge- bracht. Es freuten sich später die Gatten des Er- eignisses, durch das mit einem Schlag alles Gewölk verscheucht schien. Klara pries des jungen Man- nes Entschluß in den Himmel und verklärte sein Auftreten und seine Erscheinung. Hier habe Schuhlin an einem Fremden endlich den Beweis, welche Wunder seine Kunst auf unverbildete Ju- gend wirke. Ein harmonisches Leben begann. Neander wurde in Kontrapunktik, daneben fleißig im Kllavierspiel unterrichtet. Was er vorher nach neuzeitlichen Methoden gelernt, von moderner Musik gehört hatte, ward verworfen. Über aller Tonkunst stand Sebastian Bach, der Gott. Neben ihm als Götter Haendel und Philipp E m a n u e 1 , des Vaters Sohn. Mit Mozart kam schon fin de siÄcle-Kunst, Beethoven schien Barock; alles Fernere bloßer Unsinn. Es galt, an die Quellen zurückzufinden, dort neue Wege zu suchen. Mit schönem Ernst legte Schuhlin in des 87' Jünglings Seele die Überzeugung von der unver- gleichlichen Wichtigkeit ihrer gemeinsamen Auf- gabe. Vor dem Instrument, wurde eines Sext- akkordes, einer Synkope Ursinn aufgedeckt, strahl- ten ihre Augen in freudiger Erleuchtung sich an. Spielte Neander vom Blatt, genügte schließlich das rhythmische Nicken des neben ihm sitzenden Lehrers, dessen huschende Handbewegung, daß der Schüler den verborgenen Sinn des Musik- stücks erriet. Um ihre Körper stand eine heiße Wolke steil, die wie Gerüst sie von der Welt abschloß, das sie erst durchbrechen mußten, er- hoben sie sich nach beendigtem Spiel. Die be- deutenden Anmerkungen Schuhlins beim Unter- richt zeichnete der andere in ein Buch auf und trug so des Meisters Wesen auch in den Freistun- den bei sich. Er hing an dessen Mund, wo der stand und ging. Manchmal spintisierte auf Spa- ziergängen der Ältere. War ihm des Rätsels Lö- sung gekommen, und er wandte das Haupt dem Gefährten zu, hatte der die gleiche Erkenntnis mit eins in den Augen. Bei einem solchen Vorfall griff Neander, da im Wald sie auf einer Lichtung raste- 88 ten, nach Schuhlins Hand und küßte sie. Dem aber hatte es geschienen, zugleich seien auch des Jünglings Knie völlig gewichen. Auf dem Heimweg — Neander ging einen Schritt voraus — umfaßte mit mächtigem Griff Schuhlins Hand plötzlich des anderen Arm und zog die ganze willige Person an sich heran. Der Gepackte dreht das Haupt gegen den verehrten Mann und senkt mit dem Gelöbnis ewiger Treue den Blick in die ihn anherrschenden Lichter. Fortan bildeten die drei eine Gemeinschaft. Neander nahm an allen Mahlzeiten teil und über- siedelte auf Klaras Aufforderung bald ins Haus. In dem engen Logis war man auch dann dicht beieinander, befand sich jeder im eigenen Zimmer. Strich tagsüber man durch die schmalen Stuben, berührte man sich fortwährend und blieb immer im Dunstkreis der Gefährten. Aus der innegewor- denen Enge des Raumes nahm sich nun Schuhlin den ersten sichtbaren Beweis seiner gleichmäßigen Macht auf beide Mitbewohner. Denn seine Be- wegungen nicht beschränkend, sondern mit Griff und Tritt noch mehr ausladend, zwang Weib und 89 Schüler er zu beständigem Ausweichen und Zu- rücktreten vor ihm und, da er ständig die Mitte der Stuben und des Flurs besetzt hielt, gewöhnten sich die zwei allmählich daran, längs der Wände hinzu- schleichen, an ein Sitzen und Verweilen in entfernten Ecken. Doch war es ihnen natürlich und angenehm. Und wie froh wurden sie beim Essen um den runden Tisch ! Zuerst und sofort flogen Schüsseln zu Schuhlin, der sich mit ausgesuchten Stücken regalierte und weitergab. Bescheiden nahmen die Mitessenden, bedacht, es möchte für den Meister noch ein zweites Mal reichen. Der eigenen Nah- rung nicht achtend, folgten jedem Bissen des Haus- herrn sie mit Aufmerksamkeit und Genuß. Hei, wenn ein Braten gelungen war! Was gab es für ein Schmunzeln, welch saftige Bemerkungen des Zufriedenen ! Und immer strahlender wurde seine Laune, prasselnder sein Witz, bis bei Kaffee und Zigarre, die man nur ihm anrichtete, er freund- lich anerkennende Blicke für seine Umgebung hatte. Um die Belohnung durch solchen Blick war es den beiden einzig zu tun. Sie steckten die Köpfe zu- sammen und berieten abends, was morgen man zu 90 Tisch geben solle. Obwohl Neander einen hüb- schen Unterkunftspreis bezahlte, reichten Klaras Mittel nicht immer aus, des vorgeschlagenen Mah- les Kosten zu bestreiten. Dann legte der Pensio- när hier eine Mark, dort einen Taler zu, den ge- planten Schmaus und die mit Sicherheit folgende Belohnung zu ermöglichen, und als eines miß- lungenen und knappen Mittagessens schrecklicher Eindruck sie beide ein einziges Mal getroffen hatte, gewöhnte sich Klara, der breiteren Haushaltfüh- rung erhöhte Kosten ohne weiteres von Neander zu fordern, der ein übrjges tat und einen uner- schwinglichen Leckerbissen, Frühgemüse, Wild- bret ins Haus brachte. Dann kam für das ausge- gebene Goldstück von der Hausfrau entzücktem Händedruck bis zu Schuhlins wollüstigem Ver- dauungsschnaufen unaufhörlicher Dank an den Geber und Feststimmung ins ganze Haus, die ihren Gipfel erreichte, schlürfte der Meister ans Klavier und gab seiner dankbaren Gemütsstim- mung tönenden Ausdruck. So lief die Zeit. Draußen in der Welt gab's Er- eignis auf Ereignis ; Politisches und Kulturelles be- 91 schäftigte abwechselnd die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen. Luftschiffe wurden wichtig, ein afrikanischer Aufstand. Es tobten und beruhigten sich die Börsen abwechselnd. Im Haus am bay- rischen Bergsee nahm von nichts man Kenntnis. „Was leistete die Musik bis zu Ludwig Schuhlin, und inwiefern geht dessen Werk über alles Er- reichte hinaus", hieß das in unzähligen Variationen behandelte strenge und ewige Thema. Der Mei- ster im Lehnstuhl läßt die Trabanten Fragen um diesen Kern herum stellen. Dann spricht er gütig und anerkennend von den großen Musikern vor ihm, macht kluge Anmerkungen zu seinem eigenen Schaffen und läßt durch den beseelten Blick ahnen, alles von ihm bis jetzt Fertiggestellte sei im Grund Stückwerk, und seiner Sendung wahrer Anlaß ruhe in der Zukunft Schoß. Alle Regung der Zuhörer war schon verstummt. Glieder und Blick sind in Andacht gelähmt. Schuh- lins Atem, nach schönen Perioden seiner Satz- bauten, strömt in breiten Wellen. Er lächelt end- lich gerührt, und eine blanke Träne über sich selbst hängt ihm im Auge. Er verläßt das Zimmer. 92 \ Aber, während Klara, wie in den Stuhl gestampft, sitzt, läuft mit erhobenen Armen und gerollten Faul- sten der Jüngling von Tür zu Tür, und seine hin- gerissene Begeisterung macht sich in Stöhnen und Seufzen Luft. Er faßt auch wohl Klaras Hände, und mit Druck und Widerdruck verständigen sich die beiden über Anfang und Ende der gemein- samen Welt. Ihrer selbst waren sie blind und taub. Es wußte der eine nichts vom Gesicht des anderen. Gegenseitiges Wesen und Gestalt blieb ihnen Luft. Also waren sie einander nirgends im Weg, bis im Bestreben, aus abendlichen Plaudereien Erkennt- nisse festzustellen, der ältere Mann für den anderen Aufmerksamkeiten hatte, die das Weib ausschlös- sen. Da gleichzeitig Neander begann, seine Ge- schenke, Kosthappen, Flaschen guten Weins, aber auch Klavierauszüge und schließlich Gebrauchs- gegenstände aller Art mit Umgehung Klaras an Schuhlin unmittelbar auszuliefern, sah sich die Hausfrau in Gefahr, in unebenbürtige Stellung gedrängt oder aus der Gemeinschaft überhaupt ausgeschlossen zu werden. Ihre sofort mit Tat- kraft unternommenen Gegenmaßregeln, den Gat- 93 ten nachts, war er nur ihr erreichbar, mit allen Mitteln zu sich hinüberzuziehen, konnten nur halben Erfolg haben, da mit Tagesanbruch die Bindung zwischen den Männern wiederherge- stellt war, und Neander zielbewußt jeden Erfolg Kllaras, den er wahrnahm, durch immer kostspieli- gere Überraschungen für Schuhlin ausglich. Des Eindringlings Überlegenheit war, bei gleicher Hin- gabe Leibes und der Seele beider an den Herrn, durch sein geldliches Vermögen gewährleistet. Dies zu zerstören, sah Ellara als ihres Lebens nächsten uiid unvergleichlichen Zweck ein. Sie stellte sich, als sei ihr um des Vergnügens willen, das er darüber empfand, ein engeres Zu- sammengehen ihres Mannes mit dem Schüler so- gar angenehm. Bei jedem Geschenk für ihren Gat- ten schien sie sich mitzufreuen, und nachdem sie aus Neander die Höhe der ihm zur Verfügung stehenden Mittel herausgelockt und die Gering- fügigkeit einer Summe von vierundzwanzigtausend Mark dem zu leistenden Aufwand gegenüber er- kannt hatte, reizte sie ihn unaufhörlich, beiläufig geäußerte Bedürfnisse Schuhlins unverzüglich zu 94 befriedigen. Dem aber brachte im Bett sie auf unterirdischen Wegen immer neue und gesteigerte Wünsche bei : wie mußte im Wohnzimmer ein Tep- pich sich ausnehmen ? Gewänne mit einem Velo- ziped er nicht die Fähigkeit, die herrliche Um- gebung im Umkreis kennenzulernen und aus der Kenntnis zu beherrschen? Schuhlin schien's, er sei zum erstenmal mit Gott ganz einig. Wie sich an seiner Seite die bei- den Geschöpfe tummelten und bis ins Innerste regten, daß Sinn und Nerve um ihn zitterte und sich aufrieb, fand als Schöpfungseinfall er pracht- voll und sinngemäß. • Im Ausdruck glaubte er man- ches st-eigern und folgerichtig miteinander ver- knüpfen zu können. Hier zügelte er Neander, da stieß er Klara vorwärts. Er wies und verwies sie, sprach von Himmel und Erde, in welcher Erschei- nungsform sie ihm angenehm seien, und was ge- schehen müsse, mit Menschenmitteln den ersehn- ten Zustand der Elemente für ihn immer herzu- stellen. Wie man Licht blenäe oder verstärke, Geräusche abstelle, Schwingungen, Gerüche ver- hindere oder wirken lasse. Kurz: er spitzte die 95 Ohren der Unterworfenen für den leisesten Hauch der Atmosphäre. Ihre Zwistigkeiten entgingen ihm mitnichten. Er peitschte sie mit Wettstreit. Potz! sagte er zu Klara, Hei! zu Neander und ließ in beiden die Motore knattern. Sie fuhren ihn, während alles Gas auf die Ventile drückte, mit der letzten Übersetzung über des Tages steilste Hindernisse und lagen abends, ausgeblasene Hülsen, vor ihm, aus denen mit aufgesetzten Füßen er letzte Luft trat. Mit Hebel, Kupplung und Bremse fuhr er sie, wohin er wollte. Darüber hinaus mußten sie ciuch Einfälle haben. Sie sollten nicht nur wirklich, auch transzeHdental mußten sie sein. Mit dem Mann gelang das am besten. Immer demütiger, bot das Weib nur Fleisch an. Aber der Jüngling zuckte aus nicht über- mäßiger Begabung manchmal jäh ins Erhabene. So riet er einst, Schuhlin solle sein Bett in der breiten Wand Mitte stellen, daß durchs Fenster er über Landschaft gen Osten zum Horizont in die aufgehende Sonne blicke, wie Louis Quatorze einst zu Versailles. Das wurde selbigen Tages noch an- 96 geordnet. Klara flog zu Neaiider ins ßeigemach, und Schuhlin holte fortan, allein im Schlafge- macJi, nachts breiteren Atem. Vier sehnsüchtige Augen hingen durchs Dunkel an der Tür, aus deren Spalten Licht drang, las der Herr vor dem Einschlafen noch die 2^itung. Das- Rascheln umgewendeten Papiers, Geräusch des « sich rekelnden Körpers, ein Knacken schließlich der verlöschenden Lampe, erregte zwei hochauf- horchende Herzen. War alles still, belauschte an entgegengesetzten Wänden Weib und Mann, pa- rallel ausgestreckt, mit Neid und Erbitterung den gegenseitigen Herzschlag. Doch während Schuhlins menschliches Ausmaß wie eines ungeheueren Baumes Krone durch das Dach des Hauses brach und. alles beschattete, was darin tot und lebendig war, während in Klaras Herz der Haß gegen Neander sich zu einem Zucker- hut aus Stahl verdichtete, der eines Tags mit Ge- schrei des Flugs sein Sprengmehl wie einen furcht- baren Strahl auf ihn niederstreuen mußte, schmolz ^h 7 97 durch wütende und überstürzte Ausgaben für sei» Idol diesem das mitgebrachte Geld. Die Gewiß- heit erfüllte mit so heißer Schadenfreude Klara, daß ihr Antlitz tagsüber davon brannte, den Ver- schwender zittern machte und ihm jede Genug- tuung zerschlug. Von des Weibes Gesicht konnte er den Blick nicht wenden und fürchtete ein in » ihm auftretendes Lächeln lange, bevor es noch, da war. Je kleiner seine Barschaft wurde, um so toller schien ihm der Feindin Grinsen. Durch, schwarze Nacht glaubte ihre verzerrten Züge er zu erkennen, und wie dicht er sich in die Decke mummte, es lächelte um ihn, hinter ihm her. Als einst er ein ersticktes Kichern hörte, sprang aus den Kissen er mitten ins Zimmer so zischenden Atems, daß die Bedrohte ihm hoch auf dem nack- ten Boden entgegenstand. Dort griffen sie sich bei Leibern, und stumm rissen, traten, schüt- telten sie einander, bis ihnen das Leinen in Eetzen hing, und im Allerheiligsten ein leichtes Stöhnen, sich hören ließ.. Da nahm jeder die Fange von des anderen Fleisch und kroch geschunden auf seine» Matratze zurück. Zu solcher nächtlichen Melodie 98 klang weiter bei Tag Schubert, Chopin und Schuh- lin mit Symphonie und Sonate. Aus Himmeln wurden zwei Menschen in Abgründe geschleudert. Unaufhörlich trieb ein Mühlrad sie aus den Ster- nen zur Hölle hinunter; wieder hinauf. An Schuhlins fünfunddreißigstem Geburtstag waren fast vier Jahre ihres Zusammenlebens ver- gangen. Gegen Abend dieses Tages sprang dem Hausherrn von neuem der Gedanke, dessen er sich letzthin immer weniger erwehren konnte, ins Be- wußtsein. Wenn heute man sich zur Nacht ge* trennt haben würde, wollte im Bett er endlich von Grund auf feststellen, was seine Spekulationen ihm in runden Ziffern verbürgten, was Klara, die er, ihr photographisches Geschick durchzubilden, unaufhörlich getrieben, und die schon jetzt im Dorf und Umkreis mit ihren Bildern Einnahmen hatte, bei zielbewußter Arbeit unter allen Um-- ständen, was Neander durch den Klavierunter- rieht für ihn verdienen mußte, den nach seiner Methode er Fortgeschrittenen binnen kurzer Frist zu geben imstande sei. Wenn er auch Auslagen für Fahrgeld, Einnahmeminderung durch Krank* ?• 99 heit der Verdienenden, alles Unvorhergesehene von dem durchschnittlichen Erträgnis gewissenhaft in Abzug bringe, glaubte er doch jetzt schon die Summe von viertausend Mark als nicht mehr zu bezweifelndes Jahresergebnis der gemeinsamen Ar- beit für ihn schlimmstenfalls einsetzen zulcönnc^n. Durch Hin- und Herrechnen wolle er aber der Sache heute nacht noch schriftlich zu Leib und, vor jeder Überraschung sicher, auf frisches Papier mit schwarz und roter Tinte die genaueste Bilanz machen. Immerhin freute er sich der gefundenen Zahl schon von Herzen, die mit oft verändertem Ton- fall er vor sich hinsagte. Am Tisch sitzend, hatte die Beine er von sich gestreckt, die Zunge stand aus dem geöffneten Mund durch die Zähne schweißend hervor. Volkslied ging ihm mit: „O wie wohl ist mir am Abend" durch den gehobenen Sinn. Als schließlich er ein hinreichendes Maß Behagen aus gfinstigehVoraussichten in sich gesogen hatte, f orinte er, an den Flügel sich ziehend^ deii anmutigsten Tanz auf die Tasten^ aus dem, eine Gegenbewegung zögernden Zweifels bewußt erfindend, er Hoffnung IOC immer fröhUcher Uingen Ueß. Dann riß das Thema von neuem durchs Gewissen er zu höheren Sphären hinauf, ließ das Taktgefüge wuchtiger brausen, Harmonien die Melodik begründen, bis seines blähenden Daseins Gewißheit und ange- nehmer Zukunft Überzeugung so süß aus den Saiten rauschte, daß allenthalben Tür und Fenster sich auf die Straße öffnete, und aus Stuben Menschen lauschten. Ins Zimmer selbst aber traten vor des Spielen- den transparent erleuchtete Augen zweier Men- schen liebende Antlitze. Langflügelige Engel Fra Angelicos, stützten von beiden Seiten sie sich an das tönende Instrument. Aus den geblähten Backen blies wie aus Posaunen so gewaltig ihrer Seelen zustimmender Oberton, daß er das Segel von Schuhlins Herz wellte und es beflügelter Ja und Amen spielen ließ zu der Absicht, die mit den zufriedenen Opfern es ferner hatte. Als später man die schweigende Mahlzeit, bei der Blicke emsig hin- und hersprachen, beendet hatte, zog feierlicher Geste Neander eine Zigarre aus der Tasche, die er dem Meister reichte. Sie 101 war lang und dick, glatt gedreht, von graubrauner Farbe. Ein breiter Ring aus gold und rotem Papier lief um ihre Mitte, auf dem das Wort „Intimidad" stand. Hoch auf zuckte im gleichen Moment Klara, wußte sie doch, hier gab der Nebenbuhler endlich seines Vermögens letzten Rest fort und habe in Zukunft keinen Vorteil vor ihr mehr vor- aus. So erschütterte sie die ersehnte Wahrneh- mung, daß Augen sie schloß, die Gesichtsmus- keln verhielt, fürchtend, es könne des ausbrechen- den Glücks Gewalt Neander zu einer Verzweif- » lungstat augenblicklich hinreißen. Wie inständig der auch ihr Antlitz durchforschte, er fand in ihm gleichmäßige Ruhe. Schuhlin aber mit leichter Verbeugung gegen den Geber schnitt umständEch die Spitze der Zigarre herunter, beroch, klopfte und schüttelte die Havanna, bis mit zwei Streichhölzern von allen Seiten her er sie in leuchtenden Brand setzte. Wäh- rend sich nun Wölkchen erhoben, Ringe, Blasen, gezackte Ränder, aus des Rauchers Mu^d und Nase gestoßen, und Klara hinter gekniffenen Lidern jeder einzelnen, die verschwebte, folgte, 102 trat kalter Schweiß Neandern auf die Stirn, und des Zimmers Boden schien ihm zu schwingen. Dämmerung sank ; fast saß man im Dunkel. £s leuchtete bei jedem Zug der Zigarre feuriger Ring, noch einmal, immer noch, bis Schuhlin ein Überbleibsel in die Schale warf und zerdrückte. Dann gab er Neander die Hand, schien dessen gespenstische Grimasse nicht zu bemerken und ging in sein Zimmer hinaus. Klara, das völlig ent- flammte Auge jetzt furchtlos in Neanders erstarr- ten Blick gedreht, folgte unmittelbar. Da der Ge- plünderte allein stand, brach ihm das Haupt wie von einer Axt angeschlagen auf die Brust, aus der ein einziger Ton heraufgrollte. Den hört, schön hinter der Tür, die Frau, und während er ihr noch in allen Sinnen wohltut, überläßt sie sich schranken- los ihrem größeren Glück. Als später sie, Federn schüttelnd, von Schuh- lins Bett her durch die Pforte zurücktritt — ihres stets zu erneuenden Sieges Glanz stand als Stern ihr zu Häupten — Da der Stahl aus Neanders Hand, ihr ins Herz gestoßen, sie schon hingeworfen hatte, und des Tot- 103 Schlägers entseelter Leib, über sie stürzend, sacht an die geschlossene Tür schlägt, in diesem Augen- blick dreht sich Schuhlin ermuntert der Nacht- lampe zu und beginnt, die Brust weitend, die Arme von sich stemmend und wieder anziehend, kraft- und glücksgeschwellt, unter lateinisch A und 6 Zahlen zu malen, deren Addition ihm seines Daseins materielle Sicherheit gewährleisten solL Andern Tags sah überrascht er ein, daß die ge- fundene Ausrechnung hinfällig geworden war. Sanfte Trauer hindert ihn nicht, unverzüglich neue Verbindungen zu suchen, die die Mittel zu jenem Lebeii sichern sollen, das als ihm gemäß und seiner Bedeutung zukommend, er ein für aUemal erkannt hatte. 104 DIE SCHWESTERN STORK Achtzigtausend Mark hinterließ Kaufmann Stork IX seinen Töchtern. Fünfundvierzigtausend bekam Martha, den Rest das Kind Maria. Gründe für die ungleiche Erbschaft waren im Testament nicht angegeben, doch als der Vormund zustimmte, blieb des Toten Verfügung. Die Ältere wird mit der Erziehung der Kleinen Plage haben, dachte man. Zudem hinkt Martha. Das verdient ein Pflaster. Und wäre der Zahlenunterschied zu Ungunsten Marias größer gewesen, sie hätte keinen Verteidiger ihrer Rechte gefunden, weil die Zwölfjährige im Kleid; bis zum Knie schön war, und in den Ge- danken aller Welt schon der reiche Freier mit ihr ging. Pas ihr bestimmte Geld würde zu einer Er- ziehung reichen, die zu ihrem Platz auf der Mensch- heit Höhen sie befähigte. Mehr bedurfte es nicht. Vor den Toren der Stadt, wo Häuser durch Wiesen getrennt stehen, nahm Martha die Woh- 105 nung. Voll elterlichen Hausrats, Kissen und Decken eigener Stickerei darüber, schienen die Stuben wohnlich und warnu Sah man durchs Fenster, lag mit Hügeln und Tiefe Landschaft so, daß ein weiterHorizont Bewußtsein der Freiheit unterstrich. Der beste von vier Räumen war Wohnzimmer; verschlossen und kaum betreten. Aus schmaler Rente, wußte Martha, hatte sie kein Mittel, der Schwester von Zeit zu Zeit die für die kindliche Erwartung notwendigen Überraschungen zu bie- ten. Darum sollten hinter verschlossenen Türen erwachenden Lebens Geheimnisse wohnen, und Maria selten einen Blick auf die wirklichen Sessel und Spiegel tun, zwischen denen das schwer zu Nennende sich bewegte. Dort sollte bodenlose Tiefe, übersinnliche Weite, das Loch der Erde und Himmels Unendlichkeit ins Weltall münden, von da her alle Figuren, die für Marias Entwick- lung erwünscht sein möchten, auftreten. Denn vom Tag an, da der Vater starb, hatte Martha, das ältere Mädchen, ihre durch nichts mehr geschwächte Empfindung als umfassende Liebe auf das an- blühende Geschöpf geworfen, von den Menschen io6 ihr Schwesterchen und Maria genannt, das aber für Martha irdischen Geschehens Mittelpunkt und namenlos zu werden begann. Als vor zehn Jahren das Geschwister noch in Kissen kg, war die halb Erwachsene Erstgeborene selbst Anlaß kühner Träume für die Eltern ge- wesen. Schien sie damals nicht schön, hing in ihres Putzes Locken und Fransen so viel Anmut, daß ihr Kommen stets Freude und Überraschung be- deutete. Da zudem der Familie Umstände ge- ordnete, selbst wohlhabende waren, zog manch Heiratswilliger sich an die Jungfrau heran, und ge- raume Weile hätte unter Bewerbern man die Wahl. Zu diesem Zeitpunkt zerstörten Unglücks- fälle des Vaters Vermögen, und eines Tags, als trotz deutlicher Misere durch der Eltern Be- mühung das Mädchen noch über des Lebens Un- bilden schwebte, erreichte sie ein Unfall, der durch eines Fußes Verkürzung ihr die Sicherheit raubte, von aller Welt nicht unterschieden, frei durchs Leben zu gehen« Denn jetzt war für sie alles wesentlich geändert. Unter vielen blieb durch Mangel sie kenntlich, in 107 jeder Gemeinschaft peinlich gezeichnet. Alle Be- grüßung quittierte ihr Hinken, und sie kannte ihres Auftritts Eindruck ein für allemal. Mochte sie erst hoffen, es könne ihr einer begegnen, der das Gebrechen nicht im ersten Blick widerspiegelte, verlor den Glauben sie bald, verschwand ganz zu sich und einer Beschaulichkeit, in die gelegentliche Teilnahme der Menschen wie schmeißender In- sekten Biß drang. Sie ließ auf das seit ihrer Ge- burt Gewesene sich prüfend ein, ordnete das ver- wirrte Gestränge verflossenen Seins mit immer reiferem Urteil. Gab aller Person und sich selbst Bedeutung im Lebensplan nach einem Einmaleins, das zu häufig von ihr überrechnet war, um noch Fehler zu enthalten. Mit dem Holzklotz unter den Schuhen hatte Martha für den höheren bürgerlichen Gesichts- winkel einen Stich, wie die Birne den braunen Fleck auf der Haut. Zur Repräsentation in mitt- leren Laufbahnen wußte sie sich ungeeignet, als Rechtsanwalts- oder Arztensgattin, Kaufmanns- und Beamtenfrau hätte man sie nur noch vorstel- len können, murmelte Fama eine entschuldigend I08 große Mitgiftssumme, Doch war davon keine Rede mehr und das Mädchen bündig Ausschuß. Immer weniger ließ die Welt sie darüber im Zwei- fel, doch immer deutlicher zeigte auch Martha ge- frorene Verachtung. Selbst die Eltern hatten Enttäuschung über das Unglück nicht emsig genug verheimlicht, als daß sie mit ihnen eine Ausnahme gemacht hätte. Die Mutter, aus dem Land der Flamen, von ihrem Mann einst nach Deutschland geführt, hellhaarig, fleischlich und genußfroher Menschlichkeit wie ihre Landsleute auf den Schildereien des Brueghel, sprach ihre zertrümmerte Hoffnung auf dem Sterbebett noch aus, wozu Martha gläsern lachte. Der Vater, ein stiller Thüringer, würgte sie glück- lich mit in den Tod hinüber. Martha war schließ- lich froh, als Begriff von Niedrigkeit und Durch- schnitt sie nicht mehr auf lebende Erzeuger anwen- den mußte. Vielleicht hätte ihr ferneres Leben sich niemals aus Verzicht erhoben, wäre einen Augen* bück lai\g nicht das Ufer jenseitiger Empfindungen für sie sichtbar geworden. Einundzwanzig Jahr mochte sie alt gewesen 109 sein, da hatte im Wartesaal eines Bahnhofs ihr der Mann entgegengesessen, dessen Blick wie ein guter Gedanke auf ihr Gesicht, die Brust, ihr ans Herz geflogen war. Schließlich blieb von seiner Dring- lichkeit sie betäubt in warmem Fluß ihres Blu- tes und ließ sich, Vergangenheit leugnend, bis in die Knochen bezaubern. Vor ihr der Zeiger der gewaltigen Uhr war immer näher an des Zuges Abfahrtsminute gerückt,' doch konnte sie sich, aus dem Innersten her furch-; tend, nicht erheben. Als aber das letzte Zeichen rief, war sie todesgewiß vor ihm hochgeschossen, schräg und schief in ihren Weg zum Bahnsteig ein- getaumelt. Von hinten hatte Rede geklungen, eine Stimme sprach — und ob sie schon ein Dutzend Schritte gemacht hatte — frei ohne Unterton ; Worte, die der Mann zum Weib spricht, mit Durchschnitt- lichkeit sie berauschend. Die sie schlürfte, wie ein Djurstender die Zunge mit allen Warzen in§ Nasse hängt.. Er sei, habe — und während ein ei^tschlps- sener Blick sie durchschnitt — sie aber kippte in himmlischem Trotz ein Schrittchen beiseite — TIC kurz, er möchte und wolle! Dabei floh Vorsatz aus seinen Augen; Gefühl stand leibhaftig da. Diesen Abend heimgekehrt, hatte in bunter Lust sie geschaukelt, auf zerwühlten Kissen Fahrten * in vergitterte Bezirke gewagt und war mit hellem Aufschrei eingeschlafen. In den Tagen der Er- wartung bis zum Wiedersehen hatte Gebet sich verdichtet, und als zur angesagten Stunde sie am. Ort erschien, war sie gewillt, im wohlgefälligen. Opfer des Messers Stoß mit der Herzmitte auf zu-- fangen. [ Der Mann war nicht dort. Erschien nicht und wurde nicht mehr gesehen ; noch kam von ihm je wieder Laut. Da wurden, was Glaube auch an- fangs zu des Entschwundenen Rechtfertigung sagte, die Türen in die Welt der Menschen zuge- schlagen, ein Wall gegen Mitlebendiges gebaut. Aus der Gewißheit ihres bis dahin sicheren An- Stands und ihres schnellen Entschlusses zu : ber dingungslosem Fall.aber .entschied Martha die Un- wahrheit aller über das junge Mädchen von. heute in: Erzählungen der Dichter ausgesagten Dingei Das war längst nicht mehr das kühl abseits stehende III Figürchen der Romane, abel mit Mann, Weib und dem Jüngling ein Fleisch, bereit, jeden Tag in den Wirbel der Geschlechtsliebe zu tanzen. Aus diesem Tanz langten die meisten ums Ende der zwanziger Jahre gerupft und schon aus^ seelischen und leiblichen Fugen vor der schwarzen Wand an, die das Elend eines zu jedem Auf- schwungs endlich unfähigen Lebens einschließt. Man hatte ihnen die Haut innen und außen ge- gerbt und warf den Abfall auf den Mist. Keine hatte in den Händen der karrieremachenden Kerls das geringste gewonnen, nicht ein Lot geistigen Fleischs angesetzt. Ihre Seele war ein Ausguß bürgerlichen Spülichts gewesen, männlichen Trüb- sinns die elastischen Körperchen. Jetzt kerbten Narben das Fell, und sie konnten nur noch den Abdecker erwarten. Die einzelnen unterschied voneinander bessere oder schlechtere geldliche Lage. Im übrigen klatschten und verleumdeten sie um die Wette, 2^it totzuschlagen. - Als des Kindes Bäckchen Umrisse für ein reizen- des Antlitz formten, plötzlich eine Stirn edel kam, und Lippen ausdrucksvoll sich biegen wollten, war 112 Maria ein Mädchen von zehn Jahren geworden. Von ihrem Guckloch auf des Lebens Szene, wo Puppen sinnlose Auftritte spielten, sah Martha in • den Blick der Schwester um. Es war dann, als liefe Bergwasser über ihrer Augen Fenster und spülte sie klar. Auf. einmal stand Himmel bei Hölle auf Erden, und das Gute und Schöne sah Martha in « einerii Kind wie das Abscheuliche aller Mensch- heit ein. Damit war ihre Laune aus dem bisherigen Dunkel mitunter ins Licht gerückt, das durch An- schluß an die Kleine sie reichlicher zu gewinnen suchte. Aus banalen Gewißheiten des zwanzig- sten Jahrhunderts trat ihr Bewußtsein in das zeit- lose Träumen d«r Jugend zurück. Bei des kranken Vaters Pflege bekam Maria zu- erst Gesicht. Bisher war sie angezogen, auf Stühle gesetzt und herabgenommen worden. Außer be- scheidener Antwort auf Zurechtweisungen hatte man von ihr nichts erwartet. Jetzt fiel auf, wie sie ungerufen ins Krankenzimmer just in Augen- blicken trat, wo alle Mittel, den Leidenden zu stillen, versagten und dann Bewegungen, irgend- wie Schritte und ein Nahen hatte, das des Er- U, 8 113 ' schöpften Blicke ihr erwartungsvoll zuwandten. Sank an seiner Brust sie zierlich in die Kissen und tauchte das Köpfchen zu ihm, weißblondes Haar auf ihn schüttend, fuhr sanfter Atem aus des Vaters gekniffenen Lippen. Vom pberen Bettrand sah Martha des Kindes Augen mit Ausdruck auf den zerfallenen Mann gerichtet. Blau mit Silber bebte reichlich in ihnen und war schließlich ein Stern, der das Zimmer bis in die Winkel hellte. Als einer Ebenbürtigen überließ Martha die Hand- reichungen für den Kranken der Kleinen, die sacht an dem Liegenden zog und zupfte oder mit über- lebensgroßen Griffen des Körpers Last in die ge- wünschte Lage hob. Auch nahm^sie Auswurf und Exkrement schwebenden Ganges fort und hatte beim Wiederkommen ein doppelt Segnendes und Gesegnetes. Mit engelhafter Sachlichkeit ent- blößte sie den Mann, tat ihm das Nötige mit ent- rückten Händen. Da war, sah Martha, aus zwei Rassen, ein Ge- fäß von solchem Wert gebildet, daß aller Inhalt der Erziehung, ehe man ihn einschüttete, gewogen, ge- siebt und nachgesiebt werden mußte. Aus der 11+ eigenen Erfahrung wagte der Schwester sie darum kaum etwas mitzuteilen, legte bei einfacher An- rede den Finger vor die Lippen und verbot sich das Wort. Und doch trat von Tag zu Tag die Mahnung „Unterricht" strenger an sie heran, be- sonders als mit des Vaters Tod Marias Entwick- lung ganz in ihre Hand gegeben war. Bei des eigenen Lehrgangs Prüfung erkannte Martha sofort, wie nach beigebrachtem Lesen und Schreibenkönnen man mit aller Lektüre ihr Ein- bilden für festgelegte Allerweltsideen gestohlen hatte. Den durchgreifenden Erfolg des Systems konnte an Mitschülerinnen sie sehen, die von sol- chen Vorstellungen heut wie von Hebeln gelenkt, als Signalstangen im Städtchen standen und mit grünem oder rotem Licht ein bürgerliches „Er- laubt" oder „Nichterlaubt" für die Fahrt jedes Einzellebens stellten. Sie wußte auch, wie schwer sie sich von gelernten Begriffen des Bedeutenden und Heldischen hatte befreien können, und daß ohne den verhängnisvollen Unglücksfall es ihr nicht gelungen wäre. Wie körperliche Entstellung ihr zur Ablösung vom bösen Schema des Menschseins 8* 115 geholfen, schloß sie, müsse Glani der Erscheinung Maria zur Anerkennung billiger Gemeinschafts- wünsche führen, weil mit der Gesamtheit im Wol- len einig, sie erst die durch Natur geschenkte Macht ausmünzen könne, drängte durch Er- ziehung nian sie nicht in andere Richtung fort. Saß über Unterrichtsanfängen Maria irii Erker, der iaim Schläfzimmer hing, sah Martha die Buch- staben Malende aufmerksam an-: es war der junge Rumpf so ins Fenster gedreht, daß vom Scheitel zur Sohle die Körpierachse durch das gewendete Haupt, den übers Knie geschlagenen Schenkel in schönem Verhältnis geteilt wurde. So war der zeichnerische Eindruck. Unbeschreiblich war das Farbige : Haut des Gesichts und eines freien Halses machten mit Fliederblüten hinter bläulichen Scheiben schwimmend in Licht ein schimmerndes Email, das oben in des Haares Schaum sich löste. Unten gaben dunkle Tinten von Rock, Stuhl und Schuh des Bodens Vorstellung, in dem das Blühen wurzele, unterbrochen nur vom Streifen weißer Hose, der aus überstülptem Bein wie eine Schleife am Bukett hing. Stets würde alle Welt #■ ii6 bewegt diesem Bild anhangen, ehe es noch Laut von sich gegeben ; Worte, Reden nicht auf ihren Wert prüfen. Mit Anschauen ganz gestillt. Es mußte vor dem Bedürfnis der Menschen, an- zubeten, eine Kluft aus Marias anderem Verlangen sich öffnen: das im Rohstoff Vollkommene durch Verdienst erst wirklich kostbar zu machen. Leicht sah Martha das Mittel ein: Erziehung zu voll- endeter Geistigkeit. Doch ohne zu wissen, wie die Elemente sie an Maria bringen könne. War ihr eigenes Wissen reia und von Absichten frei, war es doch mehr als beschränkt. Manche Nacht kämpfte an der Jüngeren Seite die Ältere harten Kampf. Sie wußte sich nicht fähig, zu lehren, was zu lehren war und mochte nicht Lehrer oder Unterrichterin an das Kind las- sen. Das lag wie eine gemalte Putte selig zu Bett. Im Schlaf hatte sich alles pausbackig an ihm ge- wölbt. /Über dem Ensemble wob gewölkter Atem. Von Fremden konnte das gute Gewissen sie nicht fordern, das sie bereit war, dein Engel. gegenüber stets zu haben. Selbst wollte Tag und Nacht sie vorlernen, was Maria begreifen mußte, sollte 117 1 nicht nur durch Erscheinung, sondern innere Be- deutung den Massen und ihren Instinkten sie entrückt sein. Sie ließ die Schulbücher der jungen Generation kommen und war in Trauer gestürzt. Vor ihr lag ein Lesebuch für Mittelschulen. Sie las die Kapi- telüberschriften : „Bürgerpflicht", „Ich möchte Steuern zahlen", „Die Wäsche im kaiserlichen Haushalt". Im Lehrgang für Erdkunde gab es bei des entferntesten Erdwinkels Schilderung nur Hin- weise auf die Heimat. Was dieser Weltteil bei seiner Bodenschätze Reichtum bedeuten könnte, wäre deutsche Methoden er anzuwenden imstande. Nirgends wurden dem jugendlichen Eindruck die fremden Himmel mit ihrer zu begreifenden Be- sonderheit, sondern am Maßstab der eigenen Ver- hältnisse überall Mängel gezeigt, die nach der Päd- agogen Ansicht dem ganzen Erdball sonst anhaf- teten. Wo aber auf eigenem Boden der Obrigkeit Macht zu Ende war, versuchte man gleichviel, Materie unter geltende Vorschriften zu brin- gen. In der Abteilung „Naturleben" hießen die Aufsätze : „Wenn die -Natur straft", „Die Polizei Ii8 in der Tierwelt", „Das Schöffengericht der Mutter Natur". Mannigfaltigkeit der Schöpfung wurde erdrosselt, Buntheit wie Schande ausgelöscht, und alle Erwartung in eine mechanische Entwicklung gesetzt, deren treibendes Mittel das Kapital wan m Aber längst hatten die kahlen Zwecke wieder blü- hende Aufschriften erhalten. Dichter waren für dies Ziel tätig gewesen und hatten als platonische Kapaune reimend Begriffe verwirrt. In Tränen saß Martha vor dem Bücherhaufen. Das war Abhub von der Durchschnittlichen Tisch, Schutz vor Weisheit und Erkenntnis mehr als ein Weg zu ihnen. Dem fremdesten Wesen hätte die Bettelsuppe sie nicht eingeben mögen. Maria, allem erstmals Gehörten eine Andacht des Gefühls schenkend, die bis ins Haar sie glühen ließ, gab der Ratlosen selbst Erleuchtung: Es sei das geistig zu Fassende fühlend erst zu durch- dringen. Kein Besitz ginge in den Schacht des Ge- dächtnisses ein, als der die Seele schon bewegt hatte. Der Lehrer aber brächte dem Schüler den Stoff um so näher, als das eigene Gemüt eher von ihm erschüttert war. Nicht das zu Lernende, die "9 Bewegung, die den Lehrer mit ihm packt, merkte vor allem das Kind. Darum sperrte von der Wirtschaft fort, für die eine Magd genommen wurde, Martha ihren Drang in Weltgeschichte, Erd- und Naturkunde. Gab sich an Mythologie, vernichtete Rassen und Kulturen hin und spürte am eigenen Brennen oder Erkalten den Wert großer Männer der Vergangenheit für die Jetztzeit. Ging sie flammenden Blicks zu Maria und brachte ihr -Alexander den Mazedonier noch warm vom Ofen, schoß mit entzündetem Blut der der neue Begriff wie Rakete ins Hirn. Es kamen ihnen Buddha, Lykurg und Cäsar ganz einfach in den Sinn, weil sie über sie staunten, lachten und oft die Träne nicht verhalten konnten. Erhitzter Einbildung liefen sie durch Asiens Steppen, an un- endlichen Flüssen entlang zu den Eismeeren, sahen Chinas und Japans Tempel und suchten, phanta- stische Form des Angeschauten mit dem Stift auf Papieren seitsanier zu übertreffen. Führer ver- schiedener Epochen, die ihnen eines Sinns zu sein schienen, setzten in Gedanken sie nebeneinaiidef und malten Tafelrunden, bei denen Coriolan mit 120 Friedrich dem Großen das Glas anstieß. Dann wirkte das Nüchterne, wirkten England, Scharn- horst und die Kuh abwechselnd durchaus nicht albern und kahl. Nur,- wo einer Wissenschaft Selbstzweck es war, in der Mathematik, standen Lehrerin und Ler- nende gleich verlegen. Sie setzten Hebel von allen Seiten an, wußten aber den Stoff nicht zu be- wegen. Methode vom Arbeitstisch nahmen sie ins Freie mit. Botanische Kenntnisse festigten mit dem Spaten sie im Garten und suchten, hatten sie einer Spezies bekannten Spielarten wachsen sehen, durch Kreuzung und Veredelung außergewöhnliche Pro- dukte zu erzielen. Weil stets das andere und nie sich selbst sie voraussetzten, waren sie die Über- raschten. Auf ihren Gängen glitten sie ins Gras, machten nach links und rechts die Augen auf und hatten gar keinen Willen. Tier, Pflanze, Element sollten ihnen nicht Beweise ihrer Notwendigkeit geben, mochten nur als Schmuck des gerade ins Auge gespannten Gemäldes dasein. Reichten sie irgendwie nicht aus, besserte Einbildung das Feh- 121 lende hinzu. Leicht war aus Wölkchen ein Adler, Meere aus Weizenfeldern zu machen. Dafür war man ein Mensch und schwebte täglich freier. Kam gegen Abend man nach Haus, fiel der Ein* drücke Ungefähr von selbst in ein Lied, straffte sich zu bündiger Bemerkung. Die Arme Segens voll, gingen mühelos sie daran, ihn mit Urteil zu binden. Zum Schluß steckten sie sich die fertigen Sträuße an die Brust, einen großen jedesmal die Ältere der Kleinen; die aber der anderen ein paar mit Anschauung gesammelte Blumen. Oft freilich verzagte Martha. Nicht immer stand sie auf der Auffassung Höhe. Sah den Stoff sie an, den in der nächsten Stunde sie lehren sollte, glaubte der ermüdete Impuls manchmal zu früh die Lösung gefunden zu haben. Richtete dann Maria das feurige Auge auf sie, brach der mitgebrachte Vergleich, zu leicht befunden, aus- einander, und für den Augenblick blieb Martha ratlos. Aber die Jüngere löschte ihre Person vor der Lehrerin aus, daß die sich selbst und das Gesuchte kräftiger spüren und mitteilen konnte. tzz Drei Jahre vergingen den Schwestern, in denen Maria gedieh, nicht zuletzt, weil sie turnen und nach Regeln sich bewegen mußte. Denn als die Zeit gekommen war, in der vom Kind sich sichtbar das Mädchen schied, in einer ängstlichen Nacht ein Leib an ihre Brust sich hing und fassungslos ein Wunder gestand, nannte Martha, während ihre Finger die Aufgeregte zur Ruhe strichen, erstmals das Körperliche nachdrück- lieh. Nahm's aus dem Winkel, in dem es ungekannt gestanden und sprach von ihm, als sei es ein Be- liebiges, wie alles andere sachlich zu bereden. Die Mutter führte sie als Gleichnis zu Marias Leiblich- keit an, und wie sie deren Neigung zu fleischlicher Fülle geerbt hatte; bewies aus des Vaters Wuchs ihre eigene Magerkeit. Da Sonne morgens in die Laken schien, hatte sie noch immer den Leib der Schwester in Händen und lehrte am lebenden Vorbüd. Unbekümmert bot Maria hinfort ihre Nacktheit den schwesterlichen Blicken, mußte vorm Schla- fengehen sie Glieder beugen und strecken oder morgens mit kaltem Wasser den Leib erfrischen. 123 Stand dann das Knospende triefend und Tropfen schüttelnd im Zimmer, lachten die Mädchen sich in einen frohen Morgen, beherztes Lernen hinein. r Als aus Maria mit fünfzehn Jahren eine natür- liche Person geworden war, die Gott in allen Dingen wußte, öffnete Martha den Zwinger strenger Ab- geschiedenheit. Ihres Schützlings sicher, der mit kräftigen Trieben stand, ließ aus bürgerlicher Welt sie eine oder die andere Gleichalterige zu ihm. Diese Mädchen mit gezierter Turnüre kicherten und zwinkerten bei aller Anrede. Eines Satzes simplen Sinn faßten sie nicht, sondern ver- muteten Schliche und Winkelzüge hinter ihm. Sie entgegneten Kauderwelsch und Anspielung, die Maria fremd blieb. Schwarze Schatten hatten sie um die Augen und drehten und banden an sich zurecht. Manchmal seufzten sie und schienen in den Blicken erblindet. Maria meinte zu Martha, sie schwitzten kalt und röchen schlecht. Eine habe gefragt, ob sie liebe. Seit früher Jugend, habe sie geantwortet. Wen? Alles. Das sei nichts, meinte die. IH Einmal, durch Geschrei gerufen, fand Martha die Schwester, wie sie eine Rotblonde, Aufge* schossene mit Püffen aus dem Garten trieb. Über des 2^rns Ursache, der ihr Kopf und Hals ge- färbt hatte, gab Maria keine Auskunft. Besser vertrug sie sich mit den Mädchen vom Land, Die waren warm und still. Doch wurde ihr Schweigen nicht wie Marias Ruhe durch sprühende Blicke, entzückte Gebärden unter- brochen. Ungerührt starrten sie Menschen uiid Landschaft an. So kehrte mit größerem Vergnügen man zu sich selbst und zur gewohnten Lebensweise zurück, in- dem man der Älteren, die absichtlich beiseite ge- standen, mit großem Kuß wieder an den Hals flog. Ihr Umgang ward zart. Da alles gleichmäßig von ihnen vorausgesetzt und gewußt wurde, hatte man sich kaum Neuigkeiten zu entdecken. Bald war die eine nicht mehr klüger als die andere; durch Besserwissen machten sie keinen Eindruck aufeinander. Nur noch mit den Fühlern lebten sie, und waren die berührt, vermittelte ein 125 Lächeln. Welche Wortstille allmählich eintrat und Blickeindringlichkeit! Sprachlos tat man einander alles. Abends lösten sie sich Wäsche und Schuh. Waren in ihrer Eintracht sie zu unterscheiden, schien Martha die Heftigere, Maria gelassen. Wurde Tat notwendig, griff Martha zu. Nur das Einfache, leicht Vorauszusehende kam in Betracht* Auf bescheidenen Einkommens Grundlage war ihres Lebens Ablauf geregelt. Viertausend Mark Rente gab Nahrung, Kleidung und das bequeme Haus. Durch freies Geld ohne Bestimmung war man nicht vor die Notwendigkeit gestellt, Ent- scheidung über seine beste Verwendung zu treffen. Mußte zu keiner Reise, nichts Besonderem rüsten, das Entschluß verlangte. Doch daß für jeden Mo- nat eine Summe auf dem Tisch lag und Existenz verbürgte, gab der Mädchen Dasein Frieden. Und lebte paan hundert Jahr, am bestimmten Tag brächte der Briefträger Geld. Andererseits erregte des Betrages verhältnismäßige Bescheidenheit keines Nachbarn Neid. 126 So genossen sie umständlich das Elementare. An warmen Tagen wurden Stühle ins Grüne ge- rückt. Wechselndes Licht änderte immer den Aus- blick auf Dörfer und Niederlassungen, an deren äußerem Bild Martha hängen blieb und glücklich ausruhte. Aber Marias Einbildung lief gegen den IJorizont, überstürmte ihn und verlor das vor ihr liegende Land. Zu anderen Menschen unter fremden Himmeln jagte sie fort. Die trugen Kleider von ehedem. Waren von hellen Haaren umweht und trieben den Pflug vor sich her. Erdboden fiel wie Kloß vom Eisen nieder. Manchmal ruhten sie aus, spritzten Schweiß und Wasser ab und beteten beiseite. Kanal war bei ihnen und betürmte Mauern einer Stadt. Dann fühlte Maria ein Jauchzen aus sich, Tanz und Wiegen in den Hüften. Oder sie kroch in des großen Kirschbaums Zweige und ließ die Beine auf die liegende Martha hängen, die, irdisch bewegt, das vom Ast gestützte Gesäß, die weißen Strümpfe mit Zipfeln 2^ug da- zwischen anstarrte. Aber Maria sah vor der Wol- ken Rouleau turnierende Ritter in Harnischen und 127 1 Scharnier, auf den Bälkonen der Tribünen sclinee- blonder Frauen in Sonne wehende Schönheit, die in fremder. Sprache bunte Schreie riefen. O, diese Laute ! Keine Silbe hätte sie nachsprechen können, und doch hingen alle Texte ihr im Gemüt. Sprang solcher Visionen voll sie zu Martha hinab — das Auge hatte Lust gehißt, Blu&t hob den Kod^ und es stand die Brust unterm Kleid ^-^ bebte die erwartungsvoll ihr entgegen. Aus der Jüngeren Lebenskraft kam jetzt FüUe und Gewißheit der Erscheinungen. Man sprach von Beliebigem. Martha hatte darüber ein Urteil gefällt, das herkömmliche, und es hätte gelten kön- nen. Doch Maria begann am Leib zu glühen, die heiße Welle packte Martha und alle Umwelt. Er- griff auch das Fragliche, schleuderte es ins allge- meine Brennen, und alsbald hatte in der Gefühle Weißglut es das ureigene Gesicht gewiesen. Und es gewann Martha gewaltige Sicherheit an Marias Seite. „Was kann meiner Seele geschehen ?" dachte sie. „Und wenn die Welt voll Teufel wäre, wacht Maria nicht über mein Gewissen ? Werde durch 128 sie an das wahrhaftig Wahre ich nicht bis in des Todes Stunde angeschlossen sein ?" Weil Maria an Leib und Seele rund schien, und sie in allem Höheren von ihr abhing, ergab sich ihre Rolle der Schwester gegenüber für die Zukunft: ihr demütig anzuhangen und sie gegen Störung von außen zu schützen. Wie ein Trabant stand sie bei der Erblühten. Jedes Wort aus Menschenmünd dünkte sie überflüssig und gemein, und sie ersparte es Maria, indem sie fremde Person von ihr hielt. Richtete auf Gärigen wirklich jemand Rede an sie, unterbrach Martha brüsk und sofort. Die Be- wachte war's zufrieden. Wollte nur den geregelten Tag. Arbeit im Garten, Wege durchs Land, ein Buch und reichlich freie Zeit, das gefühlsmäßig Er- faßte in die tieferen Gründe der Natur zu leiten. War so Deutung der Welt an Maria gegeben, ohne daß Martha Einspruch gewagt hätte, in einem hatte erst instinktiv, dann mit Überlegung sie auf die Schwester weitergewirkt, wenn sie das Männliche ihr nach jeder Richtung hin ver- dächtigte. Nachdem die Ideale der männlichen II, 9 129 1 Cesamtheit bei ihren Schwächen sie gezeigt, da!s Verwerfliche der Ziele bewiesen, hatte den Einzel- mann wie einen Schmetterling sie gespießt und vor der belustigten Zuschauerin mit gepfeffertem Hu- mor zerlegt. Da war kein Trieb an ihm, den sie nicht mit Hohn durchlaugte; seine Überzeugungen, die mit verdrehten Augäpfeln er vortrug, schienen nur Vorwand für eine Laufbahn ; Frömmigkeit und Menschlichkeit Maske, die die unmenschliche Sucht verdeckten, durch Macht, die Besitz war, sich über andere zu erheben. Aus allen Literaturen hatte sie der Emporkömmlinge Figuren als Beleg zur Hand, und die Rotschilds, Astors und Vanderbilts waren in ihrem Mund gigantische Gauner, die mit der linken Hand Almosen gebend, in der rechten Faust grifffest das Jahrhundert hielten und es zwangen, Gold in ihre aufgesperrten Säcke zu speien. Der Mann war schließlich unter allen Um- ständen Karrieremacher. Aufzeichnung sämtlicher Ehrgeizexzesse von jeher Weltgeschichte. Maria hörte zu. Bei einem gelungenen Vergleich klatschte sie in die Hände und spornte durch Bei- fall Martha zu größerer Lästerung. 130 Unbewußt einte in der sich Ressentiment des vom Schicksal benachteiligten Frauenzimmers mit aus eigener Erfahrung begründeter Angst, durch des Mannes Auftritt möchte an Marias Glanz und dem aus ihm für sie stammenden Glück gewischt werden. Von Tag zu Tag besaß diese Furcht sie mehr, und indem von weither und aus nächster Nachbarschaft sie Beispiele von des Mannes Trunk- sucht, seiner Gewissenlosigkeit, Bilder jedes denk- baren Familienunglücks durch seine Schuld zum Beweis anführte, predigte sie Widerwillen gegen ihn ohne Vorbehalt. In blindem Haß ging mit zu- nehmender Gefahr sie schließlich über die Grenzen des von ihr selbst Geglaubten. Als Maria neunzehn Jahre alt war, und das Wort an sie deutlich sein durfte, schob Martha dem Mann, der der Frau sich nahte, mörderische Krank- heiten als sträfliche Absicht zu und hielt nach der ungeheueren Anklage auch Marias Blick verwegen und unerschütterlich stand. In einer Atmosphäre der Zartheit und Keuschheit verlor in dieser Hinsicht sie jeden Halt und des Besserwissens 9* 131 Scham. Die gleiche Kraft, di6 seit Marias Erziehungs- anfängen dieser das Weltbild von Lügen gereinigt hatte, fälschte hier leidenschaftlich mit schwär- zesten Farben. Nach -Martha steckte im Gleichnis von Evas Sündenfall der erste Beweis für die Niedertracht und fabelhafte Verdrehungskunst des Herrn der Schöpfung. In seinem Gaumen hing die Lüge, schwärendes Gift, die symbolische Viper an sei- nen Lippen und Fingern. Als ihre Besinnungslosigkeit einen Atlas übler Krankheiten entdeckt hatte, stieß die schlimmen Karten, die in gelben und roten Flecken zum ELimmel schrien, sie so kaltblütig in des Mäd- chens Vorstellung, wie der Mörder bei Shakespeare prompt sein Werk tut. Daß Maria in die Bettnische ging und mit der Trauer Ausdruck den Vorhang über sich zu- sammenschlug, rührte sie nicht. Sie glaubte, ein gottwohlgefälliges Werk zu tun, und der Zweck heilige die abscheulichen Mittel. Da Maria auch ferner Marthas Behauptungen aus besserer Kenntnis nicht widerlegen konnte, floh 132 ihr bekümmerter Sinn in die Vorstellung Gottes und seines Sohnes als zur makellosen Bildung männlichen Wesens. Je lauter die Schwester den Teuf er in Mannsgestalt kündete, um so griffiger des Herrn ward Marias Seele, und als Martha aus- sprach, was besser verschwiegen geblieben wäre, sah und hörte das jüngere Mädchen, was Zungen un- aussprechlich ist. Es starrte in glanzreichen Wider- glast und trank der traurigen Dinge, die zu ihr schallten, unmittelbares Vergessen; saß in des Menschen Schlechtigkeit und war inwendig voll himmlischer Gewißheit. Aber an jedem neuen Morgen begann Martha eindringlicher den harten Kampf. Sie wollte ihn nicht enden, es sei denn der Haß in Maria bestän- dig und fest. Doch trat die eines Abends in ihren Winkel, nahm d^s Taschenmesser, und während sie ihren Busen aufhob, ritzte ingrimmig sie die Haut unter dem Herzen, stach hin und her, bis den Namen „Je- sus" mit dünnen Linien sie ins Blut gezeichnet hatte. Als Martha später das Mal aus des Hemdes Wellen sah, erschrak sit und verstand, das Ding 133 sei ausgeredet. Und in der Mädchen Gesprächen galt endlich der irdische Mann als verworfen. Still lebten sie miteinander fort. Im Winter in den Stuben, wo Maria im Erker hockte, der am Schlafzimmer hing, unter Blumen, mit denen sie zusammenstimmte; an warmen Tagen in des Kirschbaums Schatten, wo das reiche Gewicht ihres Leibes sie ins Gras drückte. Dort lag sie. Knie in die Luft gestemmt, gegen die das gele- sene Buch sie lehnte : Taulers Predigten jetzt wohl und des guten Seuses Schriften. Oder sie grub Ell- bogen und Brüste ins Erdreich und zeigte dem Himmel den Rücken, während aus Röcken Beine wie Dreschflegel klopften. So sah durch Buchenhecken sie der Junge in grüner Mütze, letzthin ins Nachbarhaus gekom- men. Der Witwe Sohn war er, der das Anwesen gehörte, und nach bestandener Prüfung vom Gym- nasium heimgekehrt. Bald sollte die Hochschule er beziehen, und die Wochen an der Mutter Tellern in Sommerwetter auf dem Land brachten ihm nach zehnjähriger Gefangenschaft erste Freiheit. Aus seiner bisher vergewaltigten Person kochte eigenes Selbst unbändig zutag. Wo er stand, griff er 'ins Gefüge der Welt, köpfte Blumen im Garten, schnitt an Büschen und Bäumen herum. Über Stangen turnte er, sein Sprung und Lauf pfiff in der Luft. Aus dem Turm sah man ihn oben die Fahne stecken, daß Ahnung von Wind und Sturm war. Von Seilen zwischen Pfosten nahm Martha wehende Wäsche, Tücher und manch heimliches Stück. Vorhänge gegen das Nachbarhaus ließ man nieder und saß im Freien auf der abge- wandten Seite. Vorm Schlafengehen wurde mit Nadeln jeder Gardinenschlitz gedichtet. Aber der Junge war nicht aus der Welt. Die Elemente schien er zu besitzen, in der Atmosphäre Atomen zu stecken. Insekten der Luft, Gewürm im Boden und Tiere der Nachbarschaft waren ihm untertänig. Vom Trog stürzten Hund, Katze und Geflügel zu ihm und wußten mit drolligen Sprüngen und Geheul sich nicht zu lassen. Zäune gaben, verriegelte Türen nach; kein Gemäuer, kein Spalier war ihm zu steil. Martha meinte, ihn auf Dächern zu erblicken, sah ihn in Kamine fahren und gewöhnte sich, Schlüssellöcher zu stop- fen, nach heimlichen Durchblicken zu spähen. Von seinen Absichten wußte sie gleich das Schlimm- ste, behauptete seine besondere Verruchtl\eit, die in Blick und Gruß ihn vor Maria sie auch spüren ließ, wenn trotz aller Vorsicht Begegnung er- folgte. Er aber hing durch Martha den Blick an Marias 2^pfe, ließ ihn an ihre Haut und, von dort ver- jagt, über die Wolken zu ihrer Brust flattern, wäh- rend seines Schopfes Rot flammte. In solchem Feuer zog Maria sich zusammen. Diese männliche Jugend war in ihrer Zudringlich- keit abstoßend. Sie setzte Sprödigkeit auf und sah den Lümmel nicht mehr. Ins Zimmer hätte man ihn ihr stellen können; sie hätte keinen Eindruck von ihm gehabt. Martha aber verlor den Kopf. Ihre drohende Abwehr übersah Gustav und drängte mit List ans Haus. Wespen gab es plötzlich im Garten, Fleder- mäuse in den Stuben, die niemand als er verjagen konnte. Ratten nisteten sich in die Keller, drohten 136 zu der Mädchen Entsetzen ins Haus zu steigen, und es bedurfte seiner tagelangen Jagd auf Trep- pen und Fluren, sie zu erlegen. An der Küchen- seite hatte morgens der geschwollene Bach die Brücke gesprengt, Wind blies Scheiben ein ; immer war rechts und links mit männlicher Hilfe etwas zu richten. Ohne Anmerkung ging dabei nichts ab. Man ist nicht Nachbar, nicht bekannt, ohne gleiches Interesse kurz zu bereden, undkommt die Mutter, kommen von drüben Mägde her, gibt ein Wort das andere. Ein Köter biß die heimkehrende Maria einst am Gartentor. Hell auf schrie die ; aber Martha hatte besinnungslos die Arme hochgeworfen. Gustav, mit gtszieltem Tritt, prellte den Hund fort, griff nach der Wunde. Doch den Strumpf riß Martha ihm aus den Fingern, fuhr mit Geschrei ihn an und zog die Verletzte in Sicherheit. Über die Wanne hielt sie der Schwester blutende Wade und saugte sie, daß Gift sich nicht staue. Maria lächelte und streckte aus der Hose das Bein näher der Besorgten hin, wußte sie auch, der Biß sei ein- fach und belanglos. Durch das winzige Fenster der Badstube, die frei über den Bach hing, sah sie iil Gustavs gesperrte Augen. Sie rührte sich nicht. War ahnungslos, wie er den Abgrund überstiegen hatte, durch welche Gewalt an der abstürzenden Wand er ge- halten wurde. Doch mochte er schauen ; nach sei- ner vernünftigen Hilfe sehen, wie man sie weiter pflegte. Als mit anbrechenden Nächten von den Geländern der Mädchen der Jüngling nicht mehr wich, lähmende Wärme im Sommer herrschte, und man die Freiheit in Gustavs Kleidung entschuldigen mußte, als Entschluß, an ein Ziel zu kommen, ent- schiedener in seine Blicke kroch, Bereitschaft wie ein Panther in ihm duckte, wußte Martha In ohn- mächtiger Angst keinen Ausweg mehr. Sie sah schneidige Mannheit wie einen Pfeil auf über- zogener Sehne liegen, sah das Ziel und bebte in Krämpfen der Wut und des Entsetzens. Zu seinen Füßen wollte sie bitten, er solle gehen und wußte, er mußte sie auslachen. In dem zappelnden Kna- ben war Feuer nicht auf Schonung entzündet, brannte vor keinem angeschwärmten Bild zu Be- 138 leuchtungszwecken. Es wollte alle Flammenselig- keiten haben, bis zu ruhiger Glut es zusammen- stürzte, Marias Gleichmut mißtraute sie. Zum ersten- mal machte Argwohn vor der Schwester nicht halt. Daß Mädchentum von solcher Leidenschaft nicht gepackt sein sollte, schien ihr gelogen. Nun turnte bei Dunkelheit Martha ums Haus; lautlos war ihr Tritt. Sie sah im Schwarzen. Mit allen Trieben bebte an Schatten und Erscheinung vorbei sie der Entscheidung entgegen. So fand in undurchsichtiger Nacht sie sich jäh bei ihm, der von der Bank auf ihr Fensterbrett ein Bein ge- stellt hatte, während Rumpf und Gesicht an den Scheiben klebten, die mit seines Leibes Dampf er beschlug. Mit beiden Händen packte sie des Jun- gen Knie und mit Rucken der Verzweiflung zog die männliche Last sie zu sich nieder. Schwebend auf dem Mädchen, schlägt dem im Exzeß Gelähmten der Wunsch in andere Richtung um. Aber als zur Wehr Martha die Faust ballt und noch Gewalt über den Greifenden hat, hält ein Gedanke, der 139 mit Blitz die Hummel öffnet, sie könnte mit ihres gleichgültigen 'Leibes Hingabe Maria aus Verfol- gung retten, sie am Boden, und während stärker Gewißheit sie besitzt, bricht ihr gewürgter Leib in Stücke. Schlicht erfüllt in Zukunft sie Pflichten, die sie auf sich genommen hat; einfacher, als sie sieht, der Jüngling bleibt in sie gestillt, und des Opfers Sinn ist erfüllt. Nach außen verrät keine Regung ihre Tat. War's nun nicht seltsam, daß Maria plötzlich ein Unmaß Zärtlichkeit für die Schwester hatte, das vom Morgen bis zum Abend sich nicht genug tun konnte ? Es gelang ihrer küssenden Begeiste- rung, der Älteren Bedeutung so zu heben, daß alles Geschehen ausgeglichen, und Respekt vor der eigenen Person in der gestärkt wurde. Und was Beschwörungen vorher nicht vermocht hatten, jetzt zog Maria sich zu Haus streng hinter Vor- hänge, draußen hinter schützenden Schleier zu- rück. Diese Gewohnheit ward ihr eigentümlicher. Als mit Gustavs Abreise der Zurückhaltung besonderer 140 Grund schwand, * schien sie nur noch scheuer. Keinen größeren Gegensatz gab es, als in des Zimmers Heimlichkeit das ausgelassene Mädchen und der schönen Maria Stork beherrschtes Bild auf der Straße, das aller Welt fromme Über- raschung war. Achtete aber Maria des eigenen Eindrucks nicht, war Martha kein Blick der Bewunderung für sie zuviel; noch den verstohlensten fing sie sich und hatte die himmlischen Gefühle stolzer Eltern und des in die strahlende Braut verliebten Bräutigams miteinander. Nahm der Bewunderten daheim das Mützchen, den Mantel sie ab und faßte an beiden Händen die reizende Frau, schlenkte nach rechts, nach links * sie ein wenig und sah in ihrem Ge- sicht lachende Zufriedenheit, war das Lohn für manches Leid, das mit zusammengebissenen Zäh- nen sie getragen hatte. Gegen ihren siebenundiwanzigsten Geburtstag wurde Maria krank. Schon hatte einige Male sie quälendes Stechen in den Seiten behauptet ; aber 141 / ) dem nie angegriffenen Körper traute besorgteste Liebe kein Nachlal$8en der Kräfte zu. Bis es so weit war, daß die Leidende man legen und den Arzt rufen mußte. Der trat ans Bett und stellte mit Fragen, ohne die Liegende berührt und mehr als flüchtig ge- mustert zu haben, die Erkrankung fest, für die er Arznei verschrieb. Er sagte nicht, was zu fürchten sei; nur aus seiner Stimme Ton begriff man, Kranke und Pflegerin würden harter Prüfung unterworfen werden. Und wirklich stürzte Krankheit wie Orkan in die Tücher, und als wüte sie über begegneten Widerstandes Kraft, ließ fürchterlichem Überfall sie immer gründ- lichere Angriffe folgen, bis das gemarterte Fleisch alle Beherrschung verlor und mit sich selbst Hemd und Laken durch die Bässen schleuderte. Hinter- her aber duldete mit Schütteln es nicht, die damp- fende Haut zu bedecken, sondern legte den Leib frei an die Luft, daß Wellen der Erregung, die das Bauchfell sprengten wollten, durch Kühle sich glätteten. War der Arzt im Zimmer, wenn Maria sich enthüllen mußte, lobte Martha vor sich selbst 142 seine Haltung, wandte zum Hintergrund er sich ab. Und doch war des Mannes notwendige Gegen- wart in diesen innigsten Stunden ihres Lebens mit der Schwester ganz unerträglich. Lag trotz seiner Beherrschung ihr Abgott vor ihm nicht bis ins Eingeweide bloß, und kannte aus ärztlicher Pflicht dieser Fremde das ängstlich gewartete Mädchen nicht bis in seine unaussprechlichen Heimlich- keiten ? War darum mit Anspannung aller Kräfte sie Hüterin des Schatzes gewesen, daß der durch- schnittliche Berufsmensch jetzt mühelos an ihm teilhatte? Martha haßte den Eindringling und immer inständiger, als nach einem Aufschwung am zwanzigsten Tag Gefahr steil über alles* Erlebte wuchs. Rasend stritten um dei\ Leib im Bett nächtelang Wehen des Lebens und Sterbens, und mit dem Mann verlor für Stunden sie alles Den- ken, im Schweiß der Glieder bemüht, die in den Kissen sich Schnellende zu bändigen. Als zu irgendwelcher Entscheidung der Körper schließlich in die Matratze gebrochen war, und halb gefühllos H3 Martha neben der Kranken kauerte, ließ das bisher ' rasende Verlangen nach Marias Genesung in ihr plötzlich nach, wie in Ruhelage ein gespanntes elastisches Band zurückkehrt. Der Mann, der eingeschlafen, auf dem Bettrand des Mädchens Hand hielt, schien mit ihm der gleiche, in Erschöpfung hingeschmolzene Stoff und ließ sich aus Marias Sein nicht mehr fortdenken. Durch Berührung war zartester Schmelz von ihr gestreift, irgendwie Gefieder geknickt. Halbbetäubt, spürte Martha in Sekunden, deren jede das Leben der Schwester löschen konnte, ihre Teilnahme an des Kampfes Ausgang vollständig schwinden. Dann kam der Augenblick kahler Leere. Aller Atem stand im Zimmer, und nicht eines Gedankens Spur war da. Aber ein Wölkchen Rauch flog von Marias Lip- pen, Blicke schlug kurz ins Schwarze sie auf uüd wieder zu. In dem Moment vergewaltigte elementarer Haß die Ältere, und nur der flammende Wunsch war sie noch, es solle vor ihr und auf der Stelle die 144 Schwester sterben. Vorgebeugten Haupts, mit wehenden Flügebi der Nase lauerte sie bis zum Morgen und blieb, von nichts mehr sonst bewegt, aus Beton ein drohender Koloß. Maria genas. Beide Fenster sperrte eines Mor- gens der Arzt auf und ließ Luft und Licht reich- lich in die Stube. Mit einem Schwaden Arznei- geruch zog das Andenken erlittener Qual hinaus, und neuen Lebens freundliche Bilder hielten Einzug. Aber in allen Stationen rührender Pflege stand eine Wand zwischen den Schwestern; es war, als sähen sie sich gegenseitig nicht mehr ursprünglich, sondern ihr ähnliches Bild in der Mattscheibe des photographischen Apparats. Auf ihr hob jede seelische Bewegung sich ab; man konnte sie be- wundern, aber anschauend, übte man Kritik. Glaubte Maria vielleicht, ihre Kräfte reichten zu freiem Sehen noch nicht aus, wußte Martha, wie dieser Abstand zwischen sie gekommen war. Und ob die prächtiger sich aufbauende Schönheit der Gesundenden sie wieder zu Hingabe und Liebe n, lo 145 lockte — zu fest steckte in ihrem Fleisch der Stachel, der sie wurmte und bis in die Elemente quälte. Während Wochen fortschreitender Besserung kam noch oft der Arzt. Doch machte er von sich so wenig Aufhebens, daß man meist nicht wußte, war sein Besuch gewesen, oder müsse man ihn erwarten. Aber statt daß strikte Zurückhaltung Martha beruhigte, erregte sie sie nur stürmischer. Nach allem, was gewesen war, dünkte es sie Lüge, es sei der Mann von einigen dreißig Jahren ohne tiefe Beziehung zu Maria geblieben. Hier konnte nur ein verruchter Plan bestehn, der nicht mit List an ihr vorbeisollte, sondern zum Kampf auf Leben und Tod sie bereit fände. Längeres Beisammensein mit dem Verhaßten suchte sie jetzt, durch Beobachtung seine Finten aufzudecken. Doch wie die Sinne sie spannte, auf keinem Blick, zweideutigem Witz oder nur einer Behauptung seiner Person konnte sie ihn ertappen. Sondern gerade blieb sein Wesen, Rede sachlich und ungeschmückt. Als einen in seinem Beruf durchschnittlich Erfolgreichen, mit seinem Amt 146 Zufriedenen stellte er sich hin. Martha aber hätte, unsichtbar für ihn, sich immer um sein Wes^n be- wegen, seine Tagebücher und Aufzeich|l^ngen einsehen mögen, die ungeheure Niedertracht, die für sie über allen Zweifeln feststand, ans Licht zu ziehen. Verschlagenheit"wollte"sie"'auch von sich aus mit tückischer Überlegung und List für List zu Leib. Ihr Anzug ward sorgfältiger, gewählt die Erscheinung. Maria sagte ihr Schmeicheleien über ihr Aussehen, und am Spiegel bestätigte sich Martha das Urteil. Aber mit äußerem Reiz nicht nur, mit Geist und bedeutendem menschlichen Wert vor allem ging den Feind sie an. Der stand, wie immer schon Maria, ihr lässig gegenüber. Litt Begeisterung ohne 2^ichen eige- ner Teilnahme, was Martha nicht entmutigte. Hatte sie doch von Anfang an gewußt, hier war ihr ein reiferer Gegner als einst der kaum flügge Gymnasiast gegenüber, und im Kampf mit ihm mußten ihre letzten Reserven bluten. Gelang es nicht, den Feind zu werfen, er- focht sie alsbald kleine Vorteile, die nicht zu' be- 147 zeichnen waren, doch feststanden. Beim Will- komm und Abschied, aber auch im Gespräch, ^enn an Marias Bett ihre Beinpaare beieinander hingen, gab es Gelegenheit, den Mann sichtlich zu verwirren. Immer dringendere Blitze schoß sie aus gesenk- ten Lidern, die eines Abends, endlich, noch unter- irdisch, erwidert wurden. Da hob mit einem Ruck Martha ihr Haupt über die Welt, und als von der im Bett schon schlum- mernden Maria der Gast in den finsteren Garten fortging, stand am Rhododendron mitten im Aus- gang sie dem Aufgeregten wieder gegenüber, zu allem Menschlichen entschlossen und gewillt. Doch wie war, im leichtgeknöpften Kleid, das Hemd durch alle Ösen zeigte, plötzlich Maria bei ihnen erschienen ? Es hatten dfe Sterne am Firma- ment gezuckt, das Stückchen Mond verlor am Him- mel seine Stütze. Und während herzliches Lachen aus der Schwester Mund scholl, eine Hand im Bogen nach dem verzauberten Mann griff, fühlte Martha aus eben noch farbiger Fülle sich ins gren- zenlos Leere für immer geschleudert. 148 META Meta war ein dienender Geist, geboren im glei- chen Städtchen, in dem bei bürgerlicher Herrschaft sie Stellung hatte. Siebenzehn Jahr alt, schien sie klein, fest und hatte zu mittleren For-^ men den vollen Busen der Frau, auf den sie stolz war, den sie herausstrich und mit Brosche und Blume garnierte, Ihr Haar, das aufgelöst mit blonr der Welle ins Knie hing, wusch sie mit Branntwein und Kamille. Der dünne Sopran sang Volks- und Kirchenlied; warm wie ein öfchen war die. ganze Person. Sprang morgens sie aus den Kissen in die Kamr mer, verschlug ihres Körpers Hitze gleich des Nordzimmers Kühle angenehm. Bei jeder Be- wegung, warf sie Arme ins Waschbecken, fuhr mit dem Bein in Hose und Rock, hob es zum Schuhknöpfen auf den Stuhl, ging ein molliger Hauch in die Atmosphäre, und alle Umgebung war immer behaglich für sie angewärmt. 149 So fand, von Frost und Schauern nie zur Eile getrieben, sie Zeit, beim Anziehen im Spiegel sich reichlich zu sehen, unter das Haar, in den Rachen zu spähen und die Zähne tüchtig iu bürsten. Mit billigen Pasten salbte sie die Haut, Da sie aber ihrer Arbeit gewissenhaft hinge- geben war, blieben die Hände, die in Soda und Lauge tagsüber schwollen. Risse und Borken be- kamen, ihre ständige Sorge. Un^er dem 2^ug war sie blank wie Porzellan, aus den Ärmeln aber schauten breit und blau die Flossen. Kleider von glattem Tuch standen ihr zum Ent- zücken, beim Schaffen schien die Schürze darüber angegossen^ Stand sie hoch und auf Leitern, sah man Säume der Wäsche weiß, und aus fester WoDe schwarze Strümpfe. In der Bewegung spiel- ten die Glieder rund und im Rhythmus. Der Herr, erwischte er sie in einer Ecke, patschte ihr leutselig aufs Hinterteil. Sie lächelte und nahm*s als Herzensbeifall. Schon hundertmal hatte er sie getätschelt, und es sprang aus ihr kein Flämmchen. Noch war sie niedlich nur für sich selbst, und Blicke der Männer machten sie nur 150 in der Selbstschätzungsicher. Im Sommer schwitzte sie, im Winter wünschte sie's zu tun. Der Früh^ ling sagte ihr Besonderes. Da wurde ihr Tun ge- messen. Sie verhielt sich, Kräften, die sie spann-* ten, begegnend. Sie flog ein wenig von innen heraus, und ihre wie zum Gebet gefalteten Hände drückten die bewegte Brust, das drängende Leib- chen nieder. Im Spiegel sah sie sich ins Auge und fand alles weit und blau. Ein großer Reiz stellte ihr das Ge- fieder der Haut auf; sie schnurrte. Oft fiel ver- loren sie in den Sitz und staunte. Befühlte Gegen- stände und sich selbst und mußte, Tränen im Blick, den zierlichen Kopf schütteln. Abends aber im Bett, dem geöffneten Fenster entgegen, lächelte sie verschmitzt ins Himmelslicht und dachte ihr Teil. Plättete sie Wäsche der hübschen Hausfrau, hatte sie gerührte Voi Stellungen. Zärtlich strichen die Hände Spitzen und Rüsche. Armes, dachte sie von ihr, — glückseliges Weib dann wieder, und aus ihr hüpfte Mitgefühl. Hemd, Kragen und Bein- kleid des Mannes weckten ihr gutmütigen Spott. 151 Die Männer — Himmel, das war eine Sache für sich; doch immer zum Kichern. Sie lächelte jeden an, dem sie Rede stand, und spürte, es ist nicht ernst mit ihm. Nur ein wenig Blitz brauchst in den Blick du zu stellen, das Mäul^ chen zu schürzen, und mit seiner Gewalt, dem festen Auftritt ist's vorbei. Den Beamten, die be- hördliche Mahnung brachten, entgegnete sie auf ihr „endlich!" und „unwiderruflich!" mit stiller Heiterkeit, daß die das Auge schlugen und gleich fröhlich von der Sache wegzureden begannen. Einem Polizisten hatte sie sogar den Arm gestrei- chelt. Waren die Männer schon in die Treppe zu- rückgetreten, schmetterte helle Triller sie ihnen nach, daß die draußen lachten und dachten: welch niedlicher Vogel, welch frecher ! Und ihnen noch einmal wohl wurde. An allen Straßenecken grüßte sie Obrigkeit. Die Wagenführer waren ihr gewogen. Milchmann und Schornsteinfeger grinsten bei ihrer Begegnung, und zum Dank hatte sie für alle einen Blick, irgendwie Duft ihrer Frische. Regnete es, hob sie die Röcke an die Wade, und trippelnd fing aus Blinzeln und Ge- 152 schmunzel bärtiger Gesichter sie sich eigenen Son- nenschein. Hochgestimmt war sie an Sonntagen, an hohen Festen überirdisch bewegt. Zu Weihnachten bekam von der Herrschaft sie ein leeres Heft, auf dem in goldenen Lettern „Tagebuch" stand. Dazu ein gedrucktes Buch, einen Roman des Titels „Der Zug des Herzens". Mit des Tagebuchs Spende war von den Ge- bern nicht beabsichtigt, ihre Magd zur Selbst- einkehr zu führen. Irgendwann hatte die Frau es geschenkt bekommen und gab es weiter, andere Gabe zu sparen. Der Roman aber war in einer Buchhandlung eigens für Meta gekauft. Die erste Liebesgeschichte war es, die das Kind erfuhr, und sie vermittelte ihm stürmischen Ein- druck. Held und Heldin des Buchs liebten sich auf vorbildliche Art; das Mädchen schien leiblich und seelisch wie aus dem Ei gepellt und machte dazu mit Rede und Geste heldische Anstrengung, stand sie bei dem Geliebten. Ihre braunen Flech- ten waren gelöst, es blitzten Augen, Brust hob sich regelmäßig stürmisch. Auf ihrem Antlitz lag Güte, sie lispelte hold, und abwechselnd ließ 153 das Haupt dem Mann sie an die Schulter und in den eigenen Nacken sinken. Der Liebende aber war aus Bronze ein Standbild. Er sprach Gold und schwieg Erhabenheit. Es ließen Situationen sich himmlisch an trotz einiger böser Menschen, die zum Schluß ihr Unrecht bekannten. Küsse knallten auf jeder Seite, .und einmal war sogar von etwas die Rede, das Metas Blut zum Wallen brachte. Hinterher war sie mit Dichtung gefüllt, schickte mit jedem Gedanken Übersinnliches in die Welt,; verband aller Handlung fortan dunklen Zweck. Zittern befiel sie jetzt beim Bügeln der Wäsche, und es schwindelte sie, räumte des Ehepaars Schlafzimmer sie auf; ein Geheimnis wuchs in der Brust, und sie neigte ein wenig zur Angst. Auch legte den geschwungenen Arm sie wohl an einen Türpfosten und seufzte verzaubert. Schwäche saß in den Schenkeln ; von der Küche sah zum Hof sie auf die Tiere, die sich berochen. Erst wälzte heftig sie Gedanken, dann saß eines Abends sie bei Papier und Feder und stach ent- schlossen ins Faß. Doch flössen Tränen vor der ^54 Tinte auf die Seiten, und ihr entfuhr ein „Jesus !" nach dem andern. Fedor, der Held des Romanes, wuchs stracks in ihr Leben. Aus den Armen Leonorcs, der sie auf manche Schliche kam, riß sie ihn und zog ihn zu sich hinüber. Eine Vollkommenheit ihrer Seele nach der andern entschleierte sie dem Entzückten, der mit „geliebtes, himmlisches Weib" respon- dierte und segnende Gebärden auf sie schwenkte. Dazu murmelte Meta innerlich ein erlöstes : Ach ! Einmal, als sie ihm eine Tugend, die ihr eignete, zuraunte, wollte der Hingerissene flink ihre Lippen; Da aber richteten Trotz und Person des Mädchens sich noch einmal hoch, bis durch Glut der Blicke versengt, schmelzend in den Wirbel seiner Küsse sie einging. Nun hockte, von der Arbeit fort, sie oft in den Winkel und ließ sich von ihm umschließen. Die Lippen schmiegte sie zwischen die eigenen Finger, die sie geschlossenen Augs besog. Fedors Atem blies aus ihnen sie an, sein Wunsch und Wille mit ihr lag wie Faust auf dem Haupt. Er wuchs sich aus, ward bald ein Schlimmer. Dem Schluß ihrer 155 Arbeit lauerte er auf, trieb sie, die Hände wie Hämmer über sie gehoben, flugs in die Kammer hinauf. Dort preßte den Rücken er gegen die Tür, breitete Arme und Beine und sperrte gänzlich den Weg. Dann stellte er die schreckliche Forderung: ihr Kleid solle sie. abwerfen, Wäsche zeigen. Sie aber schlug purpurnes Antlitz in die Hände^ und während Fieber sie quirlten, stieß ihr Stimm- cheü das gerade noch hörbare Nein als Hilfeschrei heraus, der ihn verjagte. Das ging nun Abend für Abend. Schon beim Einbruch der Dunkelheit sprang seine Tatze au* der Wand und trieb sie. Wo sie stand, hatte sie das Gefühl, der Zugriff blieb hinter ihr. Sie lief mit vorgestoßenem Schoß und legte die Hände schützend unter das Gesäß. Das war ihres jungen Lebens Zustand, bis Franz erschien. Er brachte eines Morgens ein Telegramm, und als er's gab, sah er in die Luft. Da er auf Antwort wartete, blieb er in der Küche. Meta suchte, sei- nen Blick aus dem Nichts zu fangen, doch wich er aus. Endlich gelang ihr's, sich ihm in den Seh- 156 Winkel zu haken, und nun zog des Jungen Haupt sie gegen ihr Antlitz, ließ es Kreise beschreiben, und als er es recht geradeaus hielt und die Augen gleich zwei Tassen aufriß, blies das Mädchen mit Stich- flamme ihm ihren Glanz bis zur Herzgrube. So- fort war innen er mit Licht tapeziert. In Magen und Eingeweide, an des Leibes Wänden, — über- all verzehrten ihn ihre Feuer. Er stand gelähmt, und erst, als sie ihn anredete, schlenkerte er weg* Doch wurden die Depeschen im Städtchen hinfort nicht schnell bestellt, denn er verweilte auf Brücken, in öffentlichen Gärten. Bog der Büsche Zweige nieder, ließ sie schnellen, und ihm war's süßer Schreck. .Im Tritt mied er Ritzen der Trottoir- platten und alle Schatten ; ließ den Finger an Git- tern spielen. Sonntags sackte er in eine Bank im Park und trank unvergeßlichen Morgens Erinnerung. Meta aber putzte Scheiben zur Straße, nach ihm zu spähen. Erschien er, hing sie den Rumpf, die halbe Brust ins Freie und flatterte, Tuch in Händen, wie eine Fahne am Fenster. Den Kopf in die fortstehende Sohle, das offene Loch ihres 157 Rockes gereckt, marschierte Franz unten vorbei. Einmal doch wurde er flach hingenägelt, als sie ihn anrief. Er sperrte Mund und Auge wie ein Karpfen, und ohne daß er sie verstanden hätte, war er ver- himmelt. Nun begann, was Regeldetri ist : eine ein- fache, dumme Liebe in dem Jungen, der träumte, was das Zeug hielt, mit keuschen Symbolen. Engel war für die Angeschwärmte das mindeste Gleich- nis. Er gab ihr Krone, Kelch und Dorn und alle Vollkommenheit im voraus. Sie empfaiid's auch, als das erstemal mit ihm sie in die Felder ging. Ganz anders als in ihrem einstigen Verhältnis zu Fedor mußte sie sich nicht brüsten. Wort aus ihrem Mund war ihm Allegorie, Silbe schon Bot- schaft. An ihrer Seite ging er, Andacht und Glaube. Sie schwatzte Blasen ins Blau und spürte gleich- viel, wie Basalt fiel ihre Rede auf sein lauschendes Herz. Die blasseste Geste von ihr blieb ihm denk- malhaft in der Vorstellung; schloß er die Lider, rauschte großflügelig sie daher mit Schwung und Faltenwurf des Gewandes. Auch Natur, die sie einmal bezeichnet hatte, verharrte für ihn endgültig. Als bei einer Promenade sie den sinkenden Sonnen- 158 ball 2ieigte, stand der fortan Tag und Nacht seinem Auge an der gleichen Stelle. Silhouette der Berge, an einem regnichten Morgen von ihr mit dem Finger an den Himmel gerändert, blieb dort, in Wolken gemeißelt. Überglücklich fand sich Meta und diese Anbetung wie ein Wunder, das den Sinn ihres Lebens erhellte. Was galt Arbeit und Ab^ hängigkeit, stand am Haustor abends der Trabant mit dem Thronhimmel seiner Liebe, unter dem sie als Kaiserin schritt? Maskerade war ihr Dienst; Wirklichkeit begann an des Verliebten Seite. Das Mädchen sah der Gottesmutter Bildnis oft und dringend an und nahm aus Haltung und Ge- bärde viel für sich wahr. Denn sie meinte, des JüngUngs Sinn allmählich mit WirkHchkeit stützen zu müssen ; doch erfuhr sie nicht, daß der Eindruck ausblieb, weil die männliche Seele sie ewig strah- lender sah, als sie es darstellen konnte. Ihm war sie nicht nur Maria aber Meta dazu. Und die war ihm ursprüngHch herrUcher. Flitzte auf gelbem Rad er vorüber — stand sie im Fenster — , riß er die Mütze in die Wage- rechte und schickte mit gedoppeltem Blick ihr 159 ewige Treue, fcob für sein forsches Fahren spen- dete sie ihm und bat, sie's auch zu lehren. Doch als bei Dunkelheit er kam und sie in den Sattel hob, saß sie schlecht und bewegte sich unkundig. Fürch- tend aber, seine Erwartung sei, schnell müsse die Lenkstange sie greifen und, die Maschine beherr- schend, sie mit Schwung aus sich selbst in Gang setzen und lächelnd entschweben, stieg sie gleich zur Erde nieder, behauptend, dies zieme ihr durch- aus nicht. Überall und immer, weil infolge seiner gren- zenlosen Anbetung eine Formel der Vollkommen- heit sie erfüllen wollte, bemühte sie sich jetzt, die Schöpfung abhängig von ihr zu zeigen. Hatten auf Märschen des Berges Gipfel bei schlimmer Hitze sie erstiegen und starrten, Atem ausbrausend, den Rausch der Freiheit oben an, wollte sie Was- ser, sonst nichts, wohl wissend, anderes möchte am Ende nicht zu finden sein; Göttern aber versage sich nichts. Oder sie sprach, wenn schon Tropfen fielen: daß es doch regnen möchte! Und stellte der Elemente Sturm mit dem Hinweis auf die Pracht des Regenbogens ab, doch so ein wenig, i6o . als hätte der auf ihren Ruf erst sich illumi- niert. Sie war sich nun bewußt, unvergleichliches Le- ben mit Franz zu mächen. Keine Nebenbuhlerin könne gefährlich werden ; denn an goldenen Fäden lenkte für ihn sie die Welt und zog mit sphärischer Landschaft, englischen Freuden, mit sich selbst immer das Paradies auf die Szene. Ihr Lohn war sein staunender Beifall. Ausgleich für Gefühle, die sie irgendwie schon heimsuchten. Einen Frühling hindurch liefen in Freistunden sie durch umbuschte Wege Höhen hinan. Saßen oben im Moos, das Bild der Heimat vor sich ausgebreitet, in das Meta die gestellte Sonne blieb. Sie lebte Dogma. In seinen Glauben geschient, war ihr Wille seiner Demut unterworfen. Seine herrische Andachtsforderung ließ ihr im einzelnen Spielraum, zwang aber unbedingt die Richtung ihres Lebens. Herzlich liebte sie ihn, bewunderte entfesselte Hingabe, und mählich, mehr und mehr, begann sie, ihm diese zu neiden. Baute er sie steil vor sich auf und machte Knie- fall, sie aber mußte irgendwie mit seelischer Ver- II, II i6i zierüng stehen, hätte sie zu ihm hinsinken und auch anschmachten, anbeten wollen. Ihre ge- zwungene Stärke trieb ihr schließlich Tränen ins Auge. Der Gesten gefügtes Erz begann zu reißen, ihrer Stimme Metall zerbrach. Brüchig ward das eherne Standbild, und Fleisch begann allenthalben in die Furchen zu wuchern. Stand er jung, stark und gerade als Mann gewachsen vor ihr, senkte das Haupt an ihre Brust, auf das dem Ritus zufolge sie die gekreuzten Handflächen legen mußte, konnte Aufwallung sie nicht mehr unter- drücken. Oft schüttelte an seiner Seite sie der Reiz so machtig, daß Zähne schlugen und Gebein klappte. Er aber, knabenhaft frei, sang das Marsch- lied in die Luft. Sie betete zu allen Heiligen, den Sinn ihm von Grund auf zu ändern; seiner Kraft und Gewalt möchte er sich bewußt werden. Sie wünschte die ins Fenster geschmetterte Faust, daß Scherbe vom Kitt klirre. Vorm Schlafengehen brach sie ins Knie und senkte der Seele unbezähmbare Sehnsucht nach Hingabe in selbstvergessenes Gebet. Wollte sie aber sanft und mit gütiger Schonung Anfall 162 ihrer weiblichen Schwäche von weitem ankünden, f schob er unwiderstehlich doppelte Riegel vor. Er werde seine Andacht bis an die Sterne spreizen, doch müsse sie das unzerreißbare, sich immer weitende Gefäß für sie bleiben. Dazu flatterten seine Worte ekstatisch, und Arme ruderten wie mystische Mühlen. So blieb sie Heilige weiter, aber der Wurm fraß in ihrem Blut. Sie duldete seinen Kult und spürte nur immer mit allen Sin- nen, durch welche Mittel sie ihn zerschlagen, wie sie Franz vergotten und in der Rolle der demütig- sten Magd sich selbst mit natürlichem Glück bis an den Rand füllen könnte. Eines Abends, als zum Bad in flacher Schale Wasser sie stand und das Gesicht über die Schulter in den Spiegel legte, sah sie sich rückwärts so : von mittlerer Größe, schien die Gestalt in der Hüfte edel geteilt. War auch das Postament der Beine höher, saß mit gutem Verhältnis der Rumpf dar- auf. Leuchtendes Weiß des Fleischs war durch der Flechten Blond getönt, die, von der Hand im Nacken zusammengepackt, von dort in zwei Flüs- sen mit spitzer Mündung zu jenem Taillenschwung n* 163 liefen, der Meta das geheimnisvolle Mittel ihres Körpers schien. Sie bleibt von Reiz gefangen, als sie der Hüfte geschnürte Betonung in Linien, die das Kissen des Gesäßes vom Schenkel, das Knie von der Wade trennen, sich wiederholen sieht. Ihr heller gewordenes Auge stellt schließlich den vierten Ton dazu fest : die Schulterlinie, die durch den hochgenommenen Arm noch deutlicher wird. Mit dieser Vierteilung Hilfe geht ihres Leibes Sinn ihr völlig auf: Zum Denken der Kopf, die Beine zum Schreiten. Zwischen Hals und Hüfte ist der Rumpf Sitz der Organe, die uns das Himmlische vermitteln: durch Lungen und Herz den Odem Gottes, aus dem wir leben. Aber dahin, wo wie ein geschwellter Kessel zwischen Schenkel und Hüfte derLeib eingelassen ist, hat ihr kindischer Sinn, hat Franz nie gedacht. Dort, während Blutsturm sie purpert. Arme zur Höhe fliegen, fühlt plötzlich sie entschei- dende Gewalten sitzen. Ihrer Erkenntnis Folgen waren beim näch- sten Beisammensein deutlich. Kopf und Oberteil hatten die Schwere verloren; aber Schritte 164 setzte sie gewichtig, als liefen die Beine in Schar- nieren, und sie müsse, Reibung und Kreischen der Teile in den Gelenken zu vermeiden, die Hüft- knochen emsig drehen und das Rückgrat unten pendeln lassen. So kam es, daß beim Gehen ihr Rock des Mannes Schenkel schlug, während Metas Blick auf seltsame Art sich verglaste. Aber schnell merkte von seinen Gliedern sie Widerstand, der ihr die Knochen bog und sie in das lustige Trippeln zurückzwang, mit dem bisher sie neben ihm ge- gangen war. Auch im Gespräch duldete er die Einführung solcher Vokabeln nicht, die irgendwie ein Fallenlassen der strengen zwischen ihnen gel- tenden Regeln andeuten wollten. So griff sie zu Listen, ihr Gleiten aus Franzens Himmel zur Erde zu ermöglichen. Den Hut ließ sie fort, Haar vor ihm in Verwirrung spielen. Sie ging leicht gekleidet, daß Wind die Musseline blähte, und Sonne sie durchsichtig mache und zeigte an Hals und Armen Streifen rosiger, gepelzter Haut. Auch hob sie sitzend das Bein übers Knie, gelöstes Schuhband zu knüpfen und war seinen Blicken nirgends geizig. Die aber schienen in sol- 165 chen AugenbUcken mit milchigem Hörn gepanzert und schössen hinterher Drohungen auf, die das Mädchen rührten und endlich, als sie einmal ge- wagt hatte, den gesunkenen Strumpf in seiner Gegenwart aufzunehmen, durch ihre~ lodernde Gewalt vollends erschütterten. So riß die Kräfte sie zusammen und gelobte mit zusammengebissenen Zähnen, ein für allemal auf anderes Glück zu verzichten und ihm weiterhin entschieden himmlische Liebe zu sein. Für ihren Verzicht aber wollte sie ihn auch wirklich an der Hingabe Grenzen sehen, damit, könne schon sie selbst sie nicht betätigen, sie in seiner Seele das süßeste Bild demütiger Liebe entzündet finde. Er müsse in ihrem Dienst gesamte Leiblich- keit ändern, verlangte sie, Lebenswärme für sie beleben, Geschmeidigkeit und Beweglichkeit aus- bilden. Das Zerrissene möge er in sich binden. Gebundenes in sie auflösen. Höher solle er jubi- Heren, und der Träne Gabe müsse ihm immer eignen. Sie fordere den Gesamtsinn verfeinert, Einbildungskraft gesteigert; Poesie wollte -sie in ihn eingegossen, kurz überall stürmische Bewe* i66 gung der Willenskräfte. Sie sei nicht eine voll- kommene Heilige, ohne daß ein im stärkeren Maß ergriffener Gläubiger zu sein er sich inständig be- mühe. Durch solche Worte über den statischen Zu- stand seiner Jugend in eine seiner Natur genehme Entwicklung geführt, brach Franz in die Ekstasen der Liebe unverzüglich auf. In seinen tiefen, mitt- leren und obersten Gebieten wandelte er Leiblich- keit in reinen Geist und war alsbald zu jeder von ihr gewollten Vision bereit. Während Meta tags- über Arbeit als simples Stubenmädchen verrich- tete, erblickte Franz sie, wo sie vor ihm erschien, in höhere Erscheinung transformiert. Sah erst ihr Antlitz, dann die Hände, Haare, Atem leuchtend werden. Und erlebte sie schließlich aus leerer Luft strahlend und figürlich. . Ihr blieb auf diesem Gebiet von ihm nichts mehr zu hoffen übrig. Da wurde die Nation in einen Krieg gestürzt. ä-Die Männer verließen die Familie, das Vaterland zu verteidigen, wie, in Schritt und Tritt mar- 167 schierend, sie durch die Gassen sangen. Franz, der das zwanzigste Jahr nicht erreicht hatte, blieb da- heim. Doch lag auch auf den Bleibenden der Druck, und es schien unmöglich, ihr Schicksal von denen, die im Feld standen, zu trennen. Jeder war von sich fort zu fremdem Los gerissen. Als in des Feldzugs Fortschreiten immer neue Scharen hinauszogen, war es den beiden offenbar, auch ihre Trennung stünde bevor. Wehmut legte sich auf alles Erleben, und die Welt schien gewohnte Weite verloren, die Brücken zum Himmel zerstört zu haben. Jede Frage wurde praktisch, Antwort lautete aus irdischen Begriffen. Maßnahmen des Feindes zwangen, an Notdurft, Beschaffung von Essen und Trinken zu denken. Die ersten zusam- mengeschossenen Krüppel traten auf, und es galt, ihre künftige Versorgung vorzubereiten. Überall stand plötzlich das Allgemeinmerischliche für das menschlich Besondere. Auch Franz und Meta sprachen von geschlagener Schlacht, Gefahr und Verwundung der Freunde und Verwandten. Sie lernten Artillerie und Infanterie, spickten ihre Sätze mit kriegerischem Begriff und unterlagen i68 dem Eindruck von Sieg und Niederlage. Zei- tungen bestätigten die märchenhafte Niedertracht der .Gegner, bravouröse Tapferkeit der eigenen Truppen immer von neuem. Bei jeder Begegnung rief nun einer dem andern schon von weitem zu : „Hast du gehört" und „weißt du auch"? Vom eigenen Schicksal war täglich weniger die Rede. Als aber erst kräftiger neue Welt sich in Fran- zens Vorstellung schob, aus Kampfberichten eine herrliche Erscheinung um die andere vor ihn trat, ward Meta aus seines Denkens Zenith ge- drängt und führte in ihm fortan ein wenn auch verehrtes doch peripherisches Dasein. Das Über- menschliche hatte für ihn den Sinn geändert. Die passive Entrücktheit des Weibes nicht mehr war anzubeten, aber des Mannes heldischer Griff. So hob der Jungling sich aus dem Gewinde ge- übter Riten und gruppierte nach veränderten Trie- ben innere Natur um. Religion war das Vater- land, Vorbild der tapfere Soldat. Ein anderer Gott, kriegerisch geschient, erschien in einem Himmel geschwungener Fahnen und Lanzen. 169 Meta, mit den vergilbten Emblemen friedlicher Güte, war als Ideal in gründlich geänderten Ver- hältnissen unbrauchbar. Handgreifliches Verlangen konnte sich an sie nicht klirrend klammem. Zwar gab ihrem Umriß sie herbere Kontur, der Erschei- nung Strenge, den Worten Kommandoton, aber vor Prall und Knall der Armeeerlasse, dem Alarm der Katastrophen und Verlustlisten konnte sie nicht bestehen. In Haltung und Ausdruck ließ Franz Respekt nicht im mindesten missen. Inner- lich aber schaltete mit ihr er nach neuen Begriffen und Gutdünken. Er fand sie, in Waffenglanz nicht denkbar, vor dem schwächsten Manne schwach. Sah ihren zarteren Aufbau, ihrer Stimme dünne Resonanz ein, und daß sie oft zu schonen war. Er stellte sie der mit Standarte stürmenden Angriffs- lust des männlichen Prinzips, das plötzlich aus allen Kulissen der Welt wetterleuchtete, richtig als ein anderes gegenüber, das ruhen<} ergriffen sein wollte. Als ihm die Einsicht das erstemal sprang, bäumte mit Lust herrischer Wille nach ihr auf, und er reckte sich in alle Winde. Den Gestellungsbefehl 170 trug er in' der Tasche — da war das Knabenalter hin, und sein Blick lenkte keck zu des Mädchens Brust, die unter Kattun doppelt gerundet stand, Meta aber, als sie Franz' geänderte Absicht sali, stürzte in harten Kampf, die gräßlichsten Zweifel. Aus unaussprechlichen Ahnungen spürte sie die augenblicklichen Verhältnisse nicht beständig und daß alles, was in ihnen sich ereigne, dem Wechsel und vielleicht späterer Verdammung unterliege. Aus allen Lüften sah Gebraus, Geschmetter der Kraft sie in des Geliebten eindrucksvolle Seele geblasen und glaubte dennoch nicht, es fände dort ursprünglicher Gefühle Begegnung. Sie zitterte, vom süßen Moment hingerissen, möchte sie, fal- lend, ihm seine ewige Neigung trüben, und sich selbst ihm gründlich zerstören. Da sich in Wirklichkeit erfüllte, was einst sie geträumt: Jung, stark und gerade als Mann ge- wachsen, hat sie ihn vor sich, er senkt das Haupt an ihre Brust, stößt in der Taille Falten die Spitzen des Gesichts und schlürft ihre Wärme, bis Blut sich entzündet und im Kessel des geschwollenen Leibes Überschwang an den Ventilen siedet — 171 zwingen sie Rufe der Not und mörderische Furcht, der ersehnten, vorzeitigen Hingabe mit schleuni- gem Aufbruch und schmerzlichem Aufschwung der Seele zu entfliehen. Es weiß der Mann aus seines Leibs Verlangen immer unsinnigere Schmeichelei; Natur und alle Kreatur zaubert er vor ihre begeisterten Augen in taumelnden Aufruhr, und kaum weicht das Weib, * von eigenem Verlangen gefesselt, noch aus. Schon wird über blankem Boden in einer Mondnacht des Mädchens Kehle und Schulter nackt, da ruft am andern Morgen Befehl Franz zu seinem Trup- penteil, und in der notwendigen Besorgungen Hast gibt es kaum einen Abschied. Erst aus der Garnison, dann vom Lager her, ver- sichert er sie einer Leidenschaft, die hinter schnel- ler Heirat fröhliche Wollust in völliger Vereinigung will* Zart fängt er zu bitten an, doch blitzt zum Schluß des Geschriebenen Mannesmut, trumpft jedesmal geballte Faust auf. Ihr aber beginnt, nach häufiger Wendung des Geschicks, aus seinen Worten die Ahndung eines vollkommen natür- lichen Glücks, von Gott und den Menschen ge- 172 segnet, zu dämmern, und mit gefaßtem Wandel bereitet sie einfach und fromm in sich das Wesen * seines Weibes vor. Nun herrscht der Allmächtige und „Urlaub" in ihr. Mit häufigem Kirchengehen^ inbrünstigen! Gebet bekräftigt sie die innere Sammlung. Aufs Wiedersehen ist sie ganz gestellt, und nur manch Weibliches leuchtet ihr daneben ein. Es kam um diese Zeit die hübsche Hausfrau mit einem Knaben nieder, und Meta ist für alle Vorgänge bei der Ge- burt Feuer und Flamme. Als aber das Kind aus zitterndem Schoß entbunden war, und den von Qual erlösten Leib der Wöchnerin in frischen Kis- sen Jubel des Mutterglücks rührten, lag Meta an der Bettkante in den Knien und küßte die hängen- den Hände der glückselig Erschöpften. Sie reicht ihr durch des Zimmers Sonne auch das Bündel Windeln, aus dem es quäkt und winselt, an die Brust und staunt auf all das Saugende und Ge- saugte, die Spitzen Rot an den getürmten Brüsten und das in Milch verwandelte Blut. Sie fühlt sich königlich erhöht im Hinblick auf die eigene müt- terliche Zukunft und hegt für das aus ihr hoch 173 nicht Geborene schon zärtlichste Gefühle. An Franz schreibt sie : Mach schnell, komm bald. Es ist alles für dich bereit. In ihrer Seele steht das Häuschen, das mit dem kaiserlichen Briefträger sie bis ans Ende ihrer Tage bewohnen will, fix und fertig : zwei Räume und die Küche in einem Garten mit tüchtig Gemüse. In den Stuben rumoren Kinder; im Stall ein Schwein. Am ersehnten Tag kommt statt seiner Nachricht, der Urlaub sei verweigert; er selbst, näher den Ereignissen, ins Quartier eines hohen Stabes geholt. Ist Metas Enttäuschung schon groß, verbirgt sie sich nicht, ihr sei auf dem neuen Posten das Leben des Geliebten sichergestellt, und Ordensschmuck unter den Augen oberer Gewalten für ihn wahrschein- licher als in der trüben Masse an der Front. Was bedeute Trennung, könne seiner endlichen, ruhmvollen Heimkehr sie gewiß sein? Wie er auch schilt, man habe ihm den Auszug ins Feld verwehrt, ihn vor allen Kameraden benachteiligt, lacht sie bei sich und sitzt den Winter über ge- schnittener Leinwand, aus der das Notwendige sie zu baldigem Gebrauch schafft. Brennt in der 174 Kammer die Lampe, schnurrt eifrig der Ofen mit dem Kätzchen um die Wette, setzt Stich zu Stich sie mit lustigen Gedanken, und ist mit der Ge- wißheit, in ihrer Liebe hat sie manches gelitten, oft geschwankt, doch schließlich sich bezwungen, und nun steht in einem braven Mann ihr richtiges Frauenschicksal bevor, das beglückteste Mädchen, Franz, der im Haushalt des Stabsquartiers die gleichen Obliegenheiten erfüllt wi^ Meta für ihre Herrschaft — er ist dort Mädchen für alles, putzt, wäscht und wichst zu täglichem Gebrauch, was irgend vor seine Griffe kommt — fällt nach einigen Monaten treuer Pflichterfüllung in ein hastiges Leiden, das ihm die Därme immer von neuem kehrt und entleert, bis seine gemarterte Seele kläglich durch diesen Weg aus dem kaum an- gebrochenen Leben entweicht. Mit rühmlicher Gefallenen verschwindet ohne Sang und Klang sein Kadaver schnell in fremde Erde, Frei durch den Himmel ihrer Zukunft schwei- fend, erhält Meta die Nachricht am Abend; fällt in Ohnmacht des Begreifens und bleibt zeitlich ^75 lange genug ohne Bewußtsein, um vor selbstmörde- rischer Torheit bewahrt zu sein. Doch scheint des eingebrochenen Winters Starre sie miterfaßt zu haben, und geraume Weile wandelt sie, vor Be- sinnung gefeit, in Stummheit und Taubheit ein- geschneit, huscht wie ein wundes Tier vom Bett durch Stuben zu Bett; nicht einen Seufzer hört man von ihr. Manchmal steht groß ein Schweiß- tropfen an ihrer Stirn, wie aus Knochen her- ausgefroren. Eines Tages sprach der Hausherr sie freundlich und mit väterlichem Tätscheln an. Sie solle zu sich selbst erwachen. Jung sei sie, mannigfach liege Leben vor ihr, und der Männer gäbe es viele. Auch litte mit ihrer Zerrissenheit der Arbeit Qualität. Gott sei gnädig, des Vaterlands Sache stünde datik siegreicher Schlachten gut, und im Grund sei mehr gewonnen als verloren. Oben aber sah Meta plötzlich die genähten Hemden und Herrlichkeiten, daß es sie an den Ele- menten packte und über weiblichen Kram in einen Jammer warf, der Tage hindurch sie selbst und 2^ug und Wäsche näßte. Auf Bett und Stuhl, 176 wohin sie blickte, saß Franz; au Tor und Tür er- schien er wieder, lachend und vertraut zu ihr auf- schauend. Dann hurtig enteilend, Mütze schwin- gend, aufs Rad flatternd. Oder es sahen seine Augen vorwurfsvoll aus dem Dunkel; doch bei ihrem zartesten Laut strahlte sein Glaube. Und er läge ihr gestorben ? Wo wäre da Sinn ? War im Plan ihr« g=mein«,m.„ Leben, ein Felder, das ge- ringste Unreine in der Seelen Zusammenhang, und stimmt Gott der Harmonie nicht bis in der Schöpfung verborgenen Winkel zu ? Halb ent- kleidet steht zur Nacht im Loch des Fensters sie in feuchtem Aufruhr und sucht dem Himmel, des Busens Hügel aufnehmend, den Weg zum Herzen frei zu machen, daß ganz einfältig er es mit Franz erfüllt schaue. Wäre wirklich das Unfaßbare wahr, wo in der Umstände Verkettung sei der gräß- liche Irrtum des Geschehens als Schuld anzurech- nen, auf ihrer demütig irdischen oder der allmäch- tig himmlischen Seite ? Aber die Sterne erblassen nicht vor der geheulten Anklage. Kraß und klar leuchten sie tägliche Bilder. 9 Noch wartet Meta und schiebt den Tag der Ab- II, 12 177 rechnung mit Gott fort, und während das Ohr auf Nachricht aus dem Feld gespannt bleibt — sie ist gewiß, auf einmal kommt seines Lebens Alarm, und bebändert und besternt steht er vor ihr und wirft wie Gewitter verhaltenen Lebenssturm und Blitz in sie — prüft innerlich sie von neuem ihre bisherige Führung nach strengen Vorschriften der Religion, um nicht im geringsten über berech- tigte Enttäuschung des Gläubigen hinaus sich an- klagend zu empören. Sie bekommt auch günstige Zeichen. Ein Sergeant beim gleichen Stab, den ihrer Briefe unyerhüUter Jammer rühren mochte, antwortet in geschraubten Reden so Unterschied- liches, daß höhere Hoffnung allerhand in ihnen finden kann. Aus hundert 2^itungen erhält sie Be- stätigung, daß Totgeglaubte, Totgewußte in der Liebenden Arme zurückkehrten. Franz aber, von Fiebern jugendlichen Willens hingerissen, sei ganz gewiß aus eintönigem Tagdienst in die Hitze der Gefechte geeilt und werde in Berichten sich schließlich als ein Held und lebend wiederfinden. Bis sie ein Bündel mit der Post erhält, das der gleiche Kamerad, ihrer Beschwörungen überdrüs- 178 sig, an sie sandte : Lumpen von seinem entseelten Körper geschält, in beschämendem, kläglichem Zu- stand. Ihr entgeht nicht des Schicksals hämische Geste, die obendrein des Verblichenen Andenken schänden will. Doch ist ihr der endliche Fall je ^ tiefer um so lieber, da sie schon merkt, wie viel herrlicher sie sich von ihm erheben wird. Inmitten verwüsteter Hoffnungen, der jämmerlichen Tro- phäen seines Erdenwandels bleibt trauernd sie liegen und saugt aus tausend Erinnerungen Haß, allmählich rasenden Zorn gegen ein sinnloses Ge- schick und seinen oberen Lenker. Als endlich sie jeden Ort des Leibes mit gleicher Überzeugung angefüllt fühlt, erhebt ein neuer Mensch sich zu gewandeltem Leben. Mit Gott macht sie nicht mehr viel Worte. Frei sieht sie ihm ins Gesicht und zeigt ihre Meinung: Seine Entscheidung in ihren Sachen hat sie verurteilt und hängt nicht länger von ihm ab. Zum zweitenmal nimmt vom Dasein sie Besitz, belebt von sich selbst her jetzt ihre Welt. Aus deren Mitte sie alles bisher Verehrte hebt, es durch einen Götzen zu ersetzen: Franz, 12' 179 den mit jeglichem Tand der Phantasie sie schmückt. Je weiter sein irdisches Leben zurücksinkt, um so frischer macht sie ihn sich lebendig. Alle Kräfte müssen fortan für den einzigen Zweck sich regen, den toten Freund ihr fortwährend seiend zu er- schaffen. Unaufhörlich hat sie Gesichte, Begeg- nungen und vertraute Zwiesprache mit ihm und riecht und schmeckt den ganzen angebeteten Mann. Ist sie aber mit ihm im innigen Verein der Gemüter, fliegt ihr Blick durch Scheiben höh- nisch zum Firmament, und Trotz spottet hell auf. Sie wird wie eine Nonne schlicht und eindeutig. Dem einmal gewählten Bräutigam treu, geht wie mit Zäunen umstellt sie dahin. In ihre Bestim- mung mit sich selbst ist von außen her kein Pfeil, kein anderes Verlangen zu senken. Sie weiß zu gut, wie der Geliebte sie wollte; nicht kleinmütig und verzagt, aber hoch über der Sterblichen Los. Die selbstherrlichen, keuschen Gebärden muß sie bewahren, daß beim endlichen Wiederfinden seine Erwartung von ihr sich vollauf bestätigt. So wan- delt sie in Stahl gepanzert. Schicken Früh- linge ihr Begierden, blühend erwachte Natur Ver- i8o suchung, zwingt Fleisch sie in kühle Richt- linien und lacht zum Schluß über der Geister Blendwerk. Männer, die ihr nahen, wollüstig und aufgeschwänzt, erledigt sie mit dem Blick eines für sie zu gewaltigen Maßes, in das wie Erbsen sie in riesigen Topf fallen. Je mehr Leben sie ver- suchen will, um so freudiger wirft sich Meta ihm furchtlos entgegen, gewiß, mit ihrem Liebes- begriff jeder Wirklichkeit überlegen zu sein, und daß der verschmitzten Himmel lockere Absichten an ihrem Willen schUeßHch zerbrechen müssen. Der Friede, den das Land erlangt, schwemmt der Männer Menge in die Arme der Jung- frauen, Bräute und jungen Frauen zurück. Eine allgemeine, gewaltige Hochzeit hebt an, und des Weibes Demut ist an sich schon groß vor dem heimgekehrten Helden. Als aber sein Arm in der verwahrlosten Heimat richtend und regelnd über- all fühlbar wird, die Jugend den zu Haus geblie- benen Greisen und irgendwie Verschnittenen der Ämter und Geschäfte willkürliche Leitung * scheltend entreißt, bricht befreiter Dank aus allen i8i Herzen so stürmisch hervor, daß Verehrung männ- licher Kraft und Vernunft allenthalben oberstes Gesetz ist. Auch Meta, der es einfällt, wie in ihres Beisammenseins letzter Spanne Franz sich zu eigenem Willen gereckt, Herrschaft und Gewalt über sie gefordert hat, formt den Geliebten dem allgemeinen Ideal nicht nur, sondern eigenem, ursprünglichem Wunsch nun unbedenklich nach. Macht ihn zum unbeschränkten Gebieter ihres Ge- wissens und ihrer Glieder; endlich stürzen die in- neren Gewalten ins Bett einer einzigen Leiden- schaft: schrankenloser Hingabe Leibes uijd der Seele an den Vergötterten. Alle Organe werden, von Besessenheit ergriffen, Eingangspforten für den Atem seines Wesens. Männlicher Geist fährt wie Schwert in das Weib und reitet es mit Winds- braut in alle Abgründe des Empfindens, peitscht es durch Hohlwege und Schluchten sinnlicher Wünsche. Man hört sie aufschreien unter seiner würgenden Faust, sieht sie bäumen, stürzen, wieder stehend, halb sich heben und zum andernmal mit Wucht in der Bettstatt Furche schlagen. Sie fühlt sich von ihm in die Wälder, an all jeneörter 182 entführt, an denen einst sie gemeinsam scheues Ge- spräch geflüstert. Dort packt er sie, und während keusches Andenken sie rührt, bricht und knickt in ein Bündel keuchender Wollust er sie nach seinemWillen. Tagsüber, mit geschundenen Gliedern, erfüllt sie dennoch dienender .. Stellung Pflichten. Aus der Stärke der sie schüttelnden Empfindungen fühlt sie sich stolz von eigenen Gnaden Überwinderin des von Gott ursprünglich mit ihr gewollten Schicksals, Urschöpferin ihrer Lust und nimmt aus diesem Bewußtsein düstere Kraft. Doch immer ist es ihr Beweises eigener Person nicht genug. Rings horcht Frauen sie nach dem Maß des natür- lichen Glücks mit ihren Männern aus und jubdt, hört sie laue Anerkennung, meistens Enttäuschung. Im Verein mit ihrem süßen Mann haben Sturm und Schwelgerei kein Ende, sie unterliegt seinen Launen, Bedenken, Schwächen nicht. Jahre hin- durch steigert sich noch das Maß des Entzückens, das von ihm kommt. In alle Blut- und Nerven- bahnen ist von ihm sie schon besessen; aber immer noch findet Begierde neuen Genuß und blendende Überraschung. 183 Bald sieht Meta Folgen ihres unbändigen Glücks mit dem Mann. Der Leib, aus einem Teil einst, regelmäßig praller Formen, brach die Bünde gehü- gelter Üppigkeit und hat strengen Rhythmus schon gesprengt. Entzückt sieht sie ihre Schönheit für ihn, wie bei Weibern mit lebendigen Gatten, zer- fließen. Nicht weniger scheint sie gestülpt, brüchig und gerupft. Mit Triumph hängt in den glei- chen Spiegel, der einst ihrer Jugend Knappheit faßte, sie die zerfallenen Kuchen der Brüste, des Bayiches schleppende Fettgirlande. Meckert sich Beifall, schlägt die entstellten Lenden, sie mit Inbrunst neuen Visionen auszuliefern. Aber zu allen Freuden ekstatischer Liebe leidet alsbald sie Schnierzen und täglich andere. Erst ist es Freß- gier, die sie befällt und unzähmbar quält. Mit tie- rischem Hunger schlingt alles Erreichbare sie wahl- los in den offenen Schlund, bis Ekel vor sich selbst sie packt, der aufgetriebene Magen sich brüsk er- leichtert. Dann quillt in Wellen Speichel aus den Häuten des Mundes und der Nase, schäumt auf den Lippen und wechselt dort in vielen Farben. Oder es preßt eine Hand den Hals zusammen, daß sie 184 zu ersticken meint; gespenstische Kugel steigt aus der Gurgel in die Eingeweide nieder, wobei kalter Wind den Leib durchweht. Tiefer, traum- loser Schlaf wechselt mit anhaltender Schlaflosig- keit, die sie völlig erschöpft, und wüster Halluzi- nation. Doch immer gelingt es noch trotziger Energie, Franz, zur Umarmung bereit, vor sich aufzuzaubern. Als aber Materie fast vom Knochen geschabt ist, das Fett verlebt, die Säfte, nicht er- gänzt, trag geworden, kann die erlangten Ohn- mächten und 2^rschmetterungen mit neuem Auf- schwungsie nicht mehr regelmäßig ausgleichen. Nur hier und da erfaßt sie noch des Mannes feste Ge- stalt. Meist muß mit einem Schatten sie sich be- gnügen. Und wie sie auch die Augen aus den Höhlen dreht, die mageren Hände sehnend reckt, — bei sich fühlt sie nur mehr etwas unwirklich 2^rschlissenes. Dann stöhnt sie große Seufzer und fällt durstend in die Kissengrube; aber der aus- gemergelte Körper stürmt in Schlaf, und die Sehnsucht der Halbentseelten flieht vom Gift des Sichzerfleischens häufiger zu Bildern guter Ruh. 185 Das angetrümmerte Gebein, dicht vor seiner Vernichtung, schreit nach Befreiung, Mit dem Mut der Verzweiflung wehrt es sich, bereit, alle anderen Möglichkeiten des Seins gutzuheißen, ihnen zu dienen, nimmt man von ihm die Zent- nerlast der durch Jahre getragenen Qualen. Alsbald tritt in das erfrischte Gehirn Bild der Umwelt zögernd wieder ein, Sie nimmt des Stäb- chens Einrichtung deutlich wahr: den Teppich vorm Bett, dessen Mitte vertreten ist ; bunte Gar- dinen gegen das Licht. Erstaunt sieht sie ihren Fenstern das Dach eines Hauses gegenüber, das frühere Aussicht ins Grüne und die angrenzen- den Gärten sperrt. In der Küche glänzt Kupfer mit Zinn, und bemerkenswert scheint ihr der Aus- druck in Menschenaugen. Da kommt morgens ein Mann ins Haus, der Zeitungen trägt. Blond, grel- ler Rede, drängt er sich kräftig in Metas Wirklich- keit, stellt sich quer vor das blasse Bild ihres Schat- tenmännchens. Gaukelt sie das noch manchmal her und bringt seine Züge nicht bündig zusammen, ist quick der Stellvertreter vollkommen da, zu allem Möglichen bereit. Sie dreht sich also, nur i86 vager Absicht, in seine Bahn und hat ihn plötzlich unmittelbar, ^Aug in Auge vor sich. Gespannt sieht sie sein vorbereitendes Gebaren, schluckt seine bis zu den Haaren steigende Röte, die Wasserperlen auf der Stirn, zitternde Hände. Auch leises Knir- schen der Kaumuskeln belustigt sie sehr. Als er aber, männlich perfekt, in die Horizontale schwenkt, macht sie der Schwitzende lachen, und sie springt von ihm fort. Zu albern wirkte sein strikter Angriff, es mangelt gewohnter, phantastischer Hinschwung; sie hat die Fanfare nicht gehört, unwiderstehliches Muß völlig ver- mißt. Aus halber Anschauung und vollendeter Ahnung sah der hingegangenen Liebe unvergleichliche Höhe sie ein. Und wie vorher Natur, sind Trotz und Eitelkeit in ihr befriedigt. Reste von Zärtlichkeit und Schwärmerei schwinden schnell aus dem Her- zen, und dreißigjährig stellt sich Meta, immer noch Dienstmagd in des Färbereibesitzers Familie, mit gänzlich veränderten Begriffen zu weiterem Dasein kräftig gewillt fest. 187 Bedient sie jetzt Gäs^te bei Tisch, die regelmäßig einmal in der Woche kommen, reicht ihnen Teller und Schüsseln, sieht die Speisenden sie eindring- lich an, Sie merkt ihre Gespräche und kennt nach kurzer Zeit der Geladenen Verhältnisse. Doch, was sie erzählen oder mit Zwinkern und Blinzeln von ihren Gefühlen ausdrücken — ihr mensch- licher Inhalt scheint Meta armselig und flach. Sie, die gemeiner Herkunft wegen vor diesen Bürgern alle Schauer des Respekts gefühlt hat, merkt aus der Überlegenheit selbstgewollten und überwundenen großen Schicksals, Hochmut in sich wachsen. Die da sitzen, scheinen geschlagene Leute, denen das Menschliche zu karg gemessen ist. Ihre Begierden bleiben weit hinter Metas Sehnsucht zurück. Uni kleine Vorteile treibt ihr Ehrgeiz, aus des Ver- mögens Größe sind sie sich wichtig. Dem Unbe- mittelten dienen Fabeln seiner geschäftlichen Ver- schlagenheit, sich zur Geltung zu bringen. Da ist ein Herr mittlerer Jahre in kaffeebraunem Rock, der von seinen Spekulationen Wesens macht. Zum Schluß seiner Vorträge, die mit trüben Witz- worten er krönt, pflanzt er, beifallheischend, der i88 Hausfrau jüngerer Schwester, die seit kurzem zu Besuch da ist, einen runden Blick mitten ins Ge- sieht. Meta kennt die Stelle, wo auf des Mädchens Backe antwortend jedesmal der rote Fleck auf- brennt, sieht aber geschwind zum Erzähler zu- rück, um noch wahrzunehmen, wie der mit dem Mundtuch herausfordernd die Schnurrbartspitzen wichst. Sie findet diese Spießbürger Würmer, die bodenlos gering zu achten und nach dem Maß der Verachtung zu behandeln man das Recht hat. Mit dieser Feststellung begnügt sie sich nicht, sondern beginnt, sich in der Lendenlahmen Schicksale sofort zu mischen und sie zu treiben. Erst springt das Mädchen sie an, das nach unabänderlich trägen Gesetzen Tage verschleißt, indem Gedrucktes sie aus des Hausherrn Bücherei ihm in den Weg legt, das durch gewagten Inhalt es erregen soll. Durchs Schlüsselloch sieht der sich Entkleidenden sie zu und wartet auf den Effekt. . Aber die klassisch Nackte, deren ebenmäßige Schönheit Meta gehässig bewegt, hält lesend das Buch mit der gemarkten Stelle, und kein Hauch rührt ihr Gesicht. Sie gähnt nur ein we- nig, nestelt, kämmt, dreht die Lampe und schläft. 189 Und doch steckt sie seit Wochen, glaubt sie sich unbemerkt, dem kaffeebraunen Herrn die Finger schnell in die seinen. Sieht ihn geschwungener Braue an, senkt den Kopf und entschwebt. Als eines Abends die Herrschaft ins Städtchen fort ist, die Jungfrau vorm Spiegel mit gelöstem Haar und blanken Beinen zur Nacht sich schickt, schiebt Meta den scheuen Verehrer, der vorbeigehend nach der Freunde Anwesenheit obenhin gefragt hatte, ohne weiteres der Überraschten in die Kam- mer und wartet verhaltenen Atems vor der Tür. Da es innen still bleibt, bringt den Blick sie an die Öffnung und sieht Mädchen und Mann beiein-, ander, Hand in Hand und Aug in Auge. Dazu atmen beide kräftig aus geblähten Nüstern. Ein Weilchen, während das Herz vor Erwartung steht, sieht Meta ihnen zu ; als aber der Aufrechten Hal- tung sich nicht verändert, öffnet sie erbost die Tür und zwingt das monumentale Paar zum Auf- bruch. Doch gibt sie sich nicht zufrieden. Nach ihren höheren Absichten sollen sich dennoch die Ge- schicke der Armseligen erfüllen. In stärkerem 190 Feuer will die Seelen sie glühen sehen, gewiß, noch immer wird sich dort ihr eigener Wert über dem der anderen erhärten, und sie kann an ihrer sala- manderhaften Unbrennbarkeit von neuem ver- gleichend sich berauschen. Engeren Anschluß sucht sie an die Ahnungslose, ist beim Anzug be- hilflich, streift ihr die Strümpfe schmeichelnd an die Beine, das Hemd über zarte Haut. In Kürze vollendet mit sympathischen Strichen sie jeder Nerve zärtliches Verständnis, und als sie ihr Opfer zu eigener Regung flügge glsmbt, weiß ^ie es bald wieder einzurichten, daß der lau Temperierte das junge Weib allein im Aufruhr der Gefühle findet. Von der völlig Entzündeten fängt der schwer zu Entflammende Feuer. Nun girren hinter der Tür die Stimmen, es fordert Verlangen und seufzt die Schwäche. Des Sieges Mal leuchtet auf Metas Stirn. Allem, was folgt, widmet sie sich inständig; ver- mittelt den Liebenden Bequemlichkeit. Je dring- licher er Halt will, um so stürmischer wird der Mann geliebt, und das schleunige Ergebnis ist des IQI Mädchens vollendete Schwangerschaft. Da aber ist die Mittlerin erst vollends selig. Für des Hauses Ruh, die nur durch banalen Anlaß bislang gestört wurde, hofft sie gründlichen Sturm und Raserei. Sie reibt die Hände und schneidet dem Him- mel Grimassen. Und als das Unglück den Ver- wandten sich nicht länger verheimlichen läßt, mit einemmal im grünen Salon Aufschrei und Ver- wünschung schallt, zweier Frauen Ohnmächten zu enden sind, und Nasenbluten des erschütterten Färbereibesitzers ihre Pflege und Essig fordert, schwebt Meta, überlegene Zuschauerin der Bla- mage und Verlegenheit, in sieben Himmeln. Jede Stunde ist ihr nun höchster Erwartung voll. Sie glaubt an zerschelltes Geschirr, eingetretene Türfüllungen, den aus dem Fenster in den Hof zerschmetterten Leib. Auf den Pistolenschuß wartet sie, der plötzlich die Nachbarschaft alar- mieren soll, hört Feuerwehr und Polizei schon die Treppe stürmen. Doch steigt das allgemeine Elend nicht über finsteres Schweigen und Trä- nen in Strömen. Eines Morgens aber erscheint im schwarzen Rock der Verführer mit hohem Hut; 192 Verbeugungen, Komplimente, dann heftige Um- armungen werden getauscht, und bald kleidet Meta die Braut in Batist, Schleier und steifen Atlas. Während das erlöste, ausgelassene Mädchen lockende Kapriolen in den Spiegel stellt, fühlt die Be- dienende von himmlischen Gewalten sich aufs neue geneckt und um jeden Erfolg gebracht. Aber sie will, nachdem der Weg zu eigener, bedeutender Fühlung einmal gesperrt ist, aus von ihr aufgeregtem, fremdem Schicksal unbedingt die fortdauernde Bestätigung nicht gewöhnlicher Na- tur. In Gestalt eines alternden Mädchens, durch- schnittlicher Dienstmagd zum Kehricht geworfen zu werden, diesen Ausgang ihres Lebens ertrüge sie nicht. Sie weiß nicht, wie der Dämon in sie kam, aber daß vor jedem Atemzug sie gelten, vor sich selbst bestehen muß, und daß, diese Voraus- setzung ihres Lebens zu schaffen, ihr jedes Mittel gilt. Als mit dem in gesetzlicher Ehe geborenen Sprößling die jung Verheiratete alsbald aus ihrer Macht und ihrem Gesichtskreis entschwunden ist, spürt der Hausfrau Launen sie auf, und wo bei ihr II, 13 193 der Eingriff ins Leben zu wagen sei, Sie sieht die noch Begehrenswerte in simplem Haushaltkram befangen, und lange Zeit weiß sie nicht, wie ihr beizukommen wäre. Da springt ihr Zufall zu Hilfe, als den Erzieher des nun zwölfjährigen Knaben sie im Unterricht über ein samtenes Band der Prinzi- palin träumend findet. Der Brennpunkt ist ent- decktj und mit unwiderstehlichem Drang facht sie Feuer unter den Primitiven, kocht durch Monate in ununterbrochener Hitze sie gar, bis des Topfes Boden, in dem sie schmoren, wie Papier mürbe ist, und die Minute sich ankündigt, wo die Siedenden und Gesottenen ins offene Feuer fliegen. Dicht vor der Katastrt)phe aber kommt ihr ein närrischer Einfall und macht sie vor Freude toll. Nicht halbe Arbeit will sie mehr leisten; diesmal soll das ganze Haus, der Familie rundes Enjsemble, in sie untertauchen, und Herrschaft auf alle soll für fünfzehnjährige Sklaverei Lohn sein. Als der Herr wie stets in einer Ecke sie tätschelt, sprengt durch den ihm zugeschleuderten Blick sie seine ge- dämpfte Existenz und überläßt am gleichen Tag, 194 r\ da auch der junge Lehrer das ersehnte Glück findet, sich dem täppischen Alten. Der hat durch seine Lebensstellung gefällige Umgangsformen mit der Frau. Meta nahm ohne Eifer mit Befriedigung, was er bieten konnte. Aus immer lebendiger Phantasie machte sie ihn ab- hängig; unterjochte ihn ganz. Sie probte und spannte ihn wie einen Handschuh, der sich streckte; ersah an seinem Beispiel, wie weit der Mann dem Weib wirklich folgt und stellte nach ihm das Bild von Franzens Männlichkeit richtig. Der Rest Bedauern, den über dessen Tod sie noch immer fühlte, minderte sich füglich. Als sie den Ahen am Schnürchen hatte, er erst wie ein Pudel in ihrem Dunstkreis hüpfte, zwang auch die Hausfrau aus der Mitwisserschaft um ihr Ver- brechen in dramatisch geführten Szenen sie zur Un- terwerfung, allmählich zu striktem Gehorsam. Jetzt gab sie im Haus die Kommandos, nicht so sehr mit Worten als mit Blick, einer verlorenen Geste; spielte Richter und oberes Gesetz. Nie wollte sie, was jene wünschten, verbot, was ihnen erfreuliche Aussicht war und konnte nicht schlafen, ^3^ 19s gab der Überblick des hingegangenen Tages ihr nicht Gewißheit bewiesener Macht. Drohten anfangs die Geprügjelten, sich zu empören, das noch ungewohnte Joch abzuwerfen, dämpfte durch anonyme Briefe, die das Infame mit ge- meinen Worten an die Wand malten, sie die Lust zum Aufstand; durch auferlegte Strafen den Wunsch, Widerstand zu wiederholen. In ein geräumiges Zimmer am Hauptflur zog sie, das sie mit hübschen Dingen schmückte, die ihr anderswo entbehrlich schienen. Setzte den Papa- gei im Bauer und einen Ledersessel ans Fenster, in dem sie regelmäßig als erste die 2^itung las und rückte schließlich das Grammophon im Mahagoni- schränkchen aus dem Eßzimmer zu sich herüber. Ein buschiger Kater hockte auf ihrem Schoß. Für die Arbeit hat längst sie eine Magd genom- men. Samt den übrigen Hausinsassen dient ihr die tagtäglich irgendwie zur Befriedigung dunkler In- stinkte. Durch immer neue Nadelstiche, tausend gesiebte Bosheiten und Intrigen, gegen die sie wehrlos ist, im Mark des Lebens gelähmt, sinkt die ganze Sippe allmählich in so bodenlose Abhängig- 196 r\ keit, daß jede Reibung schwindet. Für den Be- sucher bildet die Gemeinschaft das Bild idealen Friedens; wie zärtliche Verwandtschaft liebenden Eifers bemüht ist, das Leben der verehrten Tante zu erhalten, vor Schreck und Trubel zu bewahren. Man buhlt mit den niedrigsten Mitteln um ihre Gunst ; der Gatte verleumdet die Gattin, das Kind die Eltern, alle aber die Magd, die sich auf gleiche Weise rächt. Wo Meta auftrumpfen will, liegen die Stiche schon auf dem Tisch. Ihr zum Schlag gehobener Arm fällt auf Samt, zutretender Fuß taucht in Watte. Um sie ist schließlich Atmo- sphäre von Thymian und Lavendel, und wie auch immer im Einzelfall sie streng unterscheidet, sieht sie doch nur verklärte Gesichter. Man ist unter allen Umständen entschlossen mit ihr, un- bedingt für ihren Willen. Ihrer längst nicht er- loschenen, leidenschaftlichen Lust am Aufruhr stellt, in ihrer Umgebung sich einfach kein Gegner. Sie muß ihren Groll künstlich päppeln, sich auf- sagen, wie von Gott und den Menschen sie tödlich beleidigt ist um etwas, das ihr lange sehr deutlich war. Während sie im Genuß ertrinkt, betet sie sich 197 vor, sie sei gemartert und grausam gehöhnt; aber des Himmels Sühne stehe noch aus. Sie fühlt, verliert sie Aufstand und Empörung erst völlig aus dem Blut, muß ein Vakuum in ihr entstehen, das sie in Abgründe schleudert. Aber die vier Menschen um sie, die den Schlüssel ihrer Natur gefunden, singen ihr Hymnen, überstürzen die ge- ringste Forderung an sie von sich her und entkräf- ten immer mehr Metas einst lodernden Haß. Schon, wenn am Jahresersten die Familie mit dem Frühesten an ihr Bett tritt — sie aber liegt in schleifenverzierter Haube, kostbarem Hemd mit gefalteten Händen unbeweglich auf dem Rücken wie ein sehr kostbarer Gegenstand — r und das er- denklich Gute wünscht, oder an ihrem Namenstag das Haus mit brennenden Lichtern und Kränzen ein Tempel der Freude ist, Likör und edler Wein in Römern herschwebt, der die Qeister verzaubert, schwindet ihr Erinnerung alles Gewesenen. . Aber an ihrem vierzigsten Geburtstag, da Segenswunsch und Musik, als Enthusiasmus mit frohen Toasten prasselt und in allen Blicken die Träne der Rüh- rung hängt, fühlt sie aus sich das Heftigste ge- 198 rissen; sitzt im Kreis der Feiernden betäubt und gestäupt als leere Attrappe, Alle Arbeit ist ihr aus dem Weg geräumt, den Finger darf schließlich sie nicht mehr rühren, und die geringste Handreichung wird mit stürmischer Abwehr nicht geduldet. Aber Überraschung bringt man ihr von draußen, freundliche Grüße der Be- kannten, nur gute Nachricht, Jeder Eintretende stellt strahlenden Augs mit lachendem Mund vor ihr ein lebendes Bild, Alle haben zierlichste Bewegungen, holde Sprache, Händedruck und Herzbeteuerung. So ist ihr jeder Anlaß zu Schelt- worten genommen- Wie sie auch Argwohn und zänkische Erwartung spannt, immer endet jeder Vorgang über Erwarten glücklich in Sonnenschein, Man schmeichelt dem Vogel im Bauer, bringt ihm Biskuits und fragt mit schmelzender Besorgnis : „Wen liebst du am meisten auf der Welt ?" und kreischt der bunte Bursche: „Meta! Meta!", scheint man gerührt, entzückt, sogar erschüttert. Vom ewigen Sitzen und Gefüttertwerden wird die Verwöhnte von neuem unförmig fett. Ihre ge- fräßige Natur widersteht den Leckerbissen nicht, 199 die man ihr reicht, und aller Welt macht es gehäs- sigen Spaß, die Anschwellende nach Kräften zu mästen, Ißl sie reichlich zu Tisch, schlürft viele Tassen Kaffee und mummelt Kuchen, dösen die Augen trag ins Leere. Nicht Feuer mit Blitz steht in ihnen, kaum mehr des Lebens Strahl. Bei Zei- tungstratsch und Phonographengeplärr läppert sie Tage. Ihrer Umgebung achtet sie nicht mehr, läßt die beherrschte Welt immer weiter aus den Zügeln und kümmert sich ängstlich nur um der Verdauung Gemäßheit. Doch die vom Leitseil Entspannten schweifen in ein freies, früheres, durch sie nur unterbroche- nes Sein fort. Mit vorgeschrittenem Alter hat eine gewisse Höhe des Lebens man erreicht. Vom Hügel herab sieht man Jugend, Torheit und Toll- heit, und sicher vor ihnen, betrachtet man sie kri- tisch und belächelt sie. Ohne treibende, innere Flamme sind aus der Häuslichkeit die Gatten nicht mehr fortgerissen, sondern, der schwachen eigenen Kräfte, der Kämpfe im Dasein bewußt, aufein- ander zu schmalem, letztem Lebensgenuß ange- V '^ wiesen. Und was man nie vermocht hat : da man das gleiche will, traut man einander, nähert sich und lernt sich wirklich kennen. Der silbernen Hochzeit steuert man zu, geht das Vergangene im Geist durch, macht entschuldigende und begrei- fende Anmerkungen und ist mit HSn- und Wider- rede eines Tags so weit, daß man spürt, wäre es nötig, könnte auch einen Fehltritt, der weit zu- rückliegt, man dem andern ohne Gefahr getrost gestehen. Als aber diese Wahrheit erkannt und eingesehen war, begann man, die Gehätschelte im Lehnstuhl mit neuen Augen zu sehen. Noch ließ an der Speisen Anrichtung man es nicht merken, wie die Lage sich schlimm für sie geändert hatte, doch sparte man mit Besuch und machte für sie keinerlei Anstrengung mehr. Meta nahm die mangelnde Teilnahme entweder gar nicht wahr oder empfand sie als erhöhte Rücksicht, die ihrer Bequemlichkeit erwiesen wurde. Immer mehr dämmerte in den Zustand zufriedener Gleichgültigkeit sie hinüber. Doch wollte eines Morgens sie Dienstleistung und hatte dreimal den Klingelknopf gedrückt. Als 201 / niemand kam, und ohne Erregung sie mechanisch weiterschellte, öffnete endlich die Hausfrau die Tür und fragte schnippisch, was ihr denn einfiele. Ganz verdutzt, blieb Meta glotzenden Blicks die Antwort schuldig. Da erhob die Scheltende schreiend die Stimme, sie verbitte sich Art und Weise. Was denn im Werk sei, und ob sie sich, was sie brauche, nicht gütigst selbst holen wolle und ob überhaupt . . . und da höre alles auf! Und je weniger die Gescholtene zu entgegnen vermochte, um so mehr tobte der Frau entfesselte Wut. Zischend spie sie Wortschlangen auf die Vertatterte, berauschte sich an deren demütiger Stille so un- mäßig, daß Stühle sie vom Platz, Gegenstände durchs Zimmer schleuderte. Mehr von der Stürmenden Dynamik als vom eigenen Trieb be- wegt, richtete sich Meta schließlich auf, nach be- währtem Rezept zum Angriff überzugehen. Sah aber beim ersten Blick dem Gegner ins Auge, der hatte alle Angst vor ihr verloren, und ihr Spiel sei unwiederbringlich und gründlich verspielt. Trotz- dem machte sie eine fürchterliche Bewegung, zeigte plötzlich das alte, von tödlichem Haß entstellte 202 Gesicht so drohend, daß die von neuem Geäng- stigte gellend den Gatten zu Hilfe rief. Der über- « sieht, im Schlafrock herbeieilend, mit einem Blick nach rückwärts und vorwärts die Lage und nie wiederkehrende Gelegenheit, fuchtelt die Arme wuchtig aufwärts, dröhnt mit riesiger Stimme Löwentöne, daß alles zusammenläuft, und die Nachbarn an die offenen Fenster eilen. Da er fühlt, ihn verlassen die Kräfte, es müsse aber zum Schluß noch die entscheidende Granate einschlagen, kreischt er mit schneidendem Schrei, sie solle nicht vergessen, daß sie Dienstbote und gelitten sei. Der Satz tat dämonische Wirkung. In die Brust flog die Familie. Wie vom Blitz zerschmettert aber knickte Meta in den Wirbeln und fiel wie Plunder ins Dunkle. Dann flog Bann und Fluch auf sie, und eh' ihr noch ein Gedanke keimte, war ihr für vierzehn Tage später gekündigt und zugleich befohlen, noch am gleichen Tag das Haus zu ver- lassen. Lohn und Kostgeld würde nach dem Ge- setz bezahlt. So endgültig, spürte sie, war ihre Niederlage, daß keinen Versuch sie machte, der Ereignisse 203 Gang aufzuhalten. Aus allen Winkeln räumte sie ihre Habseligkeiten und Siebensachen. Beim ^ Umkehren der Schübe fiel auch ein Bündel be- schmutzter Lumpen vor ihre Füße. Erst begriff sie deren Sinn und Herkunft nicht. Dann, wäh- rend Ekel sie schnürt, erkennt sie Franzens irdische Hinterlassenschaft. Sie kneift die Mund- winkel und stößt den Packen zum Kehricht. Wenige Stunden später sitzt sie im Gasthof allein, aus dem nach ein paar Tagen sie, noch halb im Traum, zu einer Verwandten aufs Land über- siedelt. Von dort wollte sie anfangs, das letzte Wort im Streit zu behalten, einen Brief der ehemaligen Herrschaft schicken, in dem Verachtung und Über- legenheit maßlosen Ausdruck hätten. Da sie das Schreiben aber trotz Mahnung des Verstands von Tag zu Tag aufschob, merkte sie endlich, wie gleich- gültig im Grund die Katastrophe sei, und wie sie eher mit diesen Leuten als die mit ihr fertig ge- wesen. Sie findet jetzt, die letzten Monate seien durch innere Teilnahmlosigkeit als einzige ihrem * 204 Leben verloren. Aus eigenem Antrieb hätte eher sie aus einem Haus aufbrechen müssen, das längst von ihr mit Stumpf und Stiel gefressen sei. Aus welchen Quellen hätte dort Lebensgefühl sie speisen sollen ? Welche Gewißheit der Gegenwart und Aussicht für die Zukunft* konnte sie da noch beschwingen? Ein grämlich bequemes Alter sei ihr gewiß gewesen. Halber, Tod im Leben. Hier aber war vor allem die Landschaft, zu der sie aus Vergangenheit keine Beziehung hatte, ihr Phäno- men, und sie hoffte, befeuernd werde die auf sie einwirken. Mit der menschlichen Umgebung, die sie ihrer Erfahrung gemäß fand, trat am neuen Ort sie nicht mehr in Wettkampf. Wo Wucht des Fühlens und der Instinkte entschied, wußte sie sich ein für allemal auserwählt und der Menge gründlich überlegen. Auf dem Gebiet geistiger Kräfte aber suchte sie keinen Anschluß, der ihr aus Begabung und Erziehung verwehrt war. Hoch- mut, Neid, Zorn fielen als überflüssig fort, als sie merkte, das simple Bauernvolk stand an Geltungs- willen noch hinter den besiegten Städtern zurück. Unter Unbewaffneten aber im Harnisch zu gehen, 205 erschien ihr sinnlos. Hübsche Ersparnisse gaben ihr zudem in diesen bescheidenen Verhältnissen auch die äußere Sicherheit, die ihre kurzen Gesten, knappen Anmerkungen von innen her bezeugten. Da sie aber spürte, noch immer wende sie zu- viel Kraft an täglichen Umgang mit belang- losen Menschen, nutzte sie vor allem weiteren ihr Geld dazu, einen M^nn zu fesseln, der Mittler zwischen ihr und den anderen sein, die Unkosten des von der Welt geforderten Entgegenkommens tragen sollte. Jakob war Kriegsinvalide, ein rüsti- ger Fünfziger mit Stelzfuß. Medaillen und Schnal- len auf der Brust bezeugten seinen Sinn für Ge- meinschaftsideale, den Willen, in bürgerlichem Verein sich bemerkbar zu machen und die Fähigkeit dazu. Sie heiratete ihn und setzte ihn vor ihre eigene Person als Damm gegen die kleinliche Zu- dringlichkeit der Nachbarn. Es wirkte nicht stö- rend, ein brillanter Hans in allen Gassen hatte eine schweigsame, zugeknöpfte Prau. Es ließ sich im Gegenteil versöhnend an. Jede Satzrakete ihres Gatten, seine Schwärmer und Leuchtkugeln, die verständnisvolle Bewunderer fanden, sicherten ihr 206 Stille und innere Abgeschiedenheit auch dann, saß sie mitten im aufgeräumten Kreis, der bei der Er- zählung von Jakobs Kriegsanekdoten lärmend vaterländisch begeistert war. Sie stützte seine ein- fache, seelische Mechanik, ölte die Maschine, drehte die Kurbeln und stellte sie auf Jahrestage beliebter Schlachten, auf Kaisersgeburtstag oder sonst ein Jubiläum, um ihn, rasender Brisanz mit Lampions und Feuerwerk, auf die Zeitgenossen loszulassen. Sie selbst ging heimliche Wege in die Land- schaft. Am überraschenden Wirken sprühender Natur wollte das eigene, kräftige Leben sie messen. Morgenröte, Sonne im Zenith und die Sternbilder am Firmament, Wind, Regen, Hagel und Schnee stellte als wechselnde Erscheinungsformen sie fest, von denen sie den jedesmal gewollten Effekt zu er- kennen suchte. Sie mochte nicht einsehen, Regel- mäßigkeit sei das Prinzip, aus dem Natur sich rege und sträubte sich zu glauben, Sonne gehe ohne besonderen, heutigea Zweck auf, um zu sterben und morgen wieder pünktlich am Platz zu sein. Am Wiederkehrenden wollte durchaus das einmalig Notwendige sie erkennen, das es erst legitimiere. 207 [" Doch je tiefer in den Plan der Schöpfung sie ein- . drang, sah. Gleichförmigkeit und Gegebenheit sie als letztes Gesetz ein. In noch höherem Maß als der Mensch waren Pflanze und Tier artmäßig übereinstimmend; es ging im weiten Umkreis der Natur gattungsgemäß nach ewigen Formeln von der Geburt zum Tod ohne den Aufschwung, den für sich selbst der niedrigste Mensch einmal im Dasein beweist. Was aber mit Gewißheit voraus- zubestimmen war, langweilte sie nicht nur am Menschen; und so langweilte sie bald erst recht Natur. Was man den Reihen des aus gleichem Stoff Gewesenen in gleicher Absicht nachtat, könne als eigentliches Sein nicht rechnen, dachte Meta. Denn es entkleide des Selbstgefühls und noch Erhabeneren, das sie nicht zu nennen wußte, aber mit allen Fasern ihrer Seele immer anstrebte. Sie mochte nicht aus fremden Zungen reden, nicht aus fremder Gewißheit handeln. Von sich selbst mußte fortwährend sie zeugen, und im Haus und draußen wollte sie nur mit Organismen umgehen, die. Form sprengend, eine andre eigentümliche Form bildend, sich bewiesen. 208 r\ In des Hauses entlegene Stube zog sie und saß im Halbdunkel. Da Gegenwart ihrem Erleb- nisdrang nicht günstig ist, lebt sie von Erinnerung, während wie eine Spinne im Netz sie auf Anlaß lauert, sich zur Höhe ihres Gefühls von neuem auf- zurichten. Sie zaubert den Abglanz aller Stationen ihres weiblichen Blühens und Welkens her. Franz tritt mit vollkommener Sensation zu ihr, und erst jetzt kennt sie ihn in seinem ganzen Verein: Er war absonderlich jung und so wenig eigene Per- son, daß sie ihren ganzen Traum vom Mann mit ihm hat austräumen können. Je eindringlicher sie ihn gliedert, eine Zukunft bildet, die er gelebt hätte, wäre vom Krieg er heimgekehrt, um so deutlicher wird er das Ebenbild Jakobs. Derselben Begabung, des gleichen seelischen Gewichts, hätten Sprüche in seinem eitlen Maul den Mangel an Tat- kraft stets ersetzen müssen. Wie Jakob hätten auch ihn Schnallen und Medaillen auf der Brust in seiner Welt beglaubigt; hinreichende Betätigung seiner selbst hätte auch er in Prost und Toast gefunden. Zehn Jahre früher würde sie ihn damit aus dem Herzen verloren haben, und die Zeit ihres II, 14 209 höchsten Aufschwungs mit ihm wäre nie ge- wesen. Mild stimmte sie die Erkenntnis mit Gott, und aufmerksam sah sie ins treibende Gewölk, als läge hinter ihm vielleicht noch Überraschung und neuer Aufruf zu tätigem Leben. Ihre inneren Bestände von jeher musterte sie und stellte fest: nie habe gegen den Höchsten sie sich vergangen, hätte sie, ein menschliches Weib und nach den Worten der Schrift sein Abbild, vom ersten Lebenstag das Recht auf eigene Person und volle Verantwortung für sich gefordert. Denn nie, wohin immer die Sucht persönlichen Erlebnisses sie geführt, sei noch so schrecklichen Folgen sie ausgewichen. Sie hielt es sogar des Menschen als des göttlichen Gleichnisses für unwürdig, lebte im Hinblick auf die Allgegenwart und Allkraft Gottes er träge im Bett der Gewohnheiten, ohne mit seinem Blut die überkommenen Begriffe zu füllen und für sich selbst lebendig zu machen. Ihr ganzes Leben hin- durch hatte sie nur gegen Sattheit, Ruhe und Stillstand in sich und anderen gemeutert, sich empört gegen den Tod in jederlei Gestalt, als gegen 210 dei alllebendigen Gottes grimmigsten Gegner. In Menschen, die ein nutzloses Sein nach Schema und Klischee hinbrachten, war sie wie Flamme gefahren und hatte sie zu eigener Äußerung end- lieh gebracht. Wo sie weilte, hatte Gefühl in Marsch und Auf- ruhr gestanden. Niemand habe mit ihrer Bewil- ligung einfach geschlafen, gegessen oder von beiden ausgeruht. Als mit dieser Einsicht alle Bedenken über Ver- gangenheit in ihr ausgeglichen waren, regte sie sich, nach dem Tod des Gatten Jakob, wieder rüstiger und richtete von sich fort den Sinn unmittelbarer auf die Mitwelt. Es reizte sie mächtig, nicht mehr aus dunklem Drang, sondern mit vollkommener Erkenntnis manchen schwächeren Weltkinds Bürde auf ihre Schultern zu nehmen, seine Bedenklich- keit, sich zu sich selbst zu bekennen, in alle Winde zu zerstreuen. Eine alte Eva war sie, gebraucht und in den Kesseln des Geschlechts gesotten. Aber unter weißem Haar stand das Menschliche ihr frisch und unversehrt. Nicht weniger als die Jung- frau einst, im Fenster auf Ausschau hängend, war t 14' 211 sie für sich und andere keck und zukunfts- sicher. Ihre Kraft in abgestecktem Raum aufs beste noch zu nützen, trat in das Altfrauenhaus ihrer länd- lichen Gemeinde sie ein. Zwanzig in durchschnitt- lichem Leben abgeblaßte Seelen traf sie dort, er- loschene Flämmchen, die sich schämten, noch zu schwelen. In verschlissenen Kleidern, das weib- liche Aussehen arg vernachlässigt, schlichen diese menschlichen Trümmer unsicher im Dämmer- licht. Meta wie Jugend, Sturm und himmlische Über- redung fuhr in sie. Rollte ihnen des Lebens Film zurück, wies die häufigen Höhen und zeigte einer jeden an der entsprechenden Stelle ihre ganz unvergleichliche, irdische Wirksamkeit. In welken Brüsten entzündete sie eine späte aber vollkom- mene Überzeugung von der einzigen Bedeutung dessen, wofür sie geblüht hatten. Und jede dieser Kreaturen setzte einige schüch- terne Schößlinge an. Das kahle Holz begann zu treiben in der Gewißheit, solange es lebte, am neuen Morgen noch immer den ersten Tag zu 212 halben. Es wurde das Licht der Augen wieder heU; die Hauben gebügelt und gewaschen, bekamen Rüschen ; Spitzen und gefälteltes Weiß sahen aus den Ärmeln. Finger, Ohren und das gepflegte Tuch der dunklen Kleider waren plötzlich goldgeschmückt. Nach vollbrachtem Tagwerk findet man die Runde der Weiber allabendlich um die gewaltige Tafel: aus den Hälsen Häupter steif gehoben, Hände wie bewiesene und bedeutende Ein- heiten breit auf des Tisches Platte gestreckt, lauschen sie andächtig Metas Rede. In allen Ant- litzen aber brennen zinnoberrot hektische Flecken, und manchmal klopft zu dem Gesprochenen ein Fuß mit hohem Bewußtsein den Boden. Als vom benachbarten Kloster die Nonne Äbtissin, die von Metas Hochgemutsein in der strengen Abgeschiedenheit gehört hatte, sie auf- suchte und, mit ihr plaudernd, meinte, vielleicht sei das Kloster auch für den Rest ihrer Tage der rechte Ort, gab die alte Magd bescheiden doch gewiß dies zurück: Ihr seid nicht stolz genug auf euch, ihr klöster- lichen Weiber. Mir gefällt nicht die Demut, das 213 Bedauern eigener Unzulänglichkeit und nicht Un- terwerfung unter hohe, unumstößliche Vorschrift. Schönste, irdische Wirklichkeit bin ich mir selbst, und auch vor meinen Herrn will ich einst so treten, daß er als das Höchstpersönliche mich erkennt, welches er, von aller Menschheit streng unter- schieden, einst schuf, und das er „Meta" nannte. 214 HEIDENSTAM Mit zweiundzwanzigtausend Mark Renten hatte Franzis Heidenstam sich über den Ereignissen geglaubt. Eine Welt von Kenntnissen und Voraus- sicht hatte bei des Kapitals Anlage Gevatter ge- standen, Erfahrungen von Bankleuten, Maklern und eines Staatsmanns bessere Einsicht mitge- wirkt. Jede Möglichkeit war vorbedacht, die schließlich gekauften Werte primissima, ein Risiko ausgeschlossen. Besonderen Fällen das Gleich- gewicht gefunden und für Zusammenbrüche Hin- tertüren gelassen. Er besaß Staats- und Stadt- anleihen, die bei Bedarf bar Geld bedeuteten, war mit Brauerei- und Schaum weinaktien an der Nation behaglichem Lebensgenuß, mit Schuld- verschreibungen von Automobil- oder Flugmotoren- fabriken an rastlosem Fortschritt beteiligt, und daß im Kriegsfall er nicht Not litte, lag seines Be- sitzes ein Drittel in Pulver- und Dynamitbonds fest. 215 Stak nachts in seidener Decke er schlaflos^ mochte die Weltlage er noch so drohend türmen : immer ergab sich seines Vermögens hübsches Equilibre, und es war ihm allmählich Bedürfnis ge- worden, Einbildung zu spornen, vertrackte Lagen auszuklügein, denen er allemal, ein gewandter Schlaukopf, entrann. Aber auch seines Volkes Eigenschaften mußten ihm sämtlich gefallen, da Aufschwung und Ge- lassenheit, Friedensliebe wie ein forscher Chauvi- nismus in seine Pläne paßten. Besitzes wegen mußte auf kein Bekenntnis er sich festlegen. Heute konnte mit Egmont er leben und leben lassen, morgen Zielstrebigkeit fordern. Von Tolstoi durfte er und Tirpitz schwärmen. Frei wie in der Luft der Vogel war er. Freude brachte fast jeder Tag. Bei allen Ge- sellschaften wuchsen die stillen Rücklagen, wurde eine Unzahl Kapital immer abgesetzt und seines Schatzes Substanz verdichtet. Billiges Bezugs- recht gab es allemal irgendwo, und da oder dort den besonders profitlichen Auftrag. Direktoren und Angestellte sorgten durch Unterschlagungen 216 wohl für nervöse Zwischenfälle, doch hätte Hei- denstam auch auf sie nicht verzichten mögen, weil diese ihm in seinen Augen den Schuß Wagemut gaben, ohne den der homme d'affaires nicht denk- bar ist. Er lebte der Überzeugung : es sei der liebe Gott ein bewundernswerter Präsident der Gesellschaft „Deutschland", der verstünde, bei billigen Löhnen und gutem Verdienst für seine, Heidenstams Be- dürfnisse, die Geschäfte gehen zu lassen. Im HinbHck auf den jahrelang günstigen Divi- dendenstand war er auch mit jeder, woher immer befohlenen Maßregel einverstanden. Manchmal wunderte ihn ein Gesetz, eine Polizeivorschrift kam ihm drollig vor. Im ganzen aber lieJ3 er es in der Gewißheit gehen: der Jahresabschluß wird eher besser sein. Schule und Kirche, so wenig er sie in der Kind- heit gemocht, schienen ihm hinterher ein ver- nünftiges Stück. Denn auch sie führten das Ganze eben dahin. Weniger begriff er vorläufig der Künste Zweck und meinte, es möchte mit ihnen Ähnliches wie mit Defraudation auf sich haben. 217 Des Abgrunds steter Anblick sei geregelter Lebens- führung Salz. Er suchte modern zu sein. Denn er hatte ge- funden, es blieb die billigste und ungefährlichste Art, sich auszuzeichnen. Auf überkommene Lehr- sätze sei man schnell festgelegt; das Neue aber ist, so liegt's in der Sache Natur, noch schwebend, nicht begriffsbestimmt. Man erlebt es just und ist, von ihm ergriffen, noch zu keinem Schluß gelangt. Rund aber war er und jedes Bedenkens bar, eine innere Blöße einmal zeigen zu können, als der Be- griff des Impressionismus an ihn kam. Schon als er das Wort zuerst gehört, hatte es unvergleich- liche Wirkung auf ihn gemacht, und ohne seinen Sinn zu kennen, war er schon gewillt gewesen, es für sein Leben zu fordern. Wie fröhlich ward er jedoch, als in dem Wort sich just die Ten- denz bekannte, die seiner innersten, nicht auf des Ausdrucks Spitze gebrachten Anschauung ent- sprach. Nicht nur bei noch kochenden, zeitgenös- sischen Vorstellungen, sondern erst recht in soge- nannter Historie war, wie bei allem menschlichen 218 Bewußtseinsinhalt, also der persönliche Gesichts- winkel das Entscheidende, das Temperament, durch das ein Ding gesehen wurde, und das ihm heutigen Wert gab. Das endlich verschaffte unbeschränkte, indi- viduelle Bedeutung, die Heidenstam paßte. Was hatten sogenannte exakte Erkenntnisse ihn noch zu kümmern, hing, wie ein Geschlecht von Denkern und Künstlern bewiesen hatte, aller Dinge . schließliches Gewicht vom speziellen Ein- druck ab, den jeder beliebige aus ihnen hatte. Er so gut wie Manet oder Monet. Erst jetzt erlaubte seine Rente ihm, den Tag ganz zu pflücken, an das Konkrete freien Ermessens zu treten, ohne, wollte er, anderes von ihm zu fragen, als den Preis. Das war in des neunzehnten Jahrhunderts neunziger Jahren ein Leben! Für das Geld solcher Leute wie Heidenstam machten starke Gehirne in Deutschland Tag und Nacht Erfindungen, die einmal bedeutsam, dann * aber für die Teilhaber der sich unablässig gründenden Gesellschaften einkömmlich waren. Man selbst tat nichts dazu, als daß man, um den neuen Ein- 219 druck reicher, in ein besseres Speisehaus zu Tisch ging und, in der bestimmten Voraussicht kommen- den wirtschaftlichen Aufschwungs, ein fesches Frauenzimmer zu einmaligem Liebesgenuß mietete. Und von allem der Gipfel: Drohte im Mora- lischen, Geistigen oder Geschäftlichen die Sache zu mißglücken, und man bekam durch gute Ver- bindungen rechtzeitig Wind, machte ohne Scho- nung man sich los. Denn mitnichten hatte durch Kenntnis und Bekenntnis man sich ihr verpflich- tet, sondern sich nyr im Eindruck getäuscht, dem das rastlos alle Oberflächen absuchende Auge zum Opfer gefallen war und blieb frei genug, es zu be- kennen. Kam die Frage, warum man nicht tiefer geschürft habe, war die richtige Antwort : Für un- geheure Mannigfaltigkeit der Schöpfung femp- findlich zu sein und nicht nur einen Ausschnitt zu sehen, bleibt nichts, als das Gesicht auf der Er- scheinungen Oberfläche zu beschränken. Mit des neuen Jahrhunderts Beginn hoben an- dere Tendenzen schüchtern das Haupt, verdich- teten sich aber nicht zu Weltanschauungen und schienen mit allem Volk Heidenstam nicht wie die 220 gewohnte Lebensart vorteilhaft. Wie war über- haupt sonst eine Methode erreichbar, die den ärmsten Teufel noch so bedeutend einschloß und zur Geltung brachte? Man konnte sie dem Christentum vorziehen; denn zweifellos hatte der Impressionist mehr Rechte an die Welt als der Christ. Heidenstam fand sogar, er ginge darin dem Sozialisten vor, denn mit was sich eigentüm- lich auseinanderzusetzen und gegen wen sich per- sönlich zu behaupten, sei dem Impressionisten ver- wehrt ? Präzis das Maß der Freiheit anzuzeigen, das Heidenstam in den Jahren 1890 bis 1914 besaß, ist unmöglich. In seiner Heimat war er souverän, doch auch ^onst in der Welt schweifte er frei. Denn anders als Urteile sind Eindrücke überall anpaßbar. Und dann gab ihm äußerHch sein Vor- name den Stempel weltmännischer Freizügigkeit. Die Kriegserklärungen im August 191 4 blieben darum ohne den zermalmenden Eindruck auf ihn, den er allenthalben sah. Überallhin nur lose be- teiligt, sah er sich nirgends wirklich gefährdet. Es war klar, mit Schnelligkeit nahm er notwendige 221 Auswechselungen vor; es verschwanden Papiere aus seinem Portefeuille im Umtausch gegen an- dere, und von heute auf morgen hieß er wieder Franz. Im Ausgleich für geringe Verluste, die sich nicht vermeiden ließen, stürmten Rüstungsaktien sprungweis in die Höhe. Seines Daseins Quer- schnitt war neugierige, mit einem Quent Freude gesprenkelte Spannung. Keine Angst. Bei des großen Publikums Kopflosigkeit, das für ersparte Groschen zitterte, blieb ihm reichlich Zeit, mit aller Industrie seine Interessen umzulegen, und er fand keinen Anlaß, die veränderte Lage zu be- klagen oder erprobte Anschauungsweise umzu- gruppieren. Es erwies sich sogar erst jetzt ihr* voller Sieg. Bei der Feldzüge schnell wechselnden Chancen schwebten die auf Grundsätze Eingeschworenen, Liberale, Alldeutsche, Katholiken abwechselnd in Angst- oder Jubelräuschen, schienen beklagenswert oder überspannt, während von peinlichen Heeres- berichten, bedenklichen Nachrichten er leicht ab- rückte, da mit nichts in ihnen, Ursachen oder Fol- gen, er tiefer verknüpft war. 222 Er bekam von eigener Bedeutung noch höhere Meinung, sah er, wie Dinge, die den Stärksten schmissen, an ihm sichtlich abliefen, und distin- guierte sich noch mehr. Schwatzte alles Krieg, blieb in Wirtschaften und Versammlungen er durch Ruhe ausgezeichnet und lächelte be- sonders. Oft war er drauf und dran, Bekannten, die unter dem Weltkrampf sich krümmten, den Rat zu geben : mit ihm von rauhen Ereignissen den Blick einfach auf die noch reichlich vorhandenen reiz- vollen Dinge zu lenken. Sprach sich aber in dem Gefühl nicht aus: so schlicht er's meinte, so schwer möchte für den anderen die Sache auszu- führen sein, dem offenbar die Voraussetzung fehlte, seine, Heidenstams, geistige Beweglichkeit. Frauen deutete im Bett er manches an, klagten sie um den fernen Gatten, den Geliebten. „Du mußt", sagte er, „nichts als das Auge ergriffen sein lassen. Denn das bleibt beweglich, während wir der anderen Organe Funktion weniger kennen." Wobei er hoffte, die Betreffende werde ihn mehr bewun- dern als begreifen. 223 Noch fast zwei Jahre ließ sich alles für ihn an. Im Land selbst kamen mit ihren Begleiterschei- nungen noch immer die Jahreszeiten prompt als Ausgangspunkt für fesselnde Beobachtungen. Näher und nah der Front mochte es ja verteufelt zugehn. Doch damit sich auseinanderzusetzen, blieb Sache der Betroffenen. Allmählich aber riß Struktur des in seine Netz- haut gespannten Weltbilds so merklich, daß Hei- denstam stutzte. Wohin er sah, war oft geradezu ein Loch. Er fand die Erscheinung von gestern nicht mehr, als sei in einen Krater sie geschluckt, und Bekannte schienen sich ihrer überhaupt nicht zu erinnern. Kurz, er mußte gestehen, dem ober- flächlichen Blick verbarg sich manches, das er ungern mißte, und immer mehr Substantielles und Ideelles; der einzige Eindruck, der von alledem noch blieb, war: es existiert nicht länger. Da machten in Heidenstam sich zum erstenmal gewisse Schlüsse geltend, die meinten: Was heut vom öl feststeht, wird morgen vom Pfeffer gelten. Und er glaubte, sich seines Besitzes, der nur im geringsten mit so kurz befristeter Ware zusammen- 224 hing, entäußern zu sollen. Denn, stellte er vor sich hin, bei des Rohstoffs Knappheit werden Brennereien und Brauereien, aber auch Kaut- schuk-, Leder- und Zellstof fabriken bald stillstehen. Da mein Gewinn aber im hurtigen Gang der Ma- schinen liegt, werfe ich solche Papiere auf den Markt und salviere mich. Er kaufte ausschließlich Rüstungswerte, weil er meinte, bis an sein Ende brauche Waffen der Kjrieg. Doch kamen auch da Verwicklungen, als Mangel an Kohle und Arbeitskräften die Werke zu feiern zwangen, wodurch ihrer Aktien Kurs schneller sank, als man es sich eingebildet hatte. Was mit blankem Blick er auch anfaßte, anders als im Frieden gab es plötzlich Umstände, die sich geradezu aus Ursachen erklärten, die man hätte bedenken müssen. Der Krieg hatte — Heiden- stam faßte den denkerischen Zusammenhang — mit Eisen, logischer Härte zu tun, und es fiel ihm das kalte Lautbild „dura necessitas^^ ein. Vorläufig aber hing er sich um so zäher in sein altes System, als in seines Leibes Tiefen er irgend- wie Angst ahnte. Den Mund hatte tönender II, 15 225 Worte er voll, geradezu Schlagsahne schäumte von den Lippen, mit der er sich und andere be- tropfte. Nicht, ohne daß heftiger innere Unruhe pochte. Trug man morgens Zeitungen an sein Bett, und in fetten Lettern las er wollüstig gesammelte Greuel, geheizten Haß, fand in der Buchhändler Auslagen Kadaverstatistik und Aushungerungs- kalkül, hörte in Speisehäusern und auf Bahnen nur den allgemeinen Vernichtungswillen, ward ihm schwül, und er fand, wohin mit gezwungener Munterkeit er sah, auf allen Dingen gleichen gläsernen Schleim, dieselbe giftige Etikette. Freiheit seiner Meinung, merkte er, begann zu schwinden. Er mochte sein an sich heiteres Tem- perament noch so stacheln, den leichtbeweglichen Gesichtswinkel biegen und weiten, große Teile der Welt hatten sich wirklich aus dem alten Verhält- nis zu ihm gelöst. Den Beweis, er sei nicht etwa krank und in seinen Kräften geschwächt, fand er bei Freunden, die, wie er ehedem leichtbeschwingt, mit sauren Grimassen schwankten. Nein, nackt und unwichtig stand er jetzt oft außerhalb der 226 Zusammenhänge, und mit Blitz erhellte es ihn, notwendig sei auch, was er besaß, im lebendigen Rundlauf nicht unbedingt mehr eingeschlossen. Das war eines Donnerstags. In krasser Furcht warf sein gesamtes Vermögen er in den Börsen- rachen und war zu Tränen gerührt, als der Erlös merklichen Verlust nicht zeigte. Von allem fort, was Krieg bedeutete, war nun Losung. Schweizer Franken und holländische Gulden kaufte er. Doch lagen auch Holland und die Schweiz im Qualm der Katastrophen. Wieder verkaufte er und nahm brasilianische, chilenische und Fonds von St. Do- mingo in den Geldschrank und widmete diesen Ländern Fleiß; las Literaturen über ihre Ver- fassung und Wirtschaftslage, erfreut, in keiner Zei- tung der Republiken Namen zu finden. Zwei Quartale, die wie ein Maulwurf er in seiner Klause gerollt blieb, schnitt von pompös gedruckten Titeln er Kupons ab und vermochte in all dieser Zeit an Tee- und Reisernten, tropische Gewächse und Diamant Wäschereien die fröhlichste Einbil- dung zu hängen. Mit Klapperschlangen und Ga- zellen, mit Walen, Pottfischen, Valparaiso am IS* 227 Ozean voll Perlen und Korallen fand alter Art er sich brillant ab und war, sorgfältig angezogen und frisiert, noch immer der alte, alerte Heidenstam. Bis des verschärften U-Boot-Kriegs Erklärung seitens Deutschlands kam. Da tauchten im Blätter- wald bald die südamerikanischen Republiketi auf. Ihre schwellenden Proteste, wütenden Drohungen wurden gedruckt. Fachmänner rechneten ihrer Armeen, Schlachtflotten Kampfwert und die Han- delstonnage vor. Ein tausendfaches, gehässiges 2^ugnis echote wider sie, das zu des Jüngsten Ge- richtes Posaunen schwoll, als eines Tags in öffent- licher Rede ein chilenischer Admiral behauptete, nicht länger vertrüge chilenische Mentalität des preußische^ Militarismusses Gespenst. Der Bemerkung lähmenden Eindruck auf Hei- denstam zu fassen, muß man wissen: schon zu Zeiten, als alle Welt von seiner Meinung abhing, war eben das Wort „Mentalität" eins der wenigen gewesen, mit denen er sich nicht auseinanderzu- setzen vermocht, und das schon im Frieden ihn beunruhigt hatte. Damals hatte in Deutschland 228 er jedes geistigen und seelischen Fühlens Höhe, eine sogenannte Mentalität aber, von der andere Völker so viel hermachten, wenigstens ausge- sprochen, nicht festgesteUt. InnerHch aber immer gehofft, es beschränke sich der Eigenschaft Besitz auf alte Kulturnationen, die romanischen Rassen mit Einschluß der Belgier. Als aber die grauen- hafte Vokabel in jenes Chilenen Maul aufkochte, war Heidenstam förmlich bis ins Mark erstarrt. Dazu aber hatte füglich die Gewißheit, bis an der bewohnten Welt Grenzen spanne nun der Krieg seine Methode, jähen Absturz in ihm vorbereitet. Hier war Rhodus, auf dem auch er saß. Nasse Qual nach allen Seiten. Es gab keine Flucht mehr. Er auch müsse auf neue Art springen, schoß es Heiden- stam abschließend in den Sinn; und in eine freund- lich lange, erlösende Ohnmacht brach er aus- einander. Wieder folgten Angstverkäufe und brüsker Bruch mit den Südstaaten. Doch als mit nichts als großem Bankguthaben, das sich schlecht verzinste und ohne alle Gewähr war, er saß, war er ent- wurzelt. Denn wie nichts bei ihm Kredit mehr 229 hatte, so vor allem er selbst nicht, seitdem mit dreißigjährigem unveränderten Kurs er gestrandet war. Solchen Schwarzzorn verkörperte er, daß Umwelt von ihm abrückte, sein treuer Hund die Rute kniff und Pupillen schlitzte. Als Heidenstam ein weiches Ei köpfte, merkte ohne Rückgrat er sich eine Molluske, machte sein Testament und lud den Revolver. Strikt hätte er sich in die Schläfe geschossen, wäre die Haushälterin nicht gekommen und hätte den gleichen, verhimmelnden Blick an ihn gehängt, den seit Jahren er von ihr empfing. Wie eine Pflaume, blau und voll Vertrauen, ward dies Auge seine Rettung. In ein völlig Ungewisses hinein gab er sich einen Ruck, trotzdem leben zu wollen. Vor allem heiratete er die Haushälterin, im Nebel die Nadel zu haben, einen freundlichen Funken, der ihm Achtung seiner selbst leuchtete. War morgens auf der Zahnbürste er der Pasta, der Fleischbrühe bei Tisch und nachts in Kissen der Wärmflasche ein für allemal sicher, ließ sich die auf die Dauer gewonnene Energie vielleicht noch 230 einmal an ein Chaos wenden, und es im nächsten Umkreis erhellen. Vorläufig aber schiffte im Zustand der See- krankheit und Hysterie ohne Kompaß, ohne Aus- sicht auf einen Hafen er auf hohem Meer mit der Gewißheit von Riffen, Minen und Torpedos unter sich. Bei jedem Geläut an der Tür bebte er, Briefe mochte er nicht mehr haben, und das Grab war ihm der liebste Traum. Wirklich aber stauten zwei Wochen Einkehr und Reue solche Tatlust in ihm, daß eines Morgens mit dem Nachthemd er alles Zögern von sich warf und entschlossen in den Tag stieß voll der Gewißheit: Welt mochte was immer darstellen; fünfhunderttausend Mark waren nicht Chimäre und blieben auf alle Verhältnisse anwendbar. Es galt den Angelpunkt zu finden, aus dem jetzt Leben kreiste. Schließlich hatte der Impressionismus ihn nicht gehindert, Schliche zu kennen, durch die Agenten und Kommissionäre, Banken und Unternehmer auf des Goldstroms Woge trocken ans Ufer sich tragen ließen. Irgendeines der Manöver wäre 231 wohl auch jetzt noch erfolgreich. Als aber aller Kniffe Ohnmacht feststand, wuchs Heidenstams Wille zu störrischer Wut. Er hatte keine Wahl mehr. Angegriffen und herausgefordert war er, und wollte noch einen einzigen Tag er von, dieser Welt sein, mußte auf neuer Weise er sich ent- falten. Nun horchte er nach allen Seiten. Aber Schlagworte, die er fing, waren keine Börsen- tips. Was war mit „Eisernem Zeitalter" auf dem Devisenmarkt anzufangen ? Broschüren, Leit- artikel und Statistiken faßten den Krieg stets beim Ehrenpunkt. Vorsitzende von Konsumvereinen, Aufsichtsräte tobten wie gekränkte Regierungs- referendare, und telegraphierten Molkereibesitzer oder vereinigte Makler in corpore dem Kaiser, galt in den Depeschen nur ritterliches Wort : Harnisch, offenes Visier und. die gepanzerte Faust. Obenhin, wie bisher, schien dieser schrecklichen Zeit wirklich nicht beizukommen zu sein. Irgend- wie schien den Ereignissen man förmlich persön- lich nähertreten zu müssen. Dieser Ahnung Tragweite in unserem Helden läßt sich neunzig vom Hundert der Leser nicht übersetzen. Irgendwie sind sie von Jugend an Tätigkeit und Reibungen gewöhnt, die das Dasein fordert. Heidenstam aber bis ^um heutigen Tag hatte seines gewichtigen Körpers Kraft einzig ge- braucht, der Menschenmassen Brandung vor seiner Person verebben zu lassen, so daß von ihren Aus- strahlungen höchstens seine Füße genetzt wurden, Leib und Haupt aber frei im Äther standen. Keine Ausgabe hatte er gespart, gemeines Volk fern zu halten. Des Engländers splendid Isolation war sein Vorsatz, der Logenplatz im Theater, in den Eisen- bahnen der Sitz erster Klasse hatte ihn stets nur mit Auserwählten zusammengeführt, bei denen gleiche Notdurft ängstlicher Zurückhaltung er voraussetzen durfte. So robust er vor atmosphä- rischen Einflüssen war, Ausdünstung des genieinen Volks machte ihn krank. Mit Angestellten, niede- ren Beamten, Schneidern und Handschuhmachern hatte er stets eingezogenen Kopfs und gekniffener Nase gesprochen. Nicht einmal seiner Frau, die aus bekannten Gründen er geheiratet hatte, kam über einen Abgrund er näher, der eine Säule Luft und Respekt zwischen ihnen ließ. Zudem war mit seinen Seifen und Wässern sie letzthin ge- waschen. Jetzt aber galt's, fort von Teppichen und Plüschbezügen, Orte aufzusuchen, an denen Zu- sammenkünfte ohne Rücksicht auf Bequemlich- keit und Entlüftung stattfinden. Nach wie vor wollte er irgend etwas von irgend jemand kaufen, das Kern und Aussicht hatte. Diese Eigenschaften waren ihm bisher durch äußere Merkmale, Taxen, Bilanzen, den Kursstand verbürgt worden. Vor- aussetzung für deren unbedingte Gültijgkeit jedoch war geordnete Wirtschaft gewesen. Jetzt konnte niemand für den nächsten Tag versprechen, und Wahnsinn wäre es gewesen, sich einer Ware Wert vom Verkäufer versichern zu lassen. Die Land- Wirtschaft nicht einmal war des Bodens sicher, da Vieh fast keinen Dung warf, und ohne Mist kein Korn wächst. Ohne Futter aber hält man kein Vieh. Wälder blieben mit Sicherheit nicht zu holzen, wo es keine Pferde zum Schleifen gab. Gruben aus Mangel an Belegschaft nicht zu för- dern. Steckten aber die Mieter an den Fronten, konnte man erst recht nicht Häuser beleihen, 234 Nein! Von Fall zu Fall mußte man jetzt selbst zusehn. Seife würde man zum Beispiel kaufen können, kleine Posten anfangs und — ? Vor Hei- denstams innerem Gesicht standen Trambahn- fahrten mit schäbigen Agenten, Schnäpse mit Schiebern getrunken, ein Vertrag beim Advokaten. Atemloses Hin und Her zwischen Marktkundigen, Kunden und Zutreibern. Schmutzige Arbeit mit einem Wort. Doch doppelt entschlossen putzte und gurgelte Heidenstam eines Tages die Zähne, besprühte reich- lich mit Parfüm den Anzug und ging zur Warenbörse. Die tagte in den dem eigentlichen Börsenpalast vorgelagerten Cafes. Beim Eintritt in eins der- selben fiel ihm der auf dem Boden reichlich ge- leerte Auswurf der Besucher auf und riß ihn in hemmungslose Trauer, bis ein Gast auf ihn zutrat und fragte, ob er tausend Kisten Streichhölzer kaufen wolle, zu hundert Paketen die Kiste, das Paket zu zehn Schachteln. Garantiert fünfzig Hölzer in jeder. Warum nicht Streichhölzer, dachte Heidenstam, und da der Agent ihm paßte, schlug die Absicht 235 Wurzel. Vor allem aber galt es, kundig und die Lage beherrschend zu scheinen. Daher täuschte er Wunschlosigkeit vor und befahl zwei Schoppen Portwein. Innerlich aber, während Gespräch ging, stand für ihn fest: vier Wintermonate haben wir vor uns. Drei Streichhölzer braucht für tägliche Notdurft der erwachsene Deutsche. Knapp ist die Ware, des Artikels Notwendigkeit über aller Frage. Beiläufig merkte er den Preis mit vierzig Mark die Kiste. Gab dem Unterhändler Auftrag, sich nach fünftausend Pfund Schmieröl umzusehen, machte den Treffpunkt für morgen aus und ging heim. Dort entspannte er das Problem und kam zu » gleichem Schluß. Am Gelingen der kaufmänni- schen Handlung war nicht zu zweifeln. Über den Warenwert hinaus aber hatten Streichhölzer einen sauberen und festlichen für den Spekulierenden. Es war, weiß Gott, ein Unterschied, ob in Heringen und Petroleum oder mit ihnen man handelte. Und freundliche Bilder umschwebten ihn : zur Ar- beit bereite Maschinen, des Proletariers tröstliche Pfeife auf dem Schneegipfel des Schimborasso, ein hervorgeholter Spirituskocher, und alle mit einem Z36 Streichholz zum. Leben geweckt. Im Lichter- glanz brannte der Weihnachtsbaum, und mit fünf- zig Millionen Lichtbringern sah er sich als eines beträchtlichen Menschheitsteils Prometheus. Wartete einen Monat er mit dem Wiederver- kauf, müsse der bezahlte Preis von vierzig auf fünf- zig Mark steigen, was beim angelegten Kapital von vieizigtausend einen Gewinn von zehntausend Mark oder dreihundert Prozent ausmache. Er war zum Geschäft entschlossen. Der getätigte Kauf aber löste schwere Bedenken in ihm aus, und ohne noch den Beweis zu haben, wußte er sich betrogen. Bestimmt waren die Schweden nun sein Eigentum und lagerten, gegen Feuer und Diebstahl versichert, zu seiner Ver- fügung. Doch war er plötzlich gewiß, in irgend etwas unterschieden zu seinem Nachteil sich diese von allen Hölzern der Welt. In der Überzeugung stopfte er BettHssen an sich heran, schHmmen Eindrücken, die heranwuchteten, nicht zu unter- liegen. Wenn diese Zünder nicht zündeten, sie feucht oder mit zu dünner Zündmasse bestrichen waren ? Der Stiel dem Streichdruck nicht stand- 237 hielt, die Reibfläche sich als unbrauchbar erwiese ? Zorn gegen den Verkäufer packte ihn, naß klebte das Hemd am Leib. Schlaflos starrte dem Morgen er entgegen, begierig aufs Lagerhaus zu stürzen, an Ort und Stelle den Frevel festzustellen. Mit dem Inhaber betrat er den Speicher, ließ eine Kiste öffnen, riß ein Holz in Brand. Aber an- statt daß Flamme strikt auffuhr, schwelte bläu- liches Gefunzel geraume Weile,- um zu brennen sich allerdings zu entschließen, als nur des Stieles Stumpf man noch in Fingern hielt und sie zu ver- brennen in Gefahr war. „Schwefelhölzer", meinte der Begleiter. Aber ohne Herzschlag stand Heidenstam, und ihm rag- ten wie Nägel die Haare. Für den Preis paraffi- nierter Ware hatte man ihm geschwefelte verkauft, deren Wert um fünfzehn Mark geringer war. Und doch konnte Betrug nicht behauptet werden. Denn ausdrücklich waren laut Rechnung Schwefel- hölzer an ihn abgetreten worden. Er selbst in des . Marktes Unkenntnis trug am Verlust die Schuld. Es war die eingebüßte Summe nicht, die aus ihm von heut auf morgen * einen anderen Menschen 238 machte. Doch die erlebte Gewißheit, er habe im Leben den alten Platz verloren, nichts zeichne vor niemanden ihn mehr aus, und Vermögen sei ohne weiteres nicht imstande, ihn vor Mangel zu schützen. Scheckbuch und des Fernsprechers leichte Handhabung reichten nicht mehr hin, Ge- winne einzustreichen, sondern Besitz einbringlich zu machen, müsse wie der geringste Händler man ihn stofflich bewältigen. Und mit ihm Welt, da mit Sichtbarem und Unsichtbarem er verknüpft war. Heidenstam sah ein: Über der Nationen sämt- liche Streitfragen hinaus bedeutete das Ende des Impressionismus der Krieg. Doch den Anfang wovon ? Das vor allem müsse er wissen und hinterher triftige Entschlüsse fassen. Für die Interimszeit aber gelte jedenfalls das Prinzip, gegen das früh er sich gewehrt : die Dinge außer ihm und völlig unabhängig zu kennen. War ihm auf der Schulbank nicht schon Mathematik verhaßt gewesen, die, persönliche Meinung von ihr zu haben, nicht erlaubte, sondern Form und 239 Formeln auf den Tisch hieb ? War nicht Trauer auf ihn gesunken, wo man nicht tausend, sondern die besondere Eigenschaft wissen sollte, einer Sache Gewicht oder Größe etwa auf eine Zahl ge- bracht, die man in das ausschließlich zu sich selbst entschlossene Herz als ein Koexistierendes auf- nehmen mußte? Im Augenblick dürfe Welt für ihn nur den nir- gends gleichen Stoff bedeuten, der fordert, seine Besonderheit einzusehn und sich aufmerksam an « sie hinzugeben. Später — ? Für später, fühlte frohlockend er vor, gab zwischen* Erkanntem und Anerkanntem es vielleicht doch noch der Freiheit weite Ebene, und zu seinen Gunsten könne aller Erfahrung er am Ende ein Schnippchen schlagen. Das war ein genußreicher Morgen, da in ihm aufgehellt stand: jetzt, wo an] das All- gemeine sich zu werfen not tat, könne darum mit Inbrunst er es tun, weil unbeugsamer Wille aufrecht war, auf welche Weise das Exempel auch aufging, seine Lösung müsse trotzdem Heidenstam heißen. So gab entschlossener als alle er den Ereignissen sich hin und war, ihnen verschmolzen, nicht einen 240 AugenbHck seiner ledig. Immer machte der Hinter- gedanke den Sklaven schon dann zum Herrn, diente schwitzend und devot der um einen Aufschluß. In der Schöpfung verschwindendem Bruchteil sah er jetzt noch ein Phänomen, von dessen Evidenz er sich durchdringen ließ. So wie des Konkurrenten Ge- schäftsgeheimnisse, seine Hauptbuchseite mapi hin- gerissen liest, und aus des nächsten Akts Kulissen blenden die schon möglichen Unternehmungen, Also ward Heidenstam auf dem Kriegsmarkt Kenner und verdiente. Doch die neue Methode, ursprünglich intrigant und gewillt, nur das Not- wendige im neuen Sinn auszunehmen, ward naiv und nahm so vollständig von ihm Besitz, daß bald alle Umwelt als eigenes Subjekt und aus sich selbst vor ihm sich ausdrückte. Des Alls gesamte Aufmachung wechselte von Grund auf. Nirgends und in nichts paßte das bis- herige Bild mehr zu den Selbsterscheinungen. Nach wenigen Monaten war wie einem Kind die Schöpfung ihm neu geschenkt. Ein Lack, der das Ensemble mit fadem Ton zu- sammengefaßt hatte, war abgeschält, und das n, i6 241 \ Ganze gab sich bunt und grell. Natur blühte ge- radezu ausschweifend in diesem Frühling, da jede Butterblume klang. Die Spatzen schmetterten auf unvergleichliche Art, und jede Mädchenbrust war unter der Bluse schon speziell. Pißte ein Hund, oder bremste die Trambahn der Führer, schien's stracks ein historischer Akt. Im Mai sprkng mit der neuen Lebensart Hei- denstam vollends außer sich. Des Geldverdienens Absicht fand er gleichgültig und unvereinbar. Kaufte Gold, errechnete für sich eine Rente bis an sein neunzigstes Jahr und beschloß, im übrigen nur noch Natur zu forschen. Denn jetzt lohne das Ding sich doch in anderem Maß als zu des seligen Impressionismus Zeiten, in de- nen er selbst zu jedem Fremdkörper die Anmerkung erst habe aus sich herausarbeiten müssen, während umgekehrt nun alle Kreatur für ihn drauf loslebte, ihm deutliche Zeichen ihrer Eigenkraft zugeben. Er fand das so himmlisch, daß im frühesten Entdecker- glück er zusammenfuhr undfürchtete,ertäuschesich. Wäre ein solcher Zustand gehörig und erlaubt, sagte er sich -^ inmitten stehst du und läßt nur 242 alles leben, wie es mag —machst es ebenso, schließest die Augen und sagst zu allem ja — wäre Welt doch Paradies. Dadasaberaflem, was er gelesen und gehört hatte, widersprach, ihm auch zu leicht schien, fürch- tete er, zu späterem Verderben täusche er sich gründ- lich und kehrte mit Aufwand der Willenskräfte zu JFrüherer Unentschlossenheit, ja zum Impressionis- mus zurück. Aber schon war genossenen Glücks Verlockung zu mächtig in ihm. Seine Frau sogar, sah er sie nur vor sich leben, hatte eine unvergleichliche Art, Quadratmeter Zeug zu häkeln, von Zeit zu Zeit aber einen Blick tollen Jubels an ihn zu verschwen- den. Er fand sie sehens- und erlebenswert. Seinen Hund bemerkte er geradezu japanisch-paradox. Vielleicht, sagte sich Heidenstam, macht der Krieg alles mehr aus sich herausgehen, hat das meiste nur in kriegerischer Verfassung Mut zu sich. Darum, als der Welt Projektion in seine Sinne immer bedeutender wurde, begann den Krieg als den Erwecker zu tätigem Leben er zu lieben. Nun war's um ihn wie auf einem Jahrmarkt toU. Knospen schössen mit Knall sich ins All^ i6* 243 Schollen und Knollen platzten im Gemüsegarten, Kerzen der Kastanien strahlten, und in den Fur- chen hörte er das Trommelfeuer der Kartoffeln. Und auch die Menschen, unentrinnbarer Dumpf- heit und gleichbleibendem, vorgeschriebenem Tagwerk bisher verpflichtet, schienen zum min- desten schon außer Rand und Band. Das aber war Voraussetzung zum seligen Zustand, in dem er schwebte, fühlte Heidenstam. Als einst auf einen, Hügel gegen ein Dorf er ge- lagert lag und fühlte, nichts könne aus der Schöp- fung kommen, zu sehr zu sich selbst gegipfelt, keine Karte Gott spielen, die nicht Trumpf sei, alles Seiende, Gewesene und Zukünftige könne nicht hart, nicht weich, nicht jung^ nicht alt, grün oder blau genug sein — alles müsse man nur unvergleichlich und besondere Absicht im Ganzen behauptend sehen, daß wirklich irdisches Leben schon jenseitige Verklärung sei, wuchs jählings über Menschen er hinaus und spürte zu unbegrenz- tem Aufschwung Kraft. • Hatte bisher nur das räumlich Erscheinende ihn wirklich und selbständig gedünkt, ward ihm neue 244 I Überraschung, als einst ein Wort, hinter dem greif- bare Form bisher nicht stand, mit eigener Leben- digkeit auf ihn zu wirken begann. Den Ausdruck „Gebildetheit" hatte er gebraucht, nachdem er erst „Bildung" hatte sagen wollen. Und sofort be- gann „Gebildetheit" aus sich selbst zu zeugen, entwarf gegen seine aufnehmende Hirnwand Reihen belehrender, ergötzlicher Schilderungen, die dichter waren als Gegenstände im Raum. Trunken seiner Entdeckung machte Heidenstam mit anderen Begriffen die Probe. Und jeder gab ihm gleiche Sensation. Ob „Rache", „Mitleid", „Rausch" oder „Faulheit" er aussprach, gleich gab aus jeder Vorstellung es ein Gekribbel, als habe an einen Ameisenhaufen man gerührt. Mit Plastik, in alle Dimensionen machtvoll hinein bildete kör- perlose Welt sich nicht weniger übermütig und selbstbewußt als die geformte. In diesen Tagen, als an den Fronten und auf allen Meeren Geschützdonner rollte, hätte Heiden- stam man sehen sdllen. Wie ein Schwimmer, in brausender Brandung sprudelnd und jauchzend, hüpfte er auf Schaumkämmen. Europa schien 24s ihm vom Himmel her und aus den Tiefen zu sei- nem Vergnügen moussierend gequirlt. Schließ- lich brauchte in geringste Ferne er nicht mehr zu schweifen, sondern das Glück war immer nah. Anhängsel seiner Person gaben ihm schon für Tage Genuß. Mehr als fünfzig Jahr lang war er Katholik gewesen, und wozu hatte es bisher ge- frommt? Überhaupt keinen Gebrauch hatte er davon gemacht. Jetzt brummte „katholisch" er so in den Kuchen und erfuhr nicht nur aus der eigenen Vergangenheit sofort eine Menge bezüg- licher Wahrnehmungen, aber in Büchern konnte man noch das Spannendste über den Stoff hinzu- lesen, von Gleichnissen abgesehen, die sich ein- stellten. Da zum Beispiel übernahm er die Tat- sache erstmals ins Bewußtsein: Seine Frau, von der der besondere Blick und die Häkelraserei schon feststand, war zudem noch israelitischer Konfes- sion. Wie apart von der alten Dame, raunte be- geistert und fast zärtlich Heidenstam sich zu. Mit Inbrunst sog aus Zeitungen dazu er buntes Allerlei. Auf neuer Erkenntnis Höh6 fand er be- wiesen, was geraume Weile . er vorgeahnt : Alles 246 Seiende, doch den Menschen zuerst, hatte der große Krieg bis ins Eingeweide entknöpft. Und wie tummelten mit Lebensfreude sich „Verrat", „Wucher", „Denunziation" und vieles andere, zu welcher Kraft wuchs „Völkerrechts- bruch" auf, von Begriffen und Gefühlen abge- sehen, die überhaupt neugeboren wurden, aber alle Merkmale des Elementaren trugen. Schloß Heidenstam, daß das Beliebte und Erprobte da- neben durchaus ungeniert weiterbestand, schenkte über so vielem Neuen man ihm auch nicht aus- schließliche Aufmerksamkeit, daß Mutter- und Gattenliebe, Barmherzigkeit und Aufopferung noch wahre Orgien feierten, mitten in der Gra- naten wüstem Trümmerfeld wohl gar das duftende Veilchen blühte, sah er, auch „Kontrast" war noch nie zu solcher Geltung, gekommen. So wehte wie eine Fahne er, blies Backen und begann, seinen Glücksüberschwang in die Welt zu posaunen. Tränenden Auges schwärmte Bekannte er an, und seine Frau umhalste er. Bis in die Nacht ließ den Phonographen er die Nationalhymne spielen und trank Punsch dazu. 247 Die Freunde sahen seinen Taumel freundlich an, solange sie glauben konnten, er besäße ihn im Sinn großerGruppen;nahmenihnnacheinanderfür einen Konservativen, einen Mann, dessen Geld in der Schwerindustrie stak, einen Alldeutschen. Schließ- lich für einen Chauvinisten, der alle Grenzen hinter sich gelassen hatte. Als man aber zu ahnen begann, es stünde offenbar kein Gemeinschaftswunsch hinter ihm, sondern er treibe sein Wesen privat, fing man, von ihm abzurücken und zu grollen an. Er aber tat nichts, das schließlich nicht alle Welt erkennen mußte : Es lag an einseitig kriege- rischen Eigenschaften des Kriegs ihm nichts, er baue keine besonderen Absichten auf ihn und sei in ihm durchaus nicht zielstrebig. Gäbe sich ihm auch nicht in patriotischer Verzückung als Teil des Ganzen hin; finde im Krieg nur der Welt geeignete Verfassung, ihn Heidenstam am kräf- tigsten anzuregen und am gewaltigsten zu be- glücken, auf daß er, ursprünglich selbst müde und begeisterungsschwach, jetzt ein klares Ja und Amen zur Schöpfung sagei^ könnte. Das fand man toll und bodenlos unverschämt. 248 Und als bei einigen Vorkommnissen, die auch die schlimmsten Eisenfresser Exzesse schalten, Heidenstam sich nicht enthielt, die Entgleisungen unvergleichlich zu finden, als man ihm warnend schon nahetrat und seiner Frau bedeutete, sie möchte Begeisterung in ihm dämpfen, war er just an einen Punkt gelangt, wo ihm das in Europa Angerichtete nicht mehr genügte, und er begann, das Geoffenbarte in Träumen zu höherer Intensi- tät zu türmen. Er fand, einmal so viel Lebstoff festgestellt, den man früher ignorierte, müsse jedes Atom auch bis an die eigenen Grenzen drängen. Da es sich nicht mehr um ein Verstecken, sondern ein Her- vortreten, um kein Verkennen, aber ein An- erkennen handle, habe alles Ding an sich die Pflicht, einmal sich in Gänze zu bekennen. Wer wisse, wann wieder Gelegenheit komme. Jetzt seien die Bremsen auf, und es gelte, ans Ziel zu kommen. Andere Kataklismen wollte er, als die Tages- berichte brachten. Von ihm aus mochte Heere von Gefangenen man in Latrinen ertränken; das 249 auf England gestülpte Meer, ein in die Luft ge- sprengtes Frankreich waren ihm gängige Voraus- setzungen, und Staatsmänner und Marschälle woUte er von Worten nicht doch mit Melinit gefüllt. Überhaupt in jedem Buchstaben und jeder Nerve andere Sprengkraft. Nachts legte er sich Anreden zurecht, die das von ihm Aufgemunterte wie einen Pfeil von der Sehne gegen seine Bestimmung schwirren lassen mußte. Eines Morgens trat er, ganz rollende Pro- klamation, zu seiner Frau, die in Strümpfen und Hose stand, und führte aus sich ihr solche Hoch- spannung zu, daß die Beklagenswerte, nicht wissend, um was es sich handele, vor seinen Augen aus dem Fenster sprang und beide Beine brach.. Das fand, wie den Herbeilaufenden er erklärte^ er „enorm". Die aber redeten sacht ihm zu und führten ihn zu einem Wagen, der nach ihren Worten ihn spazieren fahren sollte. Vor ein weites Gebäude brachte man Heiden- ff stam und bat ihn, auszusteigen. Hatte man ge- fürchtet, er werde sich sträuben, täuschte man 250 sich gründlich. Von Neugier und Lebenslust be- sessen, konnte er keine Lage mehr ausdenken, die ihm nicht Genuß vermittelte, und war vergnügt, als im fremden Haus unter lauter Unbekannten man ihm ein Zimmer anwies. Nur den einen Ge- danken hatte er beim Eintritt: wie will ich sie sämtlich springen lassen! Daß des Raumes Fenster vergittert waren, machte ihm schon Vergnügen, Es waren die ersten Fenster, denen er, da sie besonders sich zeigten, besondere Beachtung schenkte. Als abends ein Herr in weißer Schürze das Geschirr vom Wasch- tisch räumte und auf des Neulings Frage, warum das geschähe, antwortete, er habe nicht Lust, sich von Heidenstam den Schädel damit einschla- gen zu lassen, war auch der Bescheid geeignet, des Ankömmlings Hoffnung auf ein gehobenes Dasein, das ihn erwarte, zu stärken. Der Männer Anblick, die am nächsten Morgen » er traf, enttäuschte ihn nicht. Ohne noch zu wis- sen, was jeder bedeute, war im ersten Blick er ge- wiß, sie seien alle von irgend etwas die größte ihm begegnete Steigerung. Überhaupt stellte ge- 251 \ samten Lebens Tonstärke er am neuen Platz um das Doppelte der Gerade höher fest, als an sämtlichen Orten, wo bisher Gemeinschaft er kontrolliert hatte. Morgens, zur Zeit des ersten Frühstücks, wo überall sonst die kaum Wachen noch in zagen Lauten reden, hob hier aus allen Zimmern sich schon munter Geschrei, das zu einem Lied, einer geschmetterten Arie sich wohl verstärkte. So ver- langte auch er beim zweiten Mal den Kaffee mit anderem Nachdruck und ward inne, vom Wesen des Befehls habe er noch wenig gewußt. Er staunte aber auch, zu welch sicherer Mimik Miß- fallen am Kommando sich steigern konnte, steckte der Angeredete dem Auftraggeber die Zunge bis zu den Wurzeln aus dem Hals heraus. In diesem Haus gab aus präzisen Umgangsformen es die Miß- verständnisse über Gewolltes nicht, die sonst Ver- kehr mit dem Nächsten hemmen. Je besser Heidenstam die um ihn geltenden Grundsätze einsah, um so mehr erkannte er, daß von jeher und aus eigener Kraft eine Anzahl Men- schen die Ausdrucksfreiheit sich gesichert hatte, die den Massefi erst der große Krieg gebracht. 252 Hier gab seit ewigen Zeiten es schon keine Hypo- krisie, die fatalen Lügen nicht vor sich und anderen. Hier war in der Geste kein Knick, kein Umschweif im Wort, vorm Ziel kein Halt. Hier sprach, was Gott mit ihm speziell gewollt, der Mensch, durch keine Einrede verschüchtert, furchtlos und un- erschüttert aus. Unter allen Umständen setzte die eigene Nuance er hier durch. So der ältere Engländer, der in einem hundert- jahrlangen, faulen Frieden seiner Nation Schlag- kraft in der Heimat nicht hatte fühlen können, die vor allem Irdischen jedem Blutstropfen in ihm teuer war. Über bewohnte Erde eilend, überall seines glühenden Verlangens wegen be- unruhigt, hatte hier er die Stätte gefunden, wo niemand mehr seiner Neigung sich sperrte. Aus des Bettes Federn trat er gleich vor die Anstalt hinaus und brüllte, ihr zugewandt, jauchzenden Tenors und mit ausgebreiteten Armen einen Morgen wie den andern: Old England expe9ts, that everyman this day will do his duty! 253 Wobei auf „his" den Ton er dehnte. Dann kehrte ins Haus er zurück. Für vierundzwanzig Stunden war Verlangen gestillt, und für des Tages Rest war er ein sanfter Lebensgefährte, der aller Welt von seiner Frau erzählte, die vor zehn Jahren gestorben war und die als Heilige er pries, vollkommenes Weib und im Himmel noch, wo dringend sie ihn erwarte, fana- tische Engländerin vorweg. Wann aber komme der Tod? Er war es auch, der Heidenstam die soziale Not- wendigkeit der Irrenhäuser bewies. Dem wirt- schaftlich Schwachen sollten sie Möglichkeit geben, die der Reiche ohne sie besitzt. Denn wer würde den Nabob hindern, manifestiere im eigenen, zwanzig Hektar großen Park, der wie er? Oder wie im Nebenzimmer der preußische Hauptmann, der Stunden des Tags damit verbrachte, Schritt vor Schritt rückwärts zu gehen ? Von dem Hauptmann sei Herr Konrad, der Kaufmann, nur insofern verschieden, als er die in der Welt und in der Familie erlittene Unter- drückung schlichter zum Ausdruck brachte, stellte 254 dieser Mann, sonst ein Muster bürgerUcher Tugenden, sich alten Bekannten alle fünf Minuten aufs neue vor: „Konrad, mein Name!" Auf daß man ihn nicht wie zu Haus vergesse. Prachtvoll fand Heidenstam solch Beharren auf sich, und sei es nur zum eigenen Namen. Wie packend aber war es, nannte der ehemalige Schauspieler vor ihm sich ständig Hofmarschall von' Kalb! Dieser also, von den Eltern her zu eigener Person wenig begabt, hatte aus der höheren Welt dichterischen Scheins die besondere Geltung geborgt, die er brauchte, sich vor anderen zu er- kennen. / Freudentränen vergoß Heidenstam, sprach der ihn an : „Sehen Sie, Präsident, da hatte Prinzessin Amalie in der Hitze des Tanzes ein Strumpfband verloren. Von Bock reißt mir das Strumpfband, das ich aufgehoben, aus den Händen, bringt 's der Prinzessin und schnappt mir glücklich das Kom- pliment weg." Und antwortete dem Schauspieler : „Impertinent." Worauf Klalb mit einem Schafsgesicht sagte: ^,Mein Verstand steht still." 255 i Worauf der andere ihn umarmte, herrliche Zu- friedenheit auf beide sank, und Heidenstam flüchtig dachte: gingen auch fünfzig Millionen Streich- hölzer in einem einzigen Brand auf, welche Dun- kelheit vor so viel innerem Licht! In einem Zimmer von früh bis spät schrieb ein rüstiger Fünfziger Eingaben, die sich mit seiner Person befaßten, an Behörden, Lob fordernd für große geleistete Arbeit, das man nicht gespendet hatte. Auszeichnungen für Verdienst, das er nur kannte. Seit Jahren unermüdlich einen Tag wie den anderen auf Bogen in Folio, die die Anstalts- leitung in jeder gewünschten Menge zur Ver- fügung stellte* Kaum nahm er Zeit, ein paar Bis- sen zu schlingen und ruhte auch Sonntags nichts Aus ihm eigentlich erfuhr Heidenstam erst das un- geheure Maß der Beachtung, das noch der sim- pelste Mensch für sich zu fordern gewillt ist, stutzt Gemeinschaftsideal ihm nicht vorher die Flügel. Nun machte auf sich selbst zu endlich er den letzten Schritt. Keinen Laut wollte er mehr ver- schwenden, der nicht wie Offenbarung an des Men- 256